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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein völkischer Freigeist

Vor hun­dert Jah­ren zog sie, vom Erz­ge­bir­ge kom­mend, durch Fran­ken und Thü­rin­gen: Kro­nach, Coburg, Son­ne­berg, Stein­ach, Lauscha, Spechts­brunn, Leu­ten­berg, Rudol­stadt, Schwarza, Saal­feld, Ranis, Jena, Wei­mar, Erfurt, und, und … die Neue Schar mit ihrem Anfüh­rer Fried­rich Muck-Lam­ber­ty. Sie hat­ten ihre Wur­zeln in der Wan­der­vo­gel­be­we­gung. Nach dem ver­lo­re­nen Krieg woll­ten sie die Welt ändern. Sie tanz­ten und san­gen, jun­ge Leu­te, Hand­wer­ker, Leh­re­rin­nen. Gegen die indu­stri­el­le Welt ver­such­ten sie, eine »Revo­lu­ti­on der See­le« zu set­zen. Der See­len­re­vo­lu­tio­när war kein Stu­dent, son­dern ein feu­ri­ger Red­ner in kur­zen Hosen. Er spricht von medi­zi­ni­schen Irr­tü­mern, erfolg­lo­sen Behand­lun­gen und ärzt­li­cher Geld­schnei­de­rei. Von den »Strahl­kräf­ten gesun­der Men­schen, die Kran­ke zu hei­len ver­mö­gen«. Kommt uns das heu­te bekannt vor?

Hei­de­ma­rie Hecht, einst Redak­teu­rin der in der DDR und dar­über hin­aus bis 1993 erschei­nen­den Weltbühne, vor 20 Jah­ren nach Naum­burg ver­zo­gen, hat das Leben die­ses Fritz Lam­ber­ty, der sich selbst Muck nann­te, 1891 in Straß­burg gebo­ren, nach­ge­zeich­net. Was bei des­sen unste­tem Leben nicht leicht war, obwohl er sich stets gern in die Medi­en dräng­te. Sei­ne Schar schien vom ein­fa­chen Leben ange­tan, von vege­ta­ri­schen Spei­sen, von Keusch­heit und Nackt­kul­tur, alles bestens ver­ein­bar. Den Win­ter 1920/​21 ver­bringt die Trup­pe auf der Leuch­ten­burg, hoch über Kahla.

Doch das Ver­häng­nis für Muck naht. Zwei Frau­en bekom­men Kin­der von ihm, gleich­zei­tig. Eine drit­te klagt an, führt die Poli­zei auf die Leuch­ten­burg. Muck muss gehen und wird in Naum­burg zu einem gut ver­die­nen­den Holz­künst­ler mit zig Beschäftigten.

Die­se Lebens­pha­se hat Hei­de­ma­rie Hecht bestens aus­ge­leuch­tet, als Muck sich mal den Nazis andien­te, dann wie­der sich rebel­lisch zeig­te. Er gab dem Natio­nal­so­zia­lis­mus »die mei­ste Aus­sicht auf die Erret­tung des deut­schen Vol­kes vor oder aus dem dro­hen­den Cha­os«. 1951 ver­lässt er Naum­burg gen Westen und stirbt hoch­be­tagt 1984 im Westerwald.

Unter dem Titel »Ein völ­ki­scher Frei­geist« steht am Schluss des Buches ein Essay von Jens-Fiet­je Dwars, der auch Lek­to­rat und Gestal­tung (reich und tref­fend illu­striert) über­nom­men hat. Dwars gelingt es, die­se kru­de und teils gro­tes­ke Mischung von Ideen und Schlag­zei­len, von revo­lu­tio­nä­rem Auf­be­geh­ren und bie­der­sin­ni­ger Lebens­wei­se scharf­zu­zeich­nen. Wenn es um die Wur­zeln des Faschis­mus geht, um eine Zeit, als die NSDAP noch fast wie eine nor­ma­le Par­tei schien, als am völ­ki­schen Wesen noch kei­ne Welt soll­te gene­sen, wird man die­ses Buch als quel­len­ge­nau­es Werk her­an­zie­hen müssen.

Hei­de­ma­rie Hecht: »›An alle Leben­di­gen‹ – Fried­rich Muck-Lam­ber­ty. Ein völ­ki­scher Frei­geist«, quar­tus Ver­lag, 16,90