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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein außergewöhnlicher Geschenketausch

1716/​17 unter­nahm der rus­si­sche Zar Peter der Gro­ße mit gro­ßem Gefol­ge eine Rei­se nach West­eu­ro­pa, die fast andert­halb Jah­re dau­er­te. Dabei kam es zu einem Tref­fen mit dem Preu­ßen­kö­nig Fried­rich Wil­helm I. in Havel­berg. An dem Tref­fen, das vom 23. bis 28. Novem­ber 1716 dau­er­te, nah­men auch Gesand­te aus Sach­sen-Polen, Däne­mark, Eng­land und Han­no­ver sowie der Her­zog von Meck­len­burg-Schwe­rin teil – dazu zahl­rei­che Mini­ster und Mili­tärs, die im Wesent­li­chen die Ver­hand­lun­gen führ­ten. Unter­brin­gung, Ver­sor­gung und Betreu­ung der pro­mi­nen­ten Gäste waren sicher eine Her­aus­for­de­rung für das klei­ne Havel­berg. Am Ende der hoch­ran­gi­gen Zusam­men­kunft wur­de die »Kon­ven­ti­on von Havel­berg« zur Koali­ti­on gegen Schwe­den unter­zeich­net, in der man sich gegen­sei­tig der mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zung versicherte.

Da die wich­ti­gen Tei­le der Ver­hand­lun­gen meist unter vier Augen der bei­den Herr­scher ablie­fen, gibt es nur weni­ge Berich­te über das histo­ri­sche Tref­fen. Viel­leicht hät­te die Geschich­te schon längst das Tuch des Ver­ges­sens dar­über aus­ge­brei­tet, wären da nicht die Gast­ge­schen­ke, die die bei­den Für­sten gegen­sei­tig aus­tausch­ten. Peter I. erhielt das spä­ter berühm­te Bern­stein­zim­mer, das Fried­rich I. für sein Schloss Char­lot­ten­burg in Auf­trag gege­ben hat­te. Die Ent­wür­fe zu die­ser kom­plet­ten Wand­ver­klei­dung aus Bern­stein stamm­ten von dem bekann­ten Ber­li­ner Hof­ar­chi­tek­ten und Bild­hau­er Andre­as Schlü­ter. Fast zehn Jah­re dau­er­te die Rea­li­sie­rung, und die Aus­füh­rung lag in den Hän­den der besten Bern­stein­schnit­zer der dama­li­gen Zeit. 30.000 Taler soll das Kabi­nett geko­stet haben, doch dann erwies sich der ursprüng­lich geplan­te Ort im Schloss Char­lot­ten­burg als unge­eig­net, und so »lan­de­te« es schließ­lich im Ber­li­ner Stadtschloss.

Als Fried­rich I. im Febru­ar 1713 gestor­ben war, hat­te sein Sohn und Nach­fol­ger Fried­rich Wil­helm I. wenig übrig für den Kunst­sinn sei­nes Vaters; ihm lag mehr an der mili­tä­ri­schen Macht Preu­ßens. So mach­te er das Bern­stein­zim­mer neben dem Jagd­schiff »Die Kro­ne« dem Zaren zum Geschenk. Das in Hol­land gebau­te Schiff hat­te Fried­rich I. immer­hin 100.000 Taler geko­stet, also mehr als das Drei­fa­che des Bern­stein­zim­mers. Die wert­vol­len Geschen­ke sorg­ten schon damals für Schlag­zei­len. So berich­te­te eine Ber­li­ner Zei­tung, »daß der König dem Czaar zwey kost­bah­re prae­sen­te gethan hat, nem­lich das präch­ti­ge und schö­ne Jagdt­schiff … und ein prä­ti­eu­ses Bern­stein-Getäf­fel zu einer vol­lenkom­me­nen Beklei­dung und Aus­schla­gung eines Cabi­nets. … Der Czaar hat mit gro­ßer Ver­bind­lich­keit zu erken­nen gege­ben, daß er auf ein Gegen­prae­sent starck wür­de bedacht seyn.«

Nach dem Tref­fen setz­te Peter der Gro­ße sei­ne Euro­pa-Rei­se über Ham­burg nach Hol­land und Frank­reich fort, ehe er ein knap­pes Jahr spä­ter die Rück­rei­se antrat, wo er auf preu­ßi­schem Gebiet eine Woche Halt in Ber­lin mach­te. In der Zwi­schen­zeit war das Bern­stein­zim­mer in 18 gro­ße Kisten ver­packt wor­den und auf die Rei­se nach Peters­burg gegan­gen. Bereits hier begann das bis heu­te andau­ern­de Rät­sel um das Bern­stein­zim­mer – obwohl in fast allen histo­ri­schen Dar­stel­lun­gen über­ein­stim­mend von den besag­ten 18 Kisten berich­tet wird, gibt es über deren Rei­se­rou­te unter­schied­li­che Anga­ben. Lan­ge wur­de ver­mu­tet, dass sie mit dem Jagd­schiff trans­por­tiert wur­den; doch man­che Histo­ri­ker berich­ten, dass die­ses erst 1719 Ham­burg ver­las­sen habe, und da war das Bern­stein­zim­mer längst in Peters­burg. Aus Rech­nungs­be­le­gen für Zim­mer­leu­te, Auf­se­her und Schirr­mei­ster, für Pfer­de und Lei­ter­wa­gen geht her­vor, dass die beschwer­li­che Über­füh­rung zumin­dest teil­wei­se zu Land erfolg­te. So wur­den die Kisten wahr­schein­lich im Früh­jahr 1717 zunächst auf dem Land­weg nach Kol­berg (heu­te Koło­brzeg) an der Ost­see trans­por­tiert und anschlie­ßend nach Memel (Klaipė­da) ver­schifft. Von dort wur­den sie an die rus­si­sche Gren­ze gebracht, wo sie von rus­si­schen Gesand­ten über­nom­men wur­den. Für die­se Über­ga­be und den Wei­ter­trans­port über Riga hat­te Peter der Gro­ße genaue Instruk­tio­nen übermittelt.

