»Berufsehre« hat viel mit dem jeweiligen Beruf zu tun. Ein Bibliothekar hat vermutlich überschaubare Kontakte, ein Bauleiter muss mit sehr vielen (und unterschiedlichen) Menschen-Typen auskommen (bitte ab hier so verstehen: Ich meine dies neutral für alle Geschlechts-Varianten). Ein Verkäufer muss etwas anpreisen, dessen Qualitäten herausstellen und dafür den maximal möglichen Preis erzielen; ein Käufer muss die Ware prüfen, deren mögliche Mängel erkennen und den niedrigsten Preis anstreben. Zumindest haben beide mit realen Waren zu tun und sind letztendlich auch für deren Qualität und Funktion verantwortlich. Die Frage der Berufsehre (oder des Verhaltens-Ethos) kann also durchaus verschieden sein. Ist jemand längere Zeit in einer Tätigkeit involviert, prägen sich die entsprechenden Verhaltensmuster heraus. Ein Historiker konzentriert sich eher auf intensives und – oft einsames – Quellenstudium; als Lehrer tritt man täglich extrovertiert vor Schülern auf; ein Anwalt hat sowohl Stunden der konzentrierten textlichen Recherche als auch der intensiven Argumentation z. B. bei Verhandlungen.
So viel zu Einzelbeispielen – nicht statistisch belegt, jedoch aus der Lebenserfahrung von 70 Jahren resümiert. Und je nach Berufsbild sind auch entsprechende Verhaltensmuster zu beobachten, z. B. zwischen Genauigkeit in der Analyse und eloquenter Ausdrucksweise, zwischen stiller Verbissenheit und dominierendem Verhalten (so etwa wie »ich verkünde die finale Wahrheit«).
Aus der Unzahl möglicher Berufsfelder sei nochmals ein Bereich hervorgehoben, nämlich jener für die Erstellung materieller Objekte: Würde z. B. ein Tischler einen Schrank abliefern, dessen Oberfläche rau ist oder dessen Scharniere klemmen, wäre es Pfusch. Überträgt man dies generell auf die produzierenden Gewerbe, heißt dies: Alle Parameter der geplanten Funktionalität müssen erreicht werden; ggf. kann eine einzige Abweichung das Objekt zur Investruine machen. Damit wird deutlich, wie komplex die Errichtung z. B. eines Gebäudes oder eine Industrieanlage ist. Hierfür sind ab Planungsbeginn alle apparativen, energetischen, IT-relevanten usw. Anforderungen »unter einen Hut« zu bringen – bis hin zum Brandschutz, zur Logistik usw. In der Realisierungsphase sind diese Details streng zu überwachen; würde ein falsches Kabel verbaut, könnte dies im kritischen Fall überhitzen und einen Brand auslösen – irgendwo in einem Kabelschacht, relativ spät erkennbar und örtlich schwierig zu erreichen. Der Brand des Düsseldorfer Flughafens 1996 ist auch nur durch eine Unachtsamkeit entstanden. In diesem Sinn stehen die produzierenden Gewerbe dafür ein, dass alle »Knackpunkte« und Fehlerquellen bedacht werden und bei Planung und Realisierung eines Objekts nichts »schiefgeht« – und keine Firma würde einem unerfahrenen Ingenieur oder Projektleiter eine derartige Aufgabe übertragen.
Als übergeordneter Rahmen aller gesellschaftlichen Bereiche fungiert die Richtungskompetenz der jeweiligen Regierung: Sie gibt die gesetzlichen Regelungen vor, stellt hierfür ggf. auch beträchtliche Mittel bereit und kontrolliert, ob die reale Entwicklung wie gewünscht verläuft. Dabei geht es – besonders wenn neue Regelungen vorbereitet werden – um die Abschätzung ihrer Wirksamkeit, das Abwägen ihrer Folgen und die Analyse möglicher Nebenwirkungen, viel stärker, als es bei einer einzelnen Investition der Fall ist!
Natürlich arbeiten alle Beteiligten der legislativen Gremien in einem hochkomplexen Beziehungsgeflecht – bei tausenden Seiten von Beschlussvorlagen, Referentenentwürfen, Arbeitsgruppen usw., und das bis zu sieben Tage pro Woche. Dies alles lässt sich nicht in einem Artikel komprimieren, deshalb soll hier nur der Aspekt der fachlichen Tiefe betrachtet werden.
- Die Parteien, die sich zur Wahl stellen, machen den Wählern Wahlversprechen, werden aber in keiner Weise daran gemessen, diese einzulösen; schon ein Koalitionsvertrag kann sie hinfällig machen.
