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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein unerklärliches Leuchten

Mit dem Brief­wech­sel von Carl­fried­rich Claus (CC) und Lothar Lang (LL; für Freun­de: Lola) im Ver­lag Faber & Faber wird ein kon­kre­ter Ein­blick ver­mit­telt, wie LL die Kunst­si­tua­ti­on mit Gleich­ge­sinn­ten zu ver­än­dern such­te, um in der DDR den ein­ge­eng­ten Bild­be­griff zu erwei­tern, damit ins­be­son­de­re die Kunst von CC als ein­zig­ar­tig begrif­fen wird.

Sei­ne inten­si­ve Begeg­nung mit CC, so erzählt es Ger­hard Wolf in »Unse­re Freun­de, die Maler«, begann 1972 in Frei­en­brink im Haus von Lothar Lang, den er als »Ent­decker von Malern und künst­le­ri­schen Bega­bun­gen« lob­te und her­vor­hob, wie er »in der Weltbühne klei­ne, sehr prä­zi­se und anschau­li­che Por­träts über Künst­ler, die nicht im Ram­pen­licht stan­den«, publi­ziert hat. Der berühm­te­ste »Unbe­kann­te«, Alten­bourg, hat­te LL auf Claus auf­merk­sam gemacht, erwähnt Bri­git­ta Mil­de im ein­füh­ren­den Essay und sagt, dass CC, der welt­weit aus­stell­te und ein­ge­bun­den war in die »inter­na­tio­na­len, inter­na­tio­na­li­sti­schen Kom­mu­ni­ka­tio­nen« (CC), »dia­me­tral der klein­bür­ger­li­chen-mate­ria­li­sti­schen gesell­schaft­li­chen Wirk­lich­keit der DDR (wider­sprach)«. Mit Zorn liest man, wie der macht­ha­ben­de »Plebs« CC, der die »Dis­kus­si­on auf neu­es, auf mar­xi­sti­sches Niveau« (CC) heben woll­te, als einen Feind und als schwach­sin­nig ansah.

Als LL 1966 zu CC Kon­takt auf­nahm, um ihn für die 50. Aus­stel­lung mit dem Titel »Die Hand­zeich­nung« im Kunst­ka­bi­nett am Insti­tut für Leh­rer­wei­ter­bil­dung in Ber­lin, wo LL als Dozent für Ästhe­tik gewirkt hat, zu gewin­nen, freu­te sich CC sehr, denn nun konn­te er das erste Mal in der DDR aus­stel­len. Bereits 1961 in Wup­per­tal oder 1966 in West-Ber­lin in der Grup­pen­aus­stel­lung »Laby­rin­the« von Eber­hard Rot­ers hat­te er aus­ge­stellt. Im Kata­log nach­ge­se­hen, schließt Rot­ers sei­nen Text mit aus­drück­li­cher Her­vor­he­bung von Claus und sei­ner Feder­zeich­nung »Stu­di­um der Ver­stan­des­tä­tig­keit«. Die­se Wür­di­gung ent­spricht der von LL. Dage­gen mein­te der Vor­stand vom Künst­ler­ver­band »KMSt«, dass sei­ne Arbei­ten nicht den Qua­li­täts­an­sprü­chen ent­spre­chen. In kurio­sen und obsku­ren Situa­tio­nen gelingt den Künst­ler­kol­le­gen den­noch die exi­stenz­si­chern­de Auf­nah­me von CC in den Verband.

