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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eine vernunftwidrige Äquidistanz-Haltung

Wer kennt die Fra­ge nicht: »Meinst du, die Rus­sen wol­len Krieg?« So beginnt ein bewe­gen­des, vor allem auch in der DDR oft gesun­ge­nes anti­fa­schi­sti­sches Lied des sowje­ti­schen Dich­ters Jew­ge­ni Jew­tu­schen­ko und des Kom­po­ni­sten Edu­ard Kol­ma­now­ski. Melo­die und Wor­te der von Sig­rid Sie­mund stam­men­den deut­schen Über­set­zung die­ses Wer­kes gehen mir immer wie­der durch den Kopf, wenn ich über die gefähr­lich ange­spann­te inter­na­tio­na­le Lage, über die in der Bun­des­re­pu­blik und ihren soge­nann­ten Kon­zern­me­di­en ver­brei­te­ten Lügen und Halb­wahr­hei­ten über die angeb­lich von Russ­land aus­ge­hen­den Gefah­ren für die Sicher­heit und den Frie­den in Euro­pa nach­den­ke. Und so steht immer aufs Neue die Fra­ge: »Meinst du, die Rus­sen wol­len Krieg?« Nein, sie wol­len Frie­den. Auch die Mehr­heit der US-Ame­ri­ka­ner will kei­nen Krieg. Aber die bei­den Völ­ker unter­schei­den sich in die­ser Fra­ge inso­fern, als die Rus­sen allein im 20. Jahr­hun­dert gezwun­gen waren, uner­mess­li­ches Leid in zwei Welt­krie­gen durch­zu­ste­hen. Der dies­jäh­ri­ge Tag des Sie­ges über den Hit­ler­fa­schis­mus hat erneut ver­deut­licht: Die Rus­sen und ihr Prä­si­dent wis­sen aus bit­te­rer Erfah­rung, was Krieg bedeu­tet, und sie sind gewillt, die Mensch­heit vor einem töd­li­chen Infer­no im Zeit­al­ter der Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen zu bewahren.

Das kann man von den Herr­schen­den in den USA lei­der nicht behaup­ten. Nach dem Zer­fall der Sowjet­uni­on brach­te sich die von den USA domi­nier­te NATO gegen Russ­land in Stel­lung, um die­ses Rie­sen­land mit sei­nen uner­mess­li­chen Natur­reich­tü­mern zu unter­wer­fen. Ihre Kon­fron­ta­ti­ons­po­li­tik bedroht den Frie­den. »Frie­den ist nicht alles, aber ohne Frie­den ist alles ande­re nichts« (Wil­ly Brandt). Für den Welt­frie­den ist ein part­ner­schaft­li­ches Ver­hält­nis zwi­schen den USA und Russ­land uner­läss­lich. Deutsch­land soll­te dazu einen Bei­trag lei­sten. Die deutsch-rus­si­schen Bezie­hun­gen sind der­zeit aber emp­find­lich gestört. Sie wer­den längst nicht mehr von natio­na­len Inter­es­sen unse­res Lan­des bestimmt. Das ver­ein­te Deutsch­land hat sich will­fäh­rig der Geo­stra­te­gie des USA-Impe­ria­lis­mus untergeordnet.

Die Lin­ke soll­te gegen die­se Poli­tik ent­schie­de­nen Wider­stand lei­sten. Das umso mehr und eigent­lich umso nahe­lie­gen­der, da die Deut­schen sich mehr­heit­lich (58 Pro­zent) eine Annä­he­rung der Bun­des­re­pu­blik an Russ­land wün­schen, in Ost­deutsch­land spre­chen sich dafür sogar 72 Pro­zent aus, so das Ergeb­nis einer reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge, die vom Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut Civey schon vor Jah­res­frist erho­ben und im Jour­nal Welt-Trend ver­öf­fent­licht wurde.

