25 Jahre Ossietzky – ein Vierteljahrhundert unabhängige Gegenöffentlichkeit in rotem Gewand. Insgesamt sind an die 600 Ausgaben dieser Zweiwochenschrift für Politik, Wirtschaft & Kultur erschienen. Eine beachtliche Leistung aller Mitwirkenden, die es zu feiern gilt und denen zu danken ist. Dafür lohnt tatsächlich ein kurzer Rückblick ins Geburtsjahr 1997 – sofern mein Langzeitgedächtnis als Ossietzky-Mitherausgeber der ersten Stunde genügend hergibt. Für ein paar Gedanken, Streiflichter und kleine Ausblicke dürfte es reichen.
Ebenfalls Mitherausgeber der ersten Stunde war der Journalist Otto Köhler, der heute noch dem Ossietzky-Herausgeberkreis angehört. Zu den ursprünglich fünf Herausgebern – tatsächlich alles Männer – gehörten außerdem: der Soziologe und Politikwissenschaftler Arno Klönne, der Faschismusforscher Reinhard Kühnl sowie der Publizist und Ossietzky-Begründer Eckart Spoo. Sie alle leben leider nicht mehr und fehlen uns und Ossietzky sehr. Als ständige Mitarbeiter:innen waren damals schon die Schriftstellerin Daniela Dahn dabei (danach Mitherausgeberin) sowie der Kabarettist Dietrich Kittner und der Theater-Autor Peter Turrini. Also schon zu Beginn ein interessanter und bunt gemischter Herausgeber- und Autorenkreis. Inzwischen gibt es einen Kreis von wohl über 200 Menschen, die für Ossietzky geschrieben haben oder immer noch schreiben. Selbstkritisch anzumerken ist, dass dabei leider junge, weibliche und solche mit Migrationsgeschichte in der absoluten Minderheit geblieben sind.
Walter Jens und Günter Wallraff hatten seinerzeit in der »Nullnummer« Ende 1997 ihre Freude am Erscheinen von Ossietzky zum Ausdruck gebracht und den Titel als »äußerst anspruchsvoll« gewürdigt. Ossietzky hat sich seitdem bis heute selbstverständlich personell, thematisch und inhaltlich gewandelt, wie sich auch Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Staat, Geopolitik und Klima, die Probleme und Krisen dieses Landes, Europas und der Welt grundlegend, teils besorgniserregend verändert haben.
Dem Ossietzky-Begründer Eckart Spoo und weiteren Initiatoren ging es von Anfang an darum, in dem neuen Magazin gegen ökonomische, politische und militärische Herrschaftsansprüche anzuschreiben, internationale Zusammenhänge auszuleuchten und historische Hintergründe sichtbar zu machen. Die erste Ossietzky-Werbung brachte die Zielsetzung so zum Ausdruck und könnte heute noch Gültigkeit haben: »Informativ, knapp und klar. Gegen nationalistischen und rassistischen Dünkel. Gegen alle Ideologien, die soziale Ungleichheit zu rechtfertigen versuchen. Für die universalen Menschenrechte.« Später hieß es noch: »Die Zeitschrift, die mit Ernst und Witz der Arroganz der Macht entgegentritt.«
Beim Erinnern schießen mir noch ein paar heftige Probleme durch den Kopf, die das Zeitschriftenprojekt schon beim Entstehen fast zu Fall gebracht hätten und viel Stress verursachten. Nur zwei Beispiele: Am Anfang war die Titelfrage. Bekanntlich sollte das Magazin nach dem berühmten Vorbild Die Weltbühne benannt werden; es sollte dieser legendären radikaldemokratischen, antifaschistischen und antimilitaristischen Zeitschrift der Weimarer Republik nacheifern, die unter NS-Herrschaft 1933 verboten wurde (in der DDR wieder aufgelegt, 1993 eingestellt). Doch dieses Vorhaben scheiterte letztlich an mehreren rechtlichen Einwänden gegen die Titelnutzung, mit denen auch ich mich als Jurist herumschlagen durfte.
