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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eine professorale Märchenstunde

Ich stel­le mir vor, wie sich Hein­rich August Wink­ler, Nestor der deut­schen Geschichts­schrei­bung, aus sei­nem Ses­sel erhebt, sich zum Fen­ster sei­nes Elfen­bein­turms begibt, starr nach links schaut, wo sich all die­se Sozi­al­de­mo­kra­ten, Grü­nen und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen befin­den, und erklärt: »Die Ver­fas­sungs­schöp­fer woll­ten nie ein indi­vi­du­el­les Grund­recht auf Asyl.« Das muss­te unbe­dingt zwei Wochen vor der Bun­des­tags­wahl in einem Spie­gel-Essay aus­ge­spro­chen wer­den, egal, was die juri­sti­sche Zunft dazu sagen wür­de. Die The­se vom sub­jek­ti­ven indi­vi­du­el­len Asyl­recht wider­spre­che den Absich­ten der Ver­fas­sungs­schöp­fer. Sie hät­ten damals in erster Linie an poli­tisch Ver­folg­te aus der sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne gedacht. Schon da ver­has­pelt sich unser Mann, wenn er schreibt, dass das­sel­be Recht auf Asyl die­sen so zu gewäh­ren sei wie ver­folg­ten Aus­län­dern. Also doch?

Syste­ma­tisch betrach­tet: War­um fixiert der Par­la­men­ta­ri­sche Rat das Asyl­recht im Grund­rechts­ka­ta­log des Grund­ge­set­zes, wenn es kein Grund­recht sein soll? Bedau­ernd nimmt der selbst­er­nann­te Ver­fas­sungs­recht­ler Wink­ler aller­dings dann doch zur Kennt­nis, dass die The­se vom Grund­recht auf Asyl in der Recht­spre­chung bestä­tigt wur­de und »dem bun­des­deut­schen Kol­lek­tiv-Ego zuneh­mend schmeichelte«.

Wink­lers Vor­schlag ist, das sub­jek­ti­ve durch das insti­tu­tio­nel­le Asyl­recht zu erset­zen. Erkennt er also das sub­jek­ti­ve Recht auf Asyl nun doch an? Ziem­lich ver­wir­rend die­ses Gemisch aus angeb­lich histo­ri­scher Ana­ly­se, recht­li­cher Dar­le­gung und poli­ti­schem Vorschlag.

Der Legen­den­auf­räu­mer ruft zur Bekräf­ti­gung sei­ner Ver­nei­nung eines Asyl­grund­rechts durch den Par­la­men­ta­ri­schen Rat auch noch einen Fach­kol­le­gen, Micha­el May­er, zu Hil­fe, der das – pein­lich, pein­lich – aber gar nicht bestä­ti­gen mag, wie sich eben­falls aus dem Spie­gel ergibt. May­er merkt zwar an, dass der Par­la­men­ta­ri­sche Rat 1948 wirk­lich in erster Linie an Deut­sche gedacht habe, die aus der Ost­zo­ne flie­hen woll­ten, da Aus­län­der damals über­haupt nicht auf die Idee gekom­men sei­en, in das weit­ge­hend zer­stör­te Deutsch­land zu flüch­ten. Den­noch habe das Asyl­recht auch damals schon für Aus­län­der gegol­ten, denen die Mög­lich­keit gege­ben wer­den müs­se, einen sol­chen Asyl­an­trag zu stellen.

Erwar­tungs­ge­mäß spran­gen auch Ver­fas­sungs­ju­ri­sten Wink­ler nicht bei, son­dern erklär­ten, spä­te­stens seit der Novel­lie­rung von Art. 16 des Grund­ge­set­zes 1993 sei das Grund­recht auf Asyl (wenn auch arg gestutzt) aner­kannt wor­den, zumal es das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bereits 1959 aus­drück­lich bestä­tigt habe. Schließ­lich habe Wink­ler sei­nen Blick auch auf die deut­sche Rechts­la­ge ver­engt und die schon 1951 ver­ab­schie­de­te Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on eben­so aus sei­nen Über­le­gun­gen ver­bannt wie die Euro­päi­sche Asyl­po­li­tik mit ihren Regelungsmechanismen.

Zum Schluss packt Wink­ler in sei­nem Rund­um­schlag gegen angeb­lich lin­ke Ideo­lo­gie, die ja bis in den Mer­kel­flü­gel der CDU rei­che, noch ein­mal eine ganz alte Keu­le aus, näm­lich den Vor­wurf, dass mit dem Begriff »Faschis­mus« der Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­harm­lost wer­de, weil mit Faschis­mus nur die ita­lie­ni­sche Vari­an­te gemeint sei. Nicht zur Kennt­nis neh­men mag Wink­ler offen­bar, dass es seit Lan­gem in den Poli­tik- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten eine For­schungs­rich­tung gibt, die sich mit ver­schie­de­nen Spiel­ar­ten rechts­ra­di­ka­ler Herr­schafts­sy­ste­me unter dem Label »Faschis­mus« aus­ein­an­der­setzt. Dass es dabei Unter­schie­de gibt, ist doch eigent­lich eine Selbstverständlichkeit.

Abschlie­ßend stel­le ich mir die Fra­ge, was Herr Merz dem tap­fe­ren, für die Wahr­heit (die kei­ne ist) strei­ten­den Pro­fes­sor für sei­nen Bei­trag gezahlt hat. Oder bekommt er von der CDU wenig­stens eine sym­bo­li­sche Spendenbescheinigung?