Nach dem über­sicht­ge­ben­den Vor­wort von Elke Lang und dem infor­ma­ti­ven Essay von Bri­git­ta Mil­de fol­gen die auf­schluss­reich kom­men­tier­ten Brie­fe mit erhel­len­den Anmer­kun­gen von Elke Lang in den Kapi­teln »Schrift­poe­sie der Sprach­blät­ter«; »Im Span­nungs­feld«; »Öffent­li­che Prä­senz«; »Nähe und Klau­sur«. Durch die the­ma­ti­sche Grup­pie­rung wird die zeit­li­che Anord­nung der Brie­fe ver­u­n­ord­net. Zwar kann so gezeigt wer­den, wie Claus im Gra­fik­kreis Mag­de­burg, im Freun­des­kreis der Lite­ra­tur und Kün­ste Hoyers­wer­da, in der Gale­ria Aku­mu­la­to­ry Poz­nań, der Gale­rie Arka­de Ber­lin oder im Staat­li­chen Muse­um Schloss Burgk sowie durch Publi­ka­ti­on in Poe­sie­al­ben von Erich Are­ndt und Vol­ker Braun Öffent­lich­keit gewann. Trotz­dem wäre es bes­ser gewe­sen, die Brie­fe in zeit­li­cher Abfol­ge dem ord­nen­den Sinn des Lesers zu über­las­sen. Inter­es­san­ter­wei­se erscheint im ersten Zwi­schen­ti­tel Wer­ner Haft­manns Wort »Aus­drucks­schrift«, ein Begriff, den LL zwar ablehnt, der jedoch von CC damit begrün­det wird, dass die­se Schrift »Infor­ma­ti­ons­trä­ger« sei. Mit sei­nem syste­ma­ti­schen Den­ken ent­deckt CC inhalt­li­che Zusam­men­hän­ge. Dar­aus hät­te sich ein grö­ße­rer theo­re­ti­scher Dis­kurs ent­wickeln kön­nen, wenn nicht LL in so vie­len Pro­jek­ten gesteckt hät­te, die sei­ne Zeit immens bean­sprucht haben, vor allem als er 1969 sei­ne Dozen­tur ver­lor und frei­be­ruf­lich tätig wur­de. Doch schon anfangs erfass­te LL mit Intui­ti­on und Fan­ta­sie das Bild­den­ken von CC und weist ihn 1967 auf L. O. Res­ni­kows Semio­tik hin. Er erör­tert den Weg des opti­schen Erleb­nis­ses zum Erfas­sen des seman­ti­schen Aspek­tes und beschreibt mit sprach­li­cher Anmut, dass CCs »Arbei­ten fei­nen Licht­strah­len ver­gleich­bar (sind), die in einen Raum tasten, des­sen Beschaf­fen­heit unbe­kannt ist, die Refle­xe die­ser Strah­len tref­fen nur weni­ge (…), für die­se aber sind sie dann Offen­ba­rung«. Mit Ein­sicht in die beson­de­re Qua­li­tät der Kunst ver­tei­dig­te er CC und lie­fer­te sich mit Wil­li Sit­te ein Rede­du­ell, dass CC in der Pari­ser Gra­fik­aus­stel­lung zu sehen sein soll­te und nicht Womacka. »Sit­te mach­te sau­re Mie­ne, aber akzep­tier­te« (LL).

Es ist zu erle­ben, wie LL auch über die Kabi­nett­pres­se das Schaf­fen CCs beflü­gel­te. Über sei­ne »expe­ri­men­tel­le Arbeit in und mit der Spra­che« klärt CC den Leser auf und gibt Ein­blick in sei­nen pro­duk­ti­ven Umgang mit Marx, Pro­me­theus, Bloch, Brecht, Becher, Uhl­ig, oder mit Gesche­hen in Chi­le oder Nord­ir­land – womit er sich als hel­ler poli­ti­scher Kopf erweist.

»Den Fakt, dass mei­ne Arbeit damals in der DDR tat­säch­lich tot­ge­schwie­gen wur­de«, woll­te CC nicht »zu einem Fres­sen für das kapi­ta­li­sti­sche Aus­land machen«. Des­halb bricht er als Mar­xist mit Bern­hard und Ursu­la Schult­ze, dem lang­jäh­rig befreun­de­ten Künst­ler­paar aus der BRD, weil sie sag­te, er habe in der DDR Aus­stel­lungs­ver­bot und wür­de unter­drückt. »Die­se dum­men Vor­ur­tei­le« im Westen bedau­ert LL eben­falls. Ein Moment des Kal­ten Krie­ges, der immer noch weiterlebt.

Mich berühr­te, dass Claus voll Trau­er über die Nie­der­schla­gung des Pra­ger Früh­lings an Brechts »Lied von der Mol­dau« denkt und dadurch LL – wie auch mich – anreg­te, den Text neu zu lesen: »Es wech­seln die Zei­ten. Die rie­si­gen Pläne/​ Der Mäch­ti­gen kom­men am Ende zum Halt.« Folgt dar­aus ein »uner­klär­li­ches Leuch­ten«? Das Buch ist ein gro­ßer Gewinn für die Geschich­te der Kunst aus der DDR. Wir erfah­ren hier aus einer Pri­mär­quel­le, was gesche­hen ist und wie sich ein Künst­ler und ein Kunst­wis­sen­schaft­ler dazu ver­hal­ten haben.

Carl­fried­rich Claus/​Lothar Lang: Der Brief­wech­sel. Her­aus­ge­ge­ben von Elke Lang und mit einem Essay von Bri­git­ta Mil­de Mit Abbil­dun­gen, Faber & Faber Ver­lag 2021, 192 S., 34 €.