Vor hundert Jahren zog sie, vom Erzgebirge kommend, durch Franken und Thüringen: Kronach, Coburg, Sonneberg, Steinach, Lauscha, Spechtsbrunn, Leutenberg, Rudolstadt, Schwarza, Saalfeld, Ranis, Jena, Weimar, Erfurt, und, und … die Neue Schar mit ihrem Anführer Friedrich Muck-Lamberty. Sie hatten ihre Wurzeln in der Wandervogelbewegung. Nach dem verlorenen Krieg wollten sie die Welt ändern. Sie tanzten und sangen, junge Leute, Handwerker, Lehrerinnen. Gegen die industrielle Welt versuchten sie, eine »Revolution der Seele« zu setzen. Der Seelenrevolutionär war kein Student, sondern ein feuriger Redner in kurzen Hosen. Er spricht von medizinischen Irrtümern, erfolglosen Behandlungen und ärztlicher Geldschneiderei. Von den »Strahlkräften gesunder Menschen, die Kranke zu heilen vermögen«. Kommt uns das heute bekannt vor?
Heidemarie Hecht, einst Redakteurin der in der DDR und darüber hinaus bis 1993 erscheinenden Weltbühne, vor 20 Jahren nach Naumburg verzogen, hat das Leben dieses Fritz Lamberty, der sich selbst Muck nannte, 1891 in Straßburg geboren, nachgezeichnet. Was bei dessen unstetem Leben nicht leicht war, obwohl er sich stets gern in die Medien drängte. Seine Schar schien vom einfachen Leben angetan, von vegetarischen Speisen, von Keuschheit und Nacktkultur, alles bestens vereinbar. Den Winter 1920/21 verbringt die Truppe auf der Leuchtenburg, hoch über Kahla.
Doch das Verhängnis für Muck naht. Zwei Frauen bekommen Kinder von ihm, gleichzeitig. Eine dritte klagt an, führt die Polizei auf die Leuchtenburg. Muck muss gehen und wird in Naumburg zu einem gut verdienenden Holzkünstler mit zig Beschäftigten.
Diese Lebensphase hat Heidemarie Hecht bestens ausgeleuchtet, als Muck sich mal den Nazis andiente, dann wieder sich rebellisch zeigte. Er gab dem Nationalsozialismus »die meiste Aussicht auf die Errettung des deutschen Volkes vor oder aus dem drohenden Chaos«. 1951 verlässt er Naumburg gen Westen und stirbt hochbetagt 1984 im Westerwald.
Unter dem Titel »Ein völkischer Freigeist« steht am Schluss des Buches ein Essay von Jens-Fietje Dwars, der auch Lektorat und Gestaltung (reich und treffend illustriert) übernommen hat. Dwars gelingt es, diese krude und teils groteske Mischung von Ideen und Schlagzeilen, von revolutionärem Aufbegehren und biedersinniger Lebensweise scharfzuzeichnen. Wenn es um die Wurzeln des Faschismus geht, um eine Zeit, als die NSDAP noch fast wie eine normale Partei schien, als am völkischen Wesen noch keine Welt sollte genesen, wird man dieses Buch als quellengenaues Werk heranziehen müssen.
Heidemarie Hecht: »›An alle Lebendigen‹ – Friedrich Muck-Lamberty. Ein völkischer Freigeist«, quartus Verlag, 16,90 €