… gibt es nicht. Es gibt Frieden oder es gibt Krieg, Konflikt, Revolution und allenfalls Waffenruhe. Solange ich denken kann, war das Thema Frieden präsent für mich. Angefangen vom Gelöbnis der Jung- und Thälmannpioniere »für Frieden und Sozialismus seid bereit – immer bereit«, bis hin zum Friedensgebet jeden Freitag um achtzehn Uhr in der Kirche. Ich habe eine Kerze angezündet und gesungen: »Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine.« Doch, wir anderen sind für unsere Taten verantwortlich und haben die Pflicht, für den Frieden zu streiten. Gerne mit Gottes Hilfe, aber die anderen, das sind vor allem wir.
Als Kind habe ich ein selbstgemaltes Plakat an meine Zimmerwand geklebt, mit einem Auszug des Propheten Micha, Kapitel 4 der Bibel: »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen.« Wer hätte damals gedacht, dass dieser Bibelvers, der die Friedensbewegung der DDR in den 80er Jahren begründete, von der Bundesrepublik übernommen werden würde. Eines der bekanntesten Kinderlieder in der ehemaligen DDR ist von Ursula Gröger verfasst worden: »Über allen strahlt die Sonne, über allen in der Welt. Alle Kinder wollen Frieden, Frieden, der das Glück erhält. Froh und glücklich will doch spielen auf der Erde jedes Kind, ob nun seine Eltern Schwarze, Gelbe oder Weiße sind. Darum höret unsre Bitte, hütet gut den Frieden Ihr. Dass die Kinder aller Länder froh und glücklich sind, wie wir.« Dieses Lied habe ich im Juni 1981 zum XI. Parlament der FDJ im Palast der Republik in Berlin gesungen. Ich war in der 6. Klasse und zur Vorbereitung für ca. drei Wochen in der Pionierrepublik »Wilhelm Pieck« am Werbellinsee. Neben dem normalen Schulunterricht erhielt ich Sprech- und Gesangstraining. Die Pioniere sollten den FDJlern einen kleinen Gruß überbringen – aber bitte ohne einen ostthüringischen oder sächsischen Akzenteinschlag. Ich erinnere mich noch an einen Abschnitt meiner Rede, in der die Freundschaft unserer Schule zur 23. Oberschule in Pskov und der Schule in Schilowo beschworen wurde: »dass wir Pioniere den Frieden lieben und davon handelt auch mein kleines Lied…« Ich stand auf der Bühne und wurde von einer jungen Frau mit Gitarre begleitet. Währenddessen saßen meine Eltern zuhause vor unserem ersten Farbfernseher, mit einem Kabel zum Kassettenrecorder verbunden, und warteten auf meinen Auftritt. Mein Vater nahm den Beitrag auf Kassette auf und fotografierte den Bildschirm mit unserem Apparat, in den ein schwarz-weiß-Film eingelegt war.
Damals war ich zwölf Jahre, so alt wie unser jüngster Sohn heute. Ich habe nachgeschaut, wo Pskov und Schilowo liegen; Pskov im Nordwesten Russlands, nahe der Grenze zu Estland; Schilowo befindet sich in Zentralrussland in der Oka-Don-Ebene. Vermutlich haben die Kinder, mit denen wir zu Beginn der 80er Jahre Brieffreundschaften pflegten, heute auch Söhne und Töchter, einige davon erwachsene Männer, die schon eigene Kinder haben und die ich gern an mein Lied von damals erinnern würde.
Meine Kinder sind das erste Mal mit einem Krieg konfrontiert, dessen Schauplatz sie sich geografisch vorstellen können und der sie beunruhigt. Polen und die Ukraine sind in unserem Bewusstsein herangerückt, die Entfernung zu Berlin ist deutlich geringer als nach Italien. Für mich existiert ein musikalisches Manifest mit universeller Kraft, der Song Peace train: »Oh, I’ve been smilin’ lately, dreaming about the world as one. And I believe it could be some day it’s going to come. ’Cause out on the edge of darkness, there rides a peace train. Oh, peace train take this country, come take me home again. Now I’ve been smiling lately, thinkin’ about the good things to come. And I believe it could be something good has begun.« Wir brauchen mehr als ein bisschen Frieden.