Nach einer Odys­see mit vie­len Sta­tio­nen in Peters­burg ange­kom­men, wur­de das Bern­stein­zim­mer zunächst im alten Win­ter­haus, dann sechs Jah­re spä­ter im Neu­en Win­ter­pa­lais und 1755 schließ­lich im Katha­ri­nen­pa­lais in Zar­s­ko­je Selo instal­liert. Da der Saal hier aber viel grö­ßer als im Ber­li­ner Stadt­schloss war, wur­de die Bern­stein-Ver­tä­fe­lung mit neu­en Ele­men­ten ergänzt. Im Ber­li­ner Stadt­schloss dage­gen ließ Fried­rich Wil­helm in dem Zim­mer, das nun sei­ner Bern­stein­ver­klei­dung beraubt war, eine hol­län­di­sche Küche ein­rich­ten, was damals gro­ße Mode war. Statt dem honig­gel­ben »Gold der Ost­see« zier­ten nun Flie­sen die Wän­de, sicher­lich kei­ne Bil­lig­wa­re, son­dern fei­ne hol­län­di­sche Fay­ence­f­lie­sen aus Delft.

Wie jeder weiß, ende­te in Peters­burg nicht die Geschich­te des Bern­stein­zim­mers, son­dern nahm erst ihren auf­se­hen­er­re­gen­den Anfang durch die nach­fol­gen­den Jahr­hun­der­te bis zur nun über sieb­zig Jah­re anhal­ten­den Suche nach ihm. Bis in unse­re heu­ti­gen Tage geht von dem Zim­mer eine der­ar­ti­ge Fas­zi­na­ti­on aus, dass es oft als das »ach­te Welt­wun­der« bezeich­net wird.

Doch keh­ren wir nach Havel­berg zurück und zu der Fra­ge, was Peter der Gro­ße eigent­lich unter einem »Gegen­prae­sent mit gro­ßer Ver­bind­lich­keit« ver­stand. Dar­an erin­ner­te er sich erst etli­che Mona­te nach sei­ner Rück­kehr, und so tra­fen im Som­mer 1718 in Ber­lin für Fried­rich Wil­helm I. neben ande­ren Geschen­ken 55 »mit treff­li­chen Geweh­ren« bewaff­ne­te »lan­ge Kerls« ein. Sie waren eine Vor­lie­be des Preu­ßen­kö­nigs. Die Sol­da­ten sei­nes Gar­de­re­gi­ments muss­ten alle min­de­stens sechs preu­ßi­sche Fuß – das waren immer­hin knapp 1,90 Meter – mes­sen, was ange­sichts der damals übli­chen Kör­per­grö­ßen schon eine Sel­ten­heit war. Wenn es um die Beschaf­fung von »lan­gen Kerls« ging, ver­gaß der sonst so noto­risch spar­sa­me Sol­da­ten­kö­nig jedes Maß. Die Hünen mit Gar­de­maß, die mit ihren hohen impo­san­ten Gre­na­dier-Hüten fast 2,50 Meter erreich­ten, hat­ten neben dem krie­ge­ri­schen Schau­ef­fekt aller­dings auch einen ganz prak­ti­schen Vor­teil, denn sie konn­ten die damals lan­gen Mus­ke­ten bes­ser laden und handhaben.

Zur Ehren­ret­tung von Fried­rich Wil­helm I. muss jedoch ange­merkt wer­den – oder ist es eine Iro­nie der Geschich­te? –, dass Preu­ßen wäh­rend sei­ner Regie­rungs­zeit kei­nen Krieg führ­te. Der knaus­ri­ge Sol­da­ten­kö­nig lieb­te zwar das Mili­tär, aber kei­ne Krie­ge. Die hät­ten ja Geld geko­stet und außer­dem sei­ne schö­ne Armee ram­po­niert. Übri­gens löste sein Sohn Fried­rich II. – bes­ser bekannt als Fried­rich der Gro­ße oder der Alte Fritz – nach sei­nem Regie­rungs­an­tritt 1740 die Rie­sen-Gar­de auf.