Der vierzehnjährige David kommt 1958 aus einer Kleinstadt der DDR nach Westberlin auf ein Internat und ins Gymnasium. Da sein Vater Pfarrer ist, hat er keinen Platz auf der Erweiterten Oberschule seiner Heimatstadt erhalten. Im Heim leben nur Schüler aus der DDR. Die Lebensbedingungen unterscheiden sich nicht erheblich von den Zuständen in den Internaten wo auch immer: Die älteren Schüler wohnen in Zwei- oder Einbettzimmern und müssen für Ordnung und Disziplin bei den Jüngeren sorgen.
Nur die Stadt, der Ort ist besonders. Von einem Teil in den anderen gibt es strenge Kontrollen. Man darf sich nicht erwischen lassen. Die Existenz von Ost- und Westgeld erschwert den Alltag. Die Jungen brauchen Westgeld, wenn sie sich einmal eine Erbsensuppe oder ein Getränk kaufen wollen. Sie verdienen es sich mit dem Verkauf von Zeitungen oder auf dem Tennisplatz. Der eine hat mehr Glück oder Geschick als der andere. Ansonsten lernen sie für die Schule, wo sie als Ostdeutsche (den Begriff »Ossis« gab es noch nicht) eine Gruppe für sich bilden – wie auf einer Insel. Daniel versucht, Theaterstücke zu schreiben und wird in der Theatergruppe, die auf Lateinisch agiert, aktiv. Es bleibt wenig Zeit für Stadtbummel, aber die Auftritte des Erweckungspredigers Billy Graham und des Sängers Bill Haley lässt er sich nicht entgehen, ohne die Begeisterung um ihn herum zu verstehen. Daniel kommt in Kontakt mit einer Theatergruppe und erlebt sein erstes Liebesabenteuer. Doch das Abitur schafft er nicht mehr, denn der Mauerbau verhindert die Rückkehr und das Bleiben in Westberlin. Daniel beginnt eine Buchhändlerlehre in Ostberlin, wohin seine Eltern mittlerweile gezogen waren.
Kein spektakuläres Leben, zumal Daniel einen recht braven Eindruck macht. Ungewöhnlich, ja, fremd ist die Situation. Getrennt von den Eltern, kaum Möglichkeiten zu Heimreisen, die Grenzkontrollen, die geteilte Stadt.
Christoph Hein, der als Jugendlicher das Schicksal Daniels teilte, betätigt sich wieder als Chronist, der diesmal die autobiographische Nähe zu seinem Protagonisten wohl nicht verleugnen will. Eben weil alles so unspektakulär und doch fremd wirkt, entsteht der Eindruck einer vergangenen Welt, die heute kaum noch vorstellbar ist. Christoph Hein erweckt sie zum Leben.
Christoph Hein: Unterm Staub der Jahre, Roman, 221 S., 24 €.