Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Eine Frage des Standpunkts

Links/​rechts im Sin­ne poli­ti­scher Rich­tun­gen führt bekann­ter­ma­ßen zurück ins vor-revo­lu­tio­nä­re Frank­reich. Vom Stand­punkt des Königs gese­hen, saßen im Stän­de­par­la­ment 1789 auf der min­der­wer­ti­gen lin­ken Sei­te die auf­stre­ben­den Bür­ger; rechts davon saßen Kle­rus und Adel. Seit­dem stand rechts für königs­treu, eli­tär, kle­ri­kal, alte Rech­te ver­tei­di­gend; links für repu­bli­ka­nisch, ega­li­tär, dem Gleich­heits­po­stu­lat (éga­li­té) und den Unter­drück­ten ver­pflich­tet – also grund­stür­zend, wie man frü­her sag­te. (Damit war die Asso­zia­ti­on von links mit lax, schwach und lin­kisch aufgehoben.)

Zur Ori­en­tie­rung im Raum, in Zeit und Poli­tik die­nen seit alters ver­schie­de­ne Bezugs-Begrif­fe. Oben und unten, vorn und hin­ten, öst­lich oder west­lich – jeweils abhän­gig vom Betrach­ter. Schon wenn ich mich wen­de, wech­selt rechts mit links. Neh­men wir Ori­en­tie­rung beim Wort, dann steckt dar­in der Hin­weis auf eine Him­mels­rich­tung (Ori­ent = Osten). Aber was für uns Osten, kann für Chi­na Westen sein. Wie rela­tiv die Koor­di­na­ten sind, zei­gen mehr­deu­ti­ge Begrif­fe wie »trans­da­nu­bi­sch« oder »west­li­che Wer­te«. Gern wer­den die Rich­tungs-Wor­te auch über­tra­gen benutzt, nicht nur räum­lich: jen­seits von Eden, rechts von Macron usw. Als fester Bezugs­punkt für links gilt indes unstrit­tig die Sei­te, auf der das Herz sitzt.

Unser Links-Wort steht, wenn wir die Wort­ge­stalt bese­hen, unter unsern Sprach­ver­wand­ten ety­mo­lo­gisch ziem­lich ein­zig­ar­tig da: vän­ster, left, gau­che, sini­stro, izquier­da … kei­ne gemein­sa­me Wur­zel. Aber doch eine Gemein­sam­keit. Stets ist so etwas wie die ungün­sti­ge Sei­te, die unge­schick­te Hand im Hin­ter­grund. Lin­kisch, ein lin­kes Ding, zwei lin­ke Hän­de. Ande­rer­seits gibt es Bei­spie­le, dass links etwas Posi­ti­ves bezeich­net. Im römi­schen Kul­tur­kreis stand die lin­ke Sei­te ursprüng­lich für Glück, die rech­te für Unglück. Im alten Grie­chen­land wur­de das Männ­li­che mit rechts (Schwert­hand) und das Weib­li­che mit links (Schild­hand) gleich­ge­setzt. Anders wie­der­um in Chi­na, dort setzt man von alters her links mit Yang, dem Him­mel gleich, die Lin­ke gilt als Hand des Glücks und der Ehre.

Die fran­zö­si­sche Sitz­ord­nung jeden­falls brei­te­te sich in Euro­pa aus. Doch als poli­ti­schen Begriff sucht man links/​rechts beim Pauls­kir­chen-Par­la­ment in Frank­furt 1848, auch spä­ter bei Marx und Engels noch ver­geb­lich. Erst im 20. Jahr­hun­dert wird das zu einer Kurz­for­mel (sie­he bei Lenin: der lin­ke Radi­ka­lis­mus als »Kin­der­krank­heit«).

Nun hört man Zeit­ge­nos­sen, die mei­nen, das Rechts-Links-Sche­ma habe aus­ge­dient. Sie schau­en sozu­sa­gen aus einer ande­ren (drit­ten) Dimen­si­on auf die poli­ti­schen Ten­den­zen und sehen sich durch­kreu­zen­de Lini­en. Natio­na­li­sti­sche, bür­ger­recht­li­che, kon­ser­va­ti­ve, öko­lo­gi­sche Ten­den­zen ver­bin­den sich ver­schie­dent­lich und ver­än­der­lich mit anti­im­pe­ria­len, lohn­kämp­fe­ri­schen, illi­be­ra­len oder neo­li­be­ra­len Ziel­set­zun­gen. Jüng­stes Bei­spiel: Der Ver­fech­ter einer »illi­be­ra­len Demo­kra­tie« Vik­tor Orbán, rechts-offen und alles ande­re als sozi­al, ver­wei­gert sich der aggres­si­ven EU-Poli­tik. Wört­lich (1. Juni.2024, Buda­pest): »Ich sage es lang­sam, damit sie es auch in Brüs­sel ver­ste­hen: (…) Wir haben an der rus­si­schen Front nichts ver­lo­ren. Wir ver­hei­zen nicht unse­re Jugend, wäh­rend sich Rüstungs­spe­ku­lan­ten dumm und däm­lich ver­die­nen. (…) Die­ser Krieg ist nicht unser Krieg.«

Mehr­mals gab es in den letz­ten 100 Jah­ren Ver­su­che, den Links-Rechts-Gegen­satz zu rela­ti­vie­ren. Anfang der 1930er schu­fen NSDAP-nahe Ideo­lo­gen der Schwar­zen Front, eine Annä­he­rung an die KPD anstre­bend, das Sche­ma vom »Huf­ei­sen­bild«: Statt einer hori­zon­ta­len Linie wird da eine Art oben offe­ner Halb-Kreis gezeich­net mit zuein­an­der­stre­ben­den Enden, die die Extre­me links und rechts sym­bo­li­sie­ren. Der unte­re Bogen, der Bauch, soll die gemä­ßig­te Mit­te dar­stel­len; die Enden nähern sich an. Dar­auf grün­dend erklärt eine spä­te­re Extre­mis­mus­theo­rie (links=rechts, bei­des gleich schlimm), dass sich die äuße­ren Enden als »Fein­de der Demo­kra­tie« so sehr anglei­chen wür­den, dass sie sich berüh­ren – wobei die Durch­läs­sig­keit bür­ger­li­cher Par­tei­en für rechts­ra­di­ka­le Posi­tio­nen tun­lich ver­nach­läs­sigt wird.

Obgleich der Begriff links als Stand­punkt- und Rich­tungs­be­stim­mung nicht scharf umris­sen ist, soll­te man ihn m. E. nicht auf­ge­ben. Zusam­men mit der fran­zö­si­schen Losung – aber in geän­der­ter Rei­hen­fol­ge: Gleich­heit, Soli­da­ri­tät (Brü­der­lich­keit), Frei­heit – taugt er zur Beschrei­bung einer huma­nen Poli­tik. Eine indi­sche Isis-Dar­stel­lung zeigt übri­gens die Göt­tin rechts­sei­tig mit den Sym­bo­len von Gewalt und Grau­sam­keit, links trägt sie einen Becher und einen Pal­men­zweig. Der weib­li­chen Sei­te, der schüt­zen­den und näh­ren­den, möch­te man gern den Vor­zug geben.

 

Ausgabe 15.16/2024