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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eigener Regime Change vonnöten

Unmit­tel­bar vor dem Beginn des neu­en Jah­res ließ der Lei­ter des Pro­gramms »Inter­na­tio­na­le Ord­nung und Demo­kra­tie« der Deut­schen Gesell­schaft für Aus­wär­ti­ge Poli­tik, Dr. Ste­fan Mei­ster, einen unüber­hör­ba­ren Kano­nen­böl­ler­schlag in den media­len Sil­ve­ster­him­mel auf­stei­gen und for­der­te in einem SPIEGEL-Inter­view, dass Deutsch­land einen poli­ti­schen Wan­del in Russ­land anstre­ben müs­se: »Tie­fer Regime Chan­ge in Mos­kau muss ein Ziel deut­scher und euro­päi­scher Außen- und Sicher­heits­po­li­tik sein«, so der Poli­to­lo­ge, der zuvor Direk­tor der Hein­rich Böll Stif­tung im süd­kau­ka­si­schen Tbi­li­si gewe­sen ist. Ein Regime­wech­sel zielt stets auf einen Wech­sel einer von außen als nega­tiv bewer­te­ten Regie­rung ab und strebt deren Ablö­sung von einer als posi­tiv bewer­te­ten Regie­rung an. Im Zen­trum die­ses Pro­zes­ses ste­hen vor allem das Mili­tär, der Ver­wal­tungs­ap­pa­rat und ande­re für die Regie­rung bedeu­ten­de büro­kra­ti­sche Bereiche.

Regime­wech­sel hat es im ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert immer wie­der gege­ben und sie beinhal­te­ten stets zwei Sei­ten, einen Druck von außen und einen inner­ge­sell­schaft­li­chen Druck. In gelun­ge­nen Fäl­len eines Regie­rungs­wech­sels hat bei­des das bereits vor­han­de­ne Bedürf­nis nach Wan­del maß­geb­lich unter­stützt und geför­dert. Bei­spie­le dafür sind die mili­tä­ri­sche Inter­ven­ti­on der Anti­hit­ler­ko­ali­ti­on und der Sturz des süd­afri­ka­ni­schen Apart­heid­re­gimes. Tat­säch­lich gibt es aber weit mehr geschei­ter­te Ver­su­che von Regie­rungs­wech­seln, und nur all­zu oft nah­men sol­che Ver­su­che für die betref­fen­de Gesell­schaft kein gutes Ende. Bei­spie­le dafür sind die von der Sowjet­uni­on und dem post­so­wje­ti­schen Russ­land mit Gewalt erzwun­ge­nen (und auch ver­hin­der­ten) Macht­wech­sel in den Teil­re­pu­bli­ken und in den angren­zen­den Län­dern sowie der von der Volks­re­pu­blik Chi­na erzwun­ge­ne Regime­wech­sel in Hon­kong. Aber auch die von den USA unter­stütz­ten Regime­wech­sel im Irak, in Afgha­ni­stan und in latein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern, deren Sün­den­fall der Sturz der frei gewähl­ten chi­le­ni­schen Regie­rung unter Sal­va­dor Allen­de war, in des­sen Ver­lauf Tau­sen­de ermor­det und Zehn­tau­sen­de gefol­tert wor­den sind, gehö­ren dazu. Abzu­gren­zen von solch erzwun­ge­nen Regime­wech­seln sind Tran­si­ti­ons­pro­zes­se von auto­ri­tä­ren Regi­men zu Demo­kra­tien, wie etwa der Über­gang Spa­ni­ens von der Fran­co-Dik­ta­tur zu einer Demokratie.

Regime­wech­sel sind immer ein zwei­schnei­di­ges Schwert, da sie neben dem postu­lier­ten Ziel stets auch eine Ein­mi­schung in inne­re Ange­le­gen­hei­ten eines Staa­tes dar­stel­len und gegen das völ­ker­recht­li­che Prin­zip der natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät ver­sto­ßen. Regime­wech­sel sind in ihrer demo­kra­tie­trun­ke­nen Ziel­set­zung meist hoch auf­ge­la­den und kom­men in einem ethisch anstän­di­gen Kleid daher, wäh­rend die Fol­gen eines sol­chen Despe­ra­do­tums häu­fig ver­drängt wer­den, wes­halb dem poli­ti­schen Agie­ren nur all­zu oft ein dis­so­zia­ti­ver Habi­tus anhaf­tet. Jüng­stes Bei­spiel dafür ist der von einer extrem auf­ge­la­de­nen Gesin­nungs­mo­ral getra­ge­ne zwan­zig Jah­re andau­ern­de Krieg in Afgha­ni­stan, der ein beäng­sti­gen­des Bild in das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis ein­ge­brannt hat: Der Ver­such, Afgha­ni­stan mit Gewalt zu demo­kra­ti­sie­ren ist gna­den­los geschei­tert und hat demo­kra­tie­feind­li­che Trüm­mer­ber­ge hin­ter­las­sen, die aktu­el­le Regime­wech­sel­fan­ta­sien in ande­ren Tei­len der Erde eigent­lich im Keim ersticken sollten.

Bei einem von außen erzwun­ge­nen Regime­wech­sel in Russ­land wären ins­be­son­de­re fol­gen­de Aspek­te zu berück­sich­ti­gen: Russ­land ist flä­chen­mä­ßig der größ­te Staat der Welt, es ist eine Atom­macht, stän­di­ges Mit­glied im UN-Sicher­heits­rat und welt­po­li­tisch weit weni­ger iso­liert, wie sich das die G7-Staa­ten wün­schen wür­den. Hin­zu kommt, dass die drin­gend not­wen­di­ge glo­ba­le Kli­ma­schutz­po­li­tik ohne Russ­land nicht mög­lich sein wird. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Her­fried Mün­k­ler rät somit drin­gend von einem Regime Chan­ge in Russ­land ab. Mün­k­ler war einer der Exper­ten, die an dem vom Aus­wär­ti­gen Amt durch­ge­führ­ten Pro­jekt »Review 2014 – Außen­po­li­tik Wei­ter Den­ken« teil­nah­men. Dabei beton­te er, dass die deut­sche Außen­po­li­tik weni­ger an ihren Wer­ten, als an ihren ori­gi­nä­ren Inter­es­sen ori­en­tiert sei. Er for­der­te, das auch ehr­lich zu kom­mu­ni­zie­ren, um die »demo­kra­ti­sche Vul­nerabi­li­tät« deut­scher Außen­po­li­tik zu min­dern. Man muss kein Mili­tär­ex­per­te sein, um zu ver­ste­hen, dass der Krieg in der Ukrai­ne, so wie er seit fast einem Jahr geführt wird, weder von der Ukrai­ne noch von Russ­land gewon­nen wer­den kann. Es ist ein Krieg, der mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se geführt wird, da bei­de Sei­ten einen Drit­ten Welt­krieg (noch) aus­schlie­ßen. For­de­run­gen nach einer mili­tä­ri­schen Aus­wei­tung des Krie­ges und nach einem Regime Chan­ge in Russ­land bedie­nen die illu­so­ri­sche Vor­stel­lung, dass mit mili­tä­ri­scher Gewalt ein Zustand ein­tre­ten könn­te, aus dem die anti-rus­si­sche Koali­ti­on als Gewin­ner her­vor­geht. Das ist in höch­stem Maße ver­ant­wor­tungs­los und ruft nach einem drin­gend not­wen­di­gen Regime Chan­ge in der eige­nen Denk­wei­se und Hal­tung. Möge die­se Trans­for­ma­ti­on 2023 bald erfolgen!