Die Herausgeber verzichteten angesichts der Gefahr teurer Unterlassungsverfahren auf gerichtlichen Streit und änderten den Namen selbstbewusst in »Ossietzky«. Der Name ist »Programm«, erinnert er doch an die publizistische Arbeit des Humanisten, Pazifisten und Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky, den verantwortlichen Redakteur der Weltbühne in Nachfolge von Kurt Tucholsky. Ossietzkys Tochter, Rosalinda von Ossietzky-Palm, ermunterte die Neugründer zu diesem Schritt. Und überhaupt gab es viel Zuspruch. Die Frankfurter Rundschau titelte von einer »gewagten Wiederbelebung«, die sich nunmehr 25 Jahre lang entwickeln und auch stabilisieren konnte – auch wenn wir uns Abozahlen und Außenwirkung durchaus stärker vorgestellt und gewünscht hatten. Vielleicht könnten ja mehr Debattenbeiträge und Kontroversen, die häufiger im Heft zu brisanten Problemen, Krisen und gesellschaftlichen Verwerfungen ausgetragen werden, das Interesse neuer Leserinnen und Leser wecken.
Gleich nach Erscheinen der Nullnummer kam es noch zu Komplikationen mit dem ersten Verlag in Süddeutschland, der Ossietzky verlegen sollte, so dass wir uns in die Obhut von Matthias Berger und Katrin Herrmann und ihrer »Interdruck« in Hannover (jetzt Dähre) begaben. Bis heute eine hervorragende Wahl und Kooperation. 1998 gründeten wir dann eigens für Zeitschrift und Buchproduktionen den Ossietzky Verlag (GmbH). Und das zunächst als Wochenschrift geplante Magazin wandelte sich ab der Nr. 1/1998 pragmatischerweise in eine Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft.
Nach diesen Erinnerungen an einige Anfangsschwierigkeiten möchte ich gern mit meinem »Geburtstagsständchen« an den herausragenden Initiator von Ossietzky erinnern: an Eckart Spoo, den eigentlichen Begründer des Projekts, an diesen ganz besonderen, politischen und geschichtsbewussten Menschen mit seiner so verbindlichen und zugewandten Art. Gleich nach seinem Ausscheiden als langjähriger Niedersachsen-Korrespondent der Frankfurter Rundschau widmete er sich mit viel Energie seinem »Gegenöffentlichkeitsprojekt«.
Eckarts Vorschlag, gleich zu Beginn in den Herausgeberkreis von Ossietzky einzusteigen und als Autor mitzuwirken, bin ich gern gefolgt. Ich fühlte mich ihm schon seit Längerem verbunden – vor allem wegen seiner konsequenten antifaschistischen, antimilitaristischen und friedenspolitischen Haltung und Aktivitäten. Dabei richtete sich sein menschenrechtliches und friedenspolitisches Augenmerk nicht allein auf Defizite in anderen Ländern, sondern besonders auf Probleme im eigenen Land, die er immer auch im Kontext sozialer Fragen sah.
Allzu gern wüsste ich, wie sich der Journalist, Medienkenner und -kritiker Eckart Spoo angesichts des Corona-»Ausnahmezustands« mitsamt seinen politischen und sozialen Verwerfungen positioniert hätte und wie angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, angesichts der medialen Kriegs- und Aufrüstungspropaganda, der Lieferung schwerer Waffen und des 100-Milliarden-Militarisierungsschubs. Kritisierte er doch schon 2014 in seinem Redebeitrag »Ukraine: Stoppt Eskalation und drohenden Krieg« vor dem ARD-Hauptstadtstudio in Berlin die einseitige Berichterstattung hierzulande: »Die Informationen, die Sie uns aus der Ukraine liefern, sind einseitig, parteiisch, unwahr oder halbwahr, was noch gefährlicher ist.« Sein Engagement für »innere Pressefreiheit« und gegen Medienkonzentration, für eine Demokratisierung der Medien, gegen mediale Sprachregelungen und publizistische Einfalt vermissen wir sehr – gerade in diesen Zeiten. Doch sein Projekt Ossietzky bleibt am Ball.
Eckart Spoo war ein Journalistenleben lang staats- und gesellschaftskritisch der Aufklärung verpflichtet und stellte unbequeme Fragen. Sein Motto: »Ich wurde Journalist, weil ich dachte, man muss aufklären. Man muss dazu beitragen, dass die Menschen die Wahrheit erfahren …«. Er bleibt für uns und künftige Generationen und auch für Ossietzky ein großes Vorbild.