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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein Machtwort

Olaf Scholz hat es weit gebracht. Nicht nur »unse­re« Ukrai­ne wird mit allen mög­li­chen Qua­si-Kul­tur­aus­zeich­nun­gen ein­ge­deckt; um ein­mal bild­lich so schief zu for­mu­lie­ren wie die jah­res­end­zeit­lich enthu­si­as­mier­ten Medi­en: Auch der eisern ent­schlos­se­ne Kanz­ler kann sich im Bereich sprach­li­chen Schaf­fens eine Feder an die Hau­bit­ze stecken, mit der er sein Volk behü­tet. »›Zei­ten­wen­de‹ steht im Zusam­men­hang mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne und wur­de unter ande­rem von Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) auf­ge­grif­fen und(!) geprägt« (zdf.de, 09.12.2022). Nun, dazu sei zuerst ein­mal nur wort­klau­be­risch ange­merkt: Man muss sich schon ent­schei­den, ob der Begriff »auf­ge­grif­fen« oder »geprägt« wur­de. Bei­des zusam­men geht nicht; Odo Mar­quard z. B. griff das Wort »Inkom­pe­tenz­kom­pen­sa­ti­ons­kom­pe­tenz« nicht ein­fach auf – er präg­te damit einen, sei­nen Begriff.

Wes­halb nun »prägt« Scholz trotz­dem? Die das Wort des Jah­res Küren­den geben Aus­kunft: »Das kei­nes­wegs neue Wort, das spe­zi­ell für den Beginn der christ­li­chen Zeit­rech­nung, in all­ge­mei­ne­rer Bedeu­tung auch für jeden belie­bi­gen Über­gang in eine neue Ära steht, wur­de in die­sem zwei­ten Sin­ne pro­mi­nent von Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz ver­wen­det« (Begrün­dung der GfDS-Jury). Der Umstand, dass sich die Spra­che der Macht des Begriffs bedient, adelt die­sen und durch den stän­di­gen Wider­hall in den media­len Echo­kam­mern auch des­sen Ver­kün­der. Anschei­nend trifft »die Zei­ten­wen­de« den Nagel der Zeit so mar­kant auf den Kopf, dass sich Mar­tin Ben­ning­hoff in der Weih­nachts­aus­ga­be der Frank­fur­ter Rund­schau tief beein­druckt zeigt: »Der Begriff saß, und er sitzt immer noch, zehn Mona­te spä­ter, am Puls der Zeit (klingt komisch, aber: egal!), und er kam zum rich­ti­gen Zeit­punkt. Als Cla­im wird er die Amtszeit(en) die­ses Kanz­lers über­dau­ern.« Also: Welch Sprachkraft!

Die Wahl des Begriffs ist begrün­det und von anhal­ten­der Rele­vanz. Ihm wohnt inne, was man braucht, um mit sprach­li­cher Falsch- und Ummün­ze­rei eine wol­ki­ge Recht­fer­ti­gung des­sen zu kon­stru­ie­ren, dass, weil nichts mehr so ist, wie es war (wofür »wir« natür­lich über­haupt nichts kön­nen), alles not­ge­drun­gen anders wer­den muss. Die­sem Impe­ra­tiv »der Geschich­te«, die­ser »histo­ri­schen Not­wen­dig­keit«, deren unhin­ter­geh­ba­rer Grund leicht nam­haft zu machen ist, kann sich der deut­sche Staat nicht ent­zie­hen. Das ist schon ein heh­res über­le­bens­not­wen­di­ges und lau­te­res Motiv dafür, die Gesell­schaft so umzu­bau­en, dass sie auf kei­ne Ver­bin­dung dem Feind gegen­über mehr ange­wie­sen ist, und »die Zei­ten­wen­de« mit neu­en Arse­na­len und fri­scher Ver­nich­tungs­kraft so in Angriff zu neh­men, dass wir begrün­det auf eine Welt ohne Putin hof­fen dür­fen. Mit dem Aus­ru­fen der »Zei­ten­wen­de« – man spürt gera­de­zu das Wehen des Man­tels der Geschich­te, der sich um die für des Geschickes Mäch­te gerü­ste­ten Kanz­ler­schul­tern legt – wird der Bevöl­ke­rung das, was die Poli­tik will, weil sie es kann, als neu­es »Schick­sal« prä­sen­tiert. Dar­ein, in »unse­ren Kampf«, wird und lässt sich der anstän­di­ge Bür­ger auch enga­giert schicken. Er ist es ja gewohnt und hat, jeder an sei­nem Platz, die Bot­schaft des Jah­res schon ver­in­ner­licht. Das Wort des Herrn ist volks­emp­fäng­lich angekommen.