Es ist still geworden um ein Thema, das vor einem Jahr wochenlang die Göttinger regionale Presse beschäftigte und auch überregional vermeldet wurde: die Ehrendoktorwürde, die im Jahre 2005 von der Universität an den Alt-Kanzler Gerhard Schröder verliehen worden war – damals mit großer Zustimmung der Öffentlichkeit.
Zur Erinnerung: Kaum ins Amt gekommen und gestützt auf eine rot-grüne Koalition teilte der Kanzler Schröder am 24. März 1999 über das Fernsehen mit, dass Deutschland am Krieg gegen Jugoslawien, genannt »Kosovokrieg«, teilnehmen würde, völkerrechtswidrig, wie damals jeder wissen konnte, weil es ein Angriffskrieg war ohne UNO-Mandat. Allein dieser Völkerrechtsbruch hätte ausreichen müssen, dem Ex-Kanzler später nie und nimmer die Ehrendoktorwürde zu verleihen, trotz seiner standhaften Weigerung 2003, an einem anderen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, dem »Irakkrieg«, teilzunehmen, den die unheilige Dreieinigkeit, der US-Präsident George W. Bush und seine Mitverantwortlichen Donald Rumsfeld und Colin Powell, mit einer Lüge begonnen hatte, wodurch bis zu einer Million irakische Zivilisten ermordet wurden und ein weitgehend zerstörtes Land von diesem monströsen US-Völkerrechtsbruch bis heute Zeugnis gibt.
Zurück zu Gerhard Schröders Ehrendoktorwürde: Sie ist für die Universität Göttingen längst zu einer schweren Bürde geworden. Und weitere Fälle aus den Nachkriegsjahren könnten ebenfalls noch solche »Bürden« werden.
In Ossietzky 15/2022 habe ich vier Namen von Ehrendoktoren nach 1945 genannt, deren tiefbraune Träger eng in das NS-Regime verstrickt waren. Zu einem von ihnen, Johannes Wolff, der eine hohe Position in der Landeskirche hatte, habe ich inzwischen eine Eingabe an die Synode, dem »Parlament«, der Landeskirche Hannovers gemacht, zwecks Distanzierung von diesem Unwürdigen Die Eingabe wurde angenommