Mit dem Briefwechsel von Carlfriedrich Claus (CC) und Lothar Lang (LL; für Freunde: Lola) im Verlag Faber & Faber wird ein konkreter Einblick vermittelt, wie LL die Kunstsituation mit Gleichgesinnten zu verändern suchte, um in der DDR den eingeengten Bildbegriff zu erweitern, damit insbesondere die Kunst von CC als einzigartig begriffen wird.
Seine intensive Begegnung mit CC, so erzählt es Gerhard Wolf in »Unsere Freunde, die Maler«, begann 1972 in Freienbrink im Haus von Lothar Lang, den er als »Entdecker von Malern und künstlerischen Begabungen« lobte und hervorhob, wie er »in der Weltbühne kleine, sehr präzise und anschauliche Porträts über Künstler, die nicht im Rampenlicht standen«, publiziert hat. Der berühmteste »Unbekannte«, Altenbourg, hatte LL auf Claus aufmerksam gemacht, erwähnt Brigitta Milde im einführenden Essay und sagt, dass CC, der weltweit ausstellte und eingebunden war in die »internationalen, internationalistischen Kommunikationen« (CC), »diametral der kleinbürgerlichen-materialistischen gesellschaftlichen Wirklichkeit der DDR (widersprach)«. Mit Zorn liest man, wie der machthabende »Plebs« CC, der die »Diskussion auf neues, auf marxistisches Niveau« (CC) heben wollte, als einen Feind und als schwachsinnig ansah.
Als LL 1966 zu CC Kontakt aufnahm, um ihn für die 50. Ausstellung mit dem Titel »Die Handzeichnung« im Kunstkabinett am Institut für Lehrerweiterbildung in Berlin, wo LL als Dozent für Ästhetik gewirkt hat, zu gewinnen, freute sich CC sehr, denn nun konnte er das erste Mal in der DDR ausstellen. Bereits 1961 in Wuppertal oder 1966 in West-Berlin in der Gruppenausstellung »Labyrinthe« von Eberhard Roters hatte er ausgestellt. Im Katalog nachgesehen, schließt Roters seinen Text mit ausdrücklicher Hervorhebung von Claus und seiner Federzeichnung »Studium der Verstandestätigkeit«. Diese Würdigung entspricht der von LL. Dagegen meinte der Vorstand vom Künstlerverband »KMSt«, dass seine Arbeiten nicht den Qualitätsansprüchen entsprechen. In kuriosen und obskuren Situationen gelingt den Künstlerkollegen dennoch die existenzsichernde Aufnahme von CC in den Verband.
Nach dem übersichtgebenden Vorwort von Elke Lang und dem informativen Essay von Brigitta Milde folgen die aufschlussreich kommentierten Briefe mit erhellenden Anmerkungen von Elke Lang in den Kapiteln »Schriftpoesie der Sprachblätter«; »Im Spannungsfeld«; »Öffentliche Präsenz«; »Nähe und Klausur«. Durch die thematische Gruppierung wird die zeitliche Anordnung der Briefe verunordnet. Zwar kann so gezeigt werden, wie Claus im Grafikkreis Magdeburg, im Freundeskreis der Literatur und Künste Hoyerswerda, in der Galeria Akumulatory Poznań, der Galerie Arkade Berlin oder im Staatlichen Museum Schloss Burgk sowie durch Publikation in Poesiealben von Erich Arendt und Volker Braun Öffentlichkeit gewann. Trotzdem wäre es besser gewesen, die Briefe in zeitlicher Abfolge dem ordnenden Sinn des Lesers zu überlassen. Interessanterweise erscheint im ersten Zwischentitel Werner Haftmanns Wort »Ausdrucksschrift«, ein Begriff, den LL zwar ablehnt, der jedoch von CC damit begründet wird, dass diese Schrift »Informationsträger« sei. Mit seinem systematischen Denken entdeckt CC inhaltliche Zusammenhänge. Daraus hätte sich ein größerer theoretischer Diskurs entwickeln können, wenn nicht LL in so vielen Projekten gesteckt hätte, die seine Zeit immens beansprucht haben, vor allem als er 1969 seine Dozentur verlor und freiberuflich tätig wurde. Doch schon anfangs erfasste LL mit Intuition und Fantasie das Bilddenken von CC und weist ihn 1967 auf L. O. Resnikows Semiotik hin. Er erörtert den Weg des optischen Erlebnisses zum Erfassen des semantischen Aspektes und beschreibt mit sprachlicher Anmut, dass CCs »Arbeiten feinen Lichtstrahlen vergleichbar (sind), die in einen Raum tasten, dessen Beschaffenheit unbekannt ist, die Reflexe dieser Strahlen treffen nur wenige (…), für diese aber sind sie dann Offenbarung«. Mit Einsicht in die besondere Qualität der Kunst verteidigte er CC und lieferte sich mit Willi Sitte ein Rededuell, dass CC in der Pariser Grafikausstellung zu sehen sein sollte und nicht Womacka. »Sitte machte saure Miene, aber akzeptierte« (LL).
Es ist zu erleben, wie LL auch über die Kabinettpresse das Schaffen CCs beflügelte. Über seine »experimentelle Arbeit in und mit der Sprache« klärt CC den Leser auf und gibt Einblick in seinen produktiven Umgang mit Marx, Prometheus, Bloch, Brecht, Becher, Uhlig, oder mit Geschehen in Chile oder Nordirland – womit er sich als heller politischer Kopf erweist.
»Den Fakt, dass meine Arbeit damals in der DDR tatsächlich totgeschwiegen wurde«, wollte CC nicht »zu einem Fressen für das kapitalistische Ausland machen«. Deshalb bricht er als Marxist mit Bernhard und Ursula Schultze, dem langjährig befreundeten Künstlerpaar aus der BRD, weil sie sagte, er habe in der DDR Ausstellungsverbot und würde unterdrückt. »Diese dummen Vorurteile« im Westen bedauert LL ebenfalls. Ein Moment des Kalten Krieges, der immer noch weiterlebt.
Mich berührte, dass Claus voll Trauer über die Niederschlagung des Prager Frühlings an Brechts »Lied von der Moldau« denkt und dadurch LL – wie auch mich – anregte, den Text neu zu lesen: »Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne/ Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.« Folgt daraus ein »unerklärliches Leuchten«? Das Buch ist ein großer Gewinn für die Geschichte der Kunst aus der DDR. Wir erfahren hier aus einer Primärquelle, was geschehen ist und wie sich ein Künstler und ein Kunstwissenschaftler dazu verhalten haben.
Carlfriedrich Claus/Lothar Lang: Der Briefwechsel. Herausgegeben von Elke Lang und mit einem Essay von Brigitta Milde Mit Abbildungen, Faber & Faber Verlag 2021, 192 S., 34 €.