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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein Jahrhundertleben

Als nach 101 Minu­ten der Doku­men­tar­film zu Ende war, blieb ich, wie von einem mich emo­tio­nal tief berüh­ren­den Spiel­film, noch einen Moment schwei­gend sit­zen. Dann erhob mich lang­sam, als woll­te ich eine Ver­beu­gung andeu­ten. »Wal­ter Kauf­mann. Welch ein Leben!« Welch ein Mensch! Und was für Bücher! Allein 39 deutsch­spra­chi­ge. Schon die Titel geben Aus­kunft über Lebens­or­te und Repor­ta­ge-Rei­sen von Wal­ter Kauf­mann. »Der Fluch von Mara­lin­ga«, »Feu­er am Suva­strand«, »Begeg­nung mit Ame­ri­ka heu­te«, »Unter austra­li­scher Son­ne«, »Unter­wegs zu Ange­la« (Davis), »Rei­sen ins gelob­te Land«, »Im Schloss zu Meck­len­burg und anders­wo«. Und sie mar­kie­ren auch Lebens­ma­xi­me des groß­ar­ti­gen Repor­ters und Schrift­stel­lers. »Kreuz­we­ge«, »Am Kai der Hoff­nung«, »Stim­men im Sturm«, »Wir lachen, weil wir wei­nen«, »Die Zeit berüh­ren«, »Geleb­tes Leben«, »Scha­de, dass du Jude bist«, »Mei­ne Sehn­sucht ist noch unter­wegs«. Wal­ter Kauf­mann starb am 15.4.2021 im Alter von 97 Jahren.

Ein Jahr­hun­dert­schick­sal. Beschrie­ben hat Wal­ter Kauf­mann die Wirk­lich­keit die­ser Zeit in der Form der klas­si­schen lite­ra­ri­schen Repor­ta­ge. Sein Vor­bild dafür war der »Rasen­de Repor­ter« Egon Erwin Kisch. Kisch, der immer behaup­tet hat­te: »Nichts ist fan­ta­sti­scher als die Wahrheit.«

Die Fil­me­ma­cher Karin Kaper und Dirk Szu­s­zi­es wer­ben für ihren Film mit der Ankün­di­gung: »Schil­lern­der als jedes Dreh­buch ist das Leben von Wal­ter Kauf­mann.« Und damit haben sie hun­dert­pro­zen­tig recht. Vor allem, weil sie die Fak­ten sei­nes Lebens geschickt aus Details zusam­men­ge­setzt und in Bil­dern kunst­voll gestal­tet haben. Zah­len und Fak­ten, das beher­zig­te Wal­ter Kauf­mann in all sei­nen Büchern, kön­nen nur das Gerüst sein. Damit sie beim Leser oder Betrach­ter emo­tio­nal anschau­lich wir­ken, müs­sen sie in kon­kre­te Bil­der umge­wan­delt wer­den. Was die bei­den Fil­me­ma­cher mei­ster­haft beherr­schen. Und nun kann ich die Ein­gangs­aus­ru­fe ver­voll­stän­di­gen: »Was für ein Leben! Was für ein Mensch! Was für Bücher! Und was für ein Film!«

Er besticht nicht nur durch die Ori­gi­nal­in­ter­views mit den 97-Jäh­ri­gen, der noch sehr leben­dig erzählt und sich erstaun­lich genau an Ein­zel­hei­ten erin­nert, son­dern auch durch histo­ri­sche Zeit­auf­nah­men und ein­drucks­vol­le aktu­el­le Land­schafts­bil­der von den Orten sei­nes Lebens.

Nicht über­all konn­ten die hie­si­gen Fil­me­ma­cher wegen der Pan­de­mie­be­schrän­kun­gen an den Ori­gi­nal­schau­plät­zen selbst dre­hen. Also baten sie Kame­ra­leu­te in die­sen Län­dern um soli­da­ri­sche Hil­fe. Und die­se arbei­te­ten dort nach den kon­kre­ten Anga­ben von Karin Kaper und Dirk Szu­s­zi­es. Teil­wei­se konn­ten sie ihre Auf­nah­men erst 2021 nach Ber­lin schicken. Im April war der Film fer­tig. Eine gro­ße Soli­da­ri­täts­ak­ti­on für die Filmemacher*innen und für Wal­ter Kauf­mann, der die Kino­pre­mie­re lei­der nicht mehr erle­ben konn­te. Inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät war für ihn stets ein Lebens­mot­to gewesen.

Ein Post­skrip­tum: Wir konn­ten den Film in Suhl sehen und dort auch mit Dirk Szu­s­zi­es spre­chen. Orga­ni­siert hat­te die Ver­an­stal­tung Wie­land Koch von der Thü­rin­ger Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung. Dan­ke für die­se Initia­ti­ve. Und die Bit­te, dass sich noch vie­le Ver­ei­ne, Orga­ni­sa­tio­nen, Par­tei­en, Schu­len und Stif­tun­gen bemü­hen, den Jahr­hun­dert­film zu zei­gen. Und das nicht nur weil auch der Holo­caust (Wal­ter Kauf­manns Adop­tiv­el­tern wur­den im KZ Ausch­witz ermor­det) in die­sem Film aus­führ­lich, genau und bewe­gend dar­ge­stellt wird. Welt­ge­schich­te. Deut­sche Geschich­te. »Wal­ter Kauf­mann. Was für ein Leben!«

Anmer­kung der Redak­ti­on: Nach dem sehr erfolg­rei­chen bun­des­wei­ten Kino­start im Okto­ber 2021 wur­den ab Mit­te Novem­ber alle Ver­an­stal­tun­gen abge­sagt. Schwe­ren Her­zens haben sich die Fil­me­ma­cher ent­schlos­sen, den Film erst nach dem Ende der Oster­fe­ri­en wie­der in den Kinos aus­zu­wer­ten. Alle Infos zum Film sowie zukünf­ti­ge Ter­mi­ne sind hier zu fin­den: www.walterkaufmannfilm.de