Als nach 101 Minuten der Dokumentarfilm zu Ende war, blieb ich, wie von einem mich emotional tief berührenden Spielfilm, noch einen Moment schweigend sitzen. Dann erhob mich langsam, als wollte ich eine Verbeugung andeuten. »Walter Kaufmann. Welch ein Leben!« Welch ein Mensch! Und was für Bücher! Allein 39 deutschsprachige. Schon die Titel geben Auskunft über Lebensorte und Reportage-Reisen von Walter Kaufmann. »Der Fluch von Maralinga«, »Feuer am Suvastrand«, »Begegnung mit Amerika heute«, »Unter australischer Sonne«, »Unterwegs zu Angela« (Davis), »Reisen ins gelobte Land«, »Im Schloss zu Mecklenburg und anderswo«. Und sie markieren auch Lebensmaxime des großartigen Reporters und Schriftstellers. »Kreuzwege«, »Am Kai der Hoffnung«, »Stimmen im Sturm«, »Wir lachen, weil wir weinen«, »Die Zeit berühren«, »Gelebtes Leben«, »Schade, dass du Jude bist«, »Meine Sehnsucht ist noch unterwegs«. Walter Kaufmann starb am 15.4.2021 im Alter von 97 Jahren.
Ein Jahrhundertschicksal. Beschrieben hat Walter Kaufmann die Wirklichkeit dieser Zeit in der Form der klassischen literarischen Reportage. Sein Vorbild dafür war der »Rasende Reporter« Egon Erwin Kisch. Kisch, der immer behauptet hatte: »Nichts ist fantastischer als die Wahrheit.«
Die Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies werben für ihren Film mit der Ankündigung: »Schillernder als jedes Drehbuch ist das Leben von Walter Kaufmann.« Und damit haben sie hundertprozentig recht. Vor allem, weil sie die Fakten seines Lebens geschickt aus Details zusammengesetzt und in Bildern kunstvoll gestaltet haben. Zahlen und Fakten, das beherzigte Walter Kaufmann in all seinen Büchern, können nur das Gerüst sein. Damit sie beim Leser oder Betrachter emotional anschaulich wirken, müssen sie in konkrete Bilder umgewandelt werden. Was die beiden Filmemacher meisterhaft beherrschen. Und nun kann ich die Eingangsausrufe vervollständigen: »Was für ein Leben! Was für ein Mensch! Was für Bücher! Und was für ein Film!«
Er besticht nicht nur durch die Originalinterviews mit den 97-Jährigen, der noch sehr lebendig erzählt und sich erstaunlich genau an Einzelheiten erinnert, sondern auch durch historische Zeitaufnahmen und eindrucksvolle aktuelle Landschaftsbilder von den Orten seines Lebens.
Nicht überall konnten die hiesigen Filmemacher wegen der Pandemiebeschränkungen an den Originalschauplätzen selbst drehen. Also baten sie Kameraleute in diesen Ländern um solidarische Hilfe. Und diese arbeiteten dort nach den konkreten Angaben von Karin Kaper und Dirk Szuszies. Teilweise konnten sie ihre Aufnahmen erst 2021 nach Berlin schicken. Im April war der Film fertig. Eine große Solidaritätsaktion für die Filmemacher*innen und für Walter Kaufmann, der die Kinopremiere leider nicht mehr erleben konnte. Internationale Solidarität war für ihn stets ein Lebensmotto gewesen.
Ein Postskriptum: Wir konnten den Film in Suhl sehen und dort auch mit Dirk Szuszies sprechen. Organisiert hatte die Veranstaltung Wieland Koch von der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung. Danke für diese Initiative. Und die Bitte, dass sich noch viele Vereine, Organisationen, Parteien, Schulen und Stiftungen bemühen, den Jahrhundertfilm zu zeigen. Und das nicht nur weil auch der Holocaust (Walter Kaufmanns Adoptiveltern wurden im KZ Auschwitz ermordet) in diesem Film ausführlich, genau und bewegend dargestellt wird. Weltgeschichte. Deutsche Geschichte. »Walter Kaufmann. Was für ein Leben!«
Anmerkung der Redaktion: Nach dem sehr erfolgreichen bundesweiten Kinostart im Oktober 2021 wurden ab Mitte November alle Veranstaltungen abgesagt. Schweren Herzens haben sich die Filmemacher entschlossen, den Film erst nach dem Ende der Osterferien wieder in den Kinos auszuwerten. Alle Infos zum Film sowie zukünftige Termine sind hier zu finden: www.walterkaufmannfilm.de