Links/rechts im Sinne politischer Richtungen führt bekanntermaßen zurück ins vor-revolutionäre Frankreich. Vom Standpunkt des Königs gesehen, saßen im Ständeparlament 1789 auf der minderwertigen linken Seite die aufstrebenden Bürger; rechts davon saßen Klerus und Adel. Seitdem stand rechts für königstreu, elitär, klerikal, alte Rechte verteidigend; links für republikanisch, egalitär, dem Gleichheitspostulat (égalité) und den Unterdrückten verpflichtet – also grundstürzend, wie man früher sagte. (Damit war die Assoziation von links mit lax, schwach und linkisch aufgehoben.)
Zur Orientierung im Raum, in Zeit und Politik dienen seit alters verschiedene Bezugs-Begriffe. Oben und unten, vorn und hinten, östlich oder westlich – jeweils abhängig vom Betrachter. Schon wenn ich mich wende, wechselt rechts mit links. Nehmen wir Orientierung beim Wort, dann steckt darin der Hinweis auf eine Himmelsrichtung (Orient = Osten). Aber was für uns Osten, kann für China Westen sein. Wie relativ die Koordinaten sind, zeigen mehrdeutige Begriffe wie »transdanubisch« oder »westliche Werte«. Gern werden die Richtungs-Worte auch übertragen benutzt, nicht nur räumlich: jenseits von Eden, rechts von Macron usw. Als fester Bezugspunkt für links gilt indes unstrittig die Seite, auf der das Herz sitzt.
Unser Links-Wort steht, wenn wir die Wortgestalt besehen, unter unsern Sprachverwandten etymologisch ziemlich einzigartig da: vänster, left, gauche, sinistro, izquierda … keine gemeinsame Wurzel. Aber doch eine Gemeinsamkeit. Stets ist so etwas wie die ungünstige Seite, die ungeschickte Hand im Hintergrund. Linkisch, ein linkes Ding, zwei linke Hände. Andererseits gibt es Beispiele, dass links etwas Positives bezeichnet. Im römischen Kulturkreis stand die linke Seite ursprünglich für Glück, die rechte für Unglück. Im alten Griechenland wurde das Männliche mit rechts (Schwerthand) und das Weibliche mit links (Schildhand) gleichgesetzt. Anders wiederum in China, dort setzt man von alters her links mit Yang, dem Himmel gleich, die Linke gilt als Hand des Glücks und der Ehre.
Die französische Sitzordnung jedenfalls breitete sich in Europa aus. Doch als politischen Begriff sucht man links/rechts beim Paulskirchen-Parlament in Frankfurt 1848, auch später bei Marx und Engels noch vergeblich. Erst im 20. Jahrhundert wird das zu einer Kurzformel (siehe bei Lenin: der linke Radikalismus als »Kinderkrankheit«).
Nun hört man Zeitgenossen, die meinen, das Rechts-Links-Schema habe ausgedient. Sie schauen sozusagen aus einer anderen (dritten) Dimension auf die politischen Tendenzen und sehen sich durchkreuzende Linien. Nationalistische, bürgerrechtliche, konservative, ökologische Tendenzen verbinden sich verschiedentlich und veränderlich mit antiimperialen, lohnkämpferischen, illiberalen oder neoliberalen Zielsetzungen. Jüngstes Beispiel: Der Verfechter einer »illiberalen Demokratie« Viktor Orbán, rechts-offen und alles andere als sozial, verweigert sich der aggressiven EU-Politik. Wörtlich (1. Juni.2024, Budapest): »Ich sage es langsam, damit sie es auch in Brüssel verstehen: (…) Wir haben an der russischen Front nichts verloren. Wir verheizen nicht unsere Jugend, während sich Rüstungsspekulanten dumm und dämlich verdienen. (…) Dieser Krieg ist nicht unser Krieg.«
Mehrmals gab es in den letzten 100 Jahren Versuche, den Links-Rechts-Gegensatz zu relativieren. Anfang der 1930er schufen NSDAP-nahe Ideologen der Schwarzen Front, eine Annäherung an die KPD anstrebend, das Schema vom »Hufeisenbild«: Statt einer horizontalen Linie wird da eine Art oben offener Halb-Kreis gezeichnet mit zueinanderstrebenden Enden, die die Extreme links und rechts symbolisieren. Der untere Bogen, der Bauch, soll die gemäßigte Mitte darstellen; die Enden nähern sich an. Darauf gründend erklärt eine spätere Extremismustheorie (links=rechts, beides gleich schlimm), dass sich die äußeren Enden als »Feinde der Demokratie« so sehr angleichen würden, dass sie sich berühren – wobei die Durchlässigkeit bürgerlicher Parteien für rechtsradikale Positionen tunlich vernachlässigt wird.
Obgleich der Begriff links als Standpunkt- und Richtungsbestimmung nicht scharf umrissen ist, sollte man ihn m. E. nicht aufgeben. Zusammen mit der französischen Losung – aber in geänderter Reihenfolge: Gleichheit, Solidarität (Brüderlichkeit), Freiheit – taugt er zur Beschreibung einer humanen Politik. Eine indische Isis-Darstellung zeigt übrigens die Göttin rechtsseitig mit den Symbolen von Gewalt und Grausamkeit, links trägt sie einen Becher und einen Palmenzweig. Der weiblichen Seite, der schützenden und nährenden, möchte man gern den Vorzug geben.