- Die jeweiligen Spitzenkandidaten sind meist die Vorsitzenden der Parteien, die im Vorfeld durch einen Parteitag o.ä. gewählt werden. Ihre Kompetenz resultiert weniger aus ihren Fähigkeiten, sondern aus ihren Wahlreden auf einem Parteitag.
- Die Wahlgewinner können bis zur nächsten Wahl (im Rahmen der Gesetze) ohne detaillierte Kontrolle agieren, sofern sie Rückendeckung von ihren Bundes- bzw. Landtags-Fraktionen haben. Aber erhielten die Parteien denn nicht genau für ihre Wahlziele das Kreuz auf den Stimmzetteln?
Aus diesem Grund sollen zwei wesentliche Zusammenhänge betrachtet werden, die m.E. für eine ehrliche und ergebnisorientierte Politik unerlässlich sind: das Einlösen von Wahlzielen und die Kompetenz von Regierungsentscheidern.
Die politischen Gremien sind nicht an ihre Wahlversprechen gebunden. Daraus resultieren mitunter (für den »Otto-Normalverbraucher«) unverständliche Vorgänge: Ein SPD-Grande äußerte, dass ein Bewerten der Parteipolitik an den Wahlversprechen irgendwie unschicklich wäre; die interne Wahl des vorletzten Führungsduos mit dem Slogan »Raus aus der GroKo« – nach dessen Wahl sehr schnell vergessen! Eine Partei hat vor der letzten Wahl Unterstützung für Julian Assange versprochen – und danach kaum etwas für ihn getan. Ein Vergleich dazu: In sehr vielen Berufen ist das Einhalten von Verpflichtungen das oberste Berufsgebot! Ist bei derartigen »Freiheitsgraden« der Politiker der Unmut in breiten Bevölkerungsschichten nicht verständlich?
Aktuell kann eine Korrektur des Regierungshandelns nur erfolgen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Gesetzesverstoß feststellt. Jedoch, genauso dringend wäre das Einklagen der Wahlziele! Ohne dies könnte (im schlimmsten Fall) nach einer Wahl eine total konträre Politik, gegen die Interessen der Bevölkerung, ausgelöst werden. Deshalb als Vorschlag: eine Bestandsaufnahme nach 100 oder 200 Tagen mit der Aussicht, die nicht erfüllten Wahlziele einzuklagen.
Zur Kompetenz der Regierungsentscheider: Dies ist hierzulande kaum relevant. In der EU stellt sich z. B. jedes künftige Mitglied der Kommission dem EU-Parlament, in den USA gibt es eine ähnliche Vorgabe. Aber in Deutschland? Aktuelle Beispiele, wie es real läuft: Ist ein Minister haftbar, wenn er dreistellige Millionenbeträge »in den Sand setzt«? Wird Günstlingswirtschaft bestraft – oder der Verursacher baldmöglich auf einen anderen Posten gehoben? Werden Fehlaussagen von hohen Politikern geahndet, z. B. zur Sicherheit der Energieversorgung? Zumindest in der Öffentlichkeit wird nichts davon bekannt. Demnach scheint es irrelevant, ob hochrangige Politiker fachliche Kompetenz besitzen – sie sind quasi »amtlich geschützt«, agieren hauptsächlich nach politischen Vorgaben und ggf. eigenem ideologischem Gusto. Verglichen mit einem Bauleiter, der sein Projekt exakt nach Kosten- und Terminplänen fertigstellen muss, wo keine Schraube fehlen darf, scheinen die »Freiheitsgrade« in der Politik unermesslich.
Aber gerade in Regierungsverantwortung können Handlungen oft weitreichende Folgen haben, über Jahrzehnte hinaus – und hier entscheidet häufig eine parteiinterne Positionierung über einen Ministerposten mehr als die fachliche Qualifikation. Eine Möglichkeit des »Gegensteuerns« bestünde darin, aus den Analysen des Bundesrechnungshofes monetäre Konsequenzen für die Verantwortlichen nachweisbarer Fehlentscheidungen abzuleiten – zwar erst im Nachhinein, aber auch als eine Art Warnung für Künftiges. Denn der Amtseid (»…zum Wohle des deutschen Volkes…«) sollte schon juristisch relevant sein. Generell ist jedenfalls unverkennbar, dass die Berufsehre im Politik-Betrieb deutlich verschieden ist von vielen Berufsgruppen…
Besteht diese möglicherweise in einer Art »Parteidisziplin«, wie sie in Interviews oft aufscheint, wenn jede »Linien-Abweichung« gebrandmarkt und jede noch so kuriose Aussage »von oben« mit heißen Worten als Erfolg deklariert wird? Oder in der Fähigkeit, Kompromisse möglichst »geräuschlos«, ggf. im Hinterzimmer auszuhandeln? Ein gradliniges Handeln (wie in Bettina Wegners Lied »Kinder« gefordert) scheint mir anders zu sein …