Das lobenswerte Unterfangen des Mitteldeutschen Verlags, georgische Literatur hierzulande bekannt zu machen, hat mit der Veröffentlichung von Lana Gogoberidses Autobiografie eine weitere Bereicherung erfahren. Die preisgekrönte Filmemacherin nahm sich dabei vor, das »Geheimnis unseres Daseins entschlüsseln« zu wollen – die Unausführbarkeit solchen Wollens eingestehend. Entstanden ist ein in vielen Passagen fesselndes, ehrliches Buch. Erst im letzten Drittel des Werkes fällt der Spannungsbogen, denn die Autorin verliert sich in Reiseberichten, Erzählungen von Begegnungen mit Filmgrößen oder Berichten von Filmfestivals. Da fällt einem dann Redundanz aufs Gemüt, sprachliche Schnitzer des Übersetzers treten noch deutlicher hervor.
Starke Wirkung entsteht dadurch, dass es der 1928 Geborenen gelingt, für die Schilderungen ihrer Kindheit und Jugend eben diese Perspektive wiederzugewinnen. Im Tbilissi toben die Säuberungswellen Stalins: Haussuchungen, Entfernung aus dem Amt, Verhaftungen und Todesurteile gehören zum Alltag. Das Kind Lana erlebt den Irrsinn: Eine Frau aus der Nachbarschaft geht von Tür zu Tür, um zu erzählen, dass nun ihr Mann »abgeholt« worden sei – gleichsam als Signal der Zugehörigkeit. Lanas Vater, ein hoher Parteifunktionär, wird erschossen, ihre künstlerisch tätige Mutter für zehn Jahre in ein Lager im hohen Norden Russlands deportiert. Die Texte dieser Frau, die Lana Gogoberidse in ihr Buch aufgenommen hat, gehören zu dessen ergreifendsten Passagen. Dieses Schicksal hat die Filmemacherin nicht losgelassen, ihr Film »Walzer auf der Petschora« zeugt davon. Beider Leben ist ein Zeugnis dafür, wie Kunst, wie Gedichte, Musik, Theaterspiel beim Überleben helfen. Denn obwohl die geschilderten Leben, vor allem das Gogoberidses, oft tieftraurig sind, ist doch von Fröhlichkeit, vom Singen und Tanzen die Rede. Darum geht von dem Buch eine stärkende Kraft aus.
Allen Absurditäten und Zwängen des sowjetischen Lebens zum Trotz gelang Gogoberidse der Aufstieg: das Studium, die Promotion über Whitman, die Arbeit als Filmemacherin. Sie trat in die Kommunistische Partei ein, nach ihren Worten ein heftig bereuter Schritt. Doch erstaunlich ist es schon, wie jemand, der so häufig Opfer der Verhältnisse wurde, auch mit den Tätern gut zurechtkommt. So geht sie eine Zeitlang beim gefürchteten Parteibonzen Mikojan ein und aus, der ihren Vater gut gekannt hatte, ihn aber nicht retten konnte. Auch mit Eduard Schewardnadse war sie gut bekannt, und zwar schon, als er noch Minister für »öffentliche Ordnung« oder Innenminister in der Georgischen Sowjetrepublik und nicht Gorbatschows Außenminister war. Aber anpassen muss sich, wer leben will. Und das will Lana Gogoberidse: leben und filmen. Noch mit über neunzig steht sie mitunter am Filmset. Und wer sich noch an die starke Wirkung georgischer Filme erinnert, der sollte das Buch lesen.
Lana Gogoberidse: »Ich trank Gift wie kachetischen Wein«, aus dem Georgischen von David Kakabadse, Mitteldeutscher Verlag, 532 Seiten, 25 €