Umso unver­ständ­li­cher ist es, dass die jüng­sten Par­tei­ta­ge der Lin­ken es unter der Regie der Par­tei­füh­rung tat­säch­lich fer­tig­ge­bracht haben, Anträ­ge zur Gestal­tung fried­li­cher Bezie­hun­gen Deutsch­lands zu Russ­land abzu­leh­nen bezie­hungs­wei­se sie in den Bun­des­aus­schuss zu ver­wei­sen. Eine schänd­li­che Haltung!

Man muss kein Kom­mu­nist, kein Lin­ker sein, um zu ver­ste­hen, dass auch Russ­land sei­ne Inter­es­sen, Sicher­heits­in­ter­es­sen, hat und gewillt ist, sie bei Respek­tie­rung der Inter­es­sen sei­ner Part­ner durch­zu­set­zen, wenn es sein muss, sich gegen Bedro­hun­gen zu wehren.

Denn in Erin­ne­rung sei geru­fen: Nicht Russ­land hat sei­ne Gren­zen in Rich­tung NATO-Staa­ten ver­setzt, son­dern die NATO hat sich den West­gren­zen Russ­lands gefähr­lich genä­hert und ist dabei, mit der Ukrai­ne die ver­blie­be­ne Lücke zu schlie­ßen; nicht Russ­land hat Mili­tär­stütz­punk­te um die Ver­ei­nig­ten Staa­ten errich­tet, son­dern die USA krei­sen Russ­land ein; nicht Russ­land hat Rake­ten an den Gren­zen der USA in Stel­lung gebracht, son­dern die USA taten es vor Russ­lands Ter­ri­to­ri­um; nicht Russ­land ver­schwen­det die welt­weit höch­sten Mili­tär­aus­ga­ben (61,4 Mil­li­ar­den US-Dol­lar 2018), son­dern die USA (649 Mil­li­ar­den US-Dol­lar 2018, 716 Mil­li­ar­den sind für 2019 vor­ge­se­hen). In zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Jah­ren hat Russ­land sei­ne Aus­ga­ben sogar redu­ziert. Nicht Russ­land hat Staats­strei­che insze­niert, um unlieb­sa­me System- bezie­hungs­wei­se Regime­wech­sel in frem­den Län­dern zu erzwin­gen, son­dern die USA; nicht Russ­land hat in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten ver­hee­ren­de Krie­ge ange­zet­telt und groß­flä­chi­ge Mili­tär­ma­nö­ver insze­niert, son­dern die von den USA domi­nier­te NATO; nicht Russ­land initi­iert aggres­si­ve media­le und Fake-News-Angrif­fe, son­dern die NATO.

Unge­ach­tet des­sen könn­ten Links­po­li­ti­ker ent­geg­nen, man müs­se auch Kri­tik­punk­te in der rus­si­schen Poli­tik benen­nen. Das sei ihnen unbe­nom­men. Wie rea­li­täts­fremd aber wäre ein sol­cher Ein­wand, der Ursa­che und Fol­ge­wir­kun­gen außer Acht lässt, wie geschichts­ver­ges­sen und vor allem wie grund­ver­kehrt wäre es, denn hier­bei geht es nicht um irgend­wel­che »Kri­tik­punk­te« an der Poli­tik eines Lan­des, son­dern um die Par­tei­nah­me für den Frie­den. Und was treibt ein­fluss­rei­che Lin­ke um, eine Art Äqui­di­stanz-Hal­tung gegen­über bei­den Groß­mäch­ten ein­zu­neh­men? Außer­dem lässt sich Kri­tik viel wir­kungs­vol­ler üben, wenn man sich nicht in einer aggres­si­ven Kon­fron­ta­ti­ons­po­li­tik ver­fängt. Viel­mehr ist eine ande­re Außen- und Sicher­heits­po­li­tik von­nö­ten, und die ist nur mit, nicht ohne oder gar gegen Russ­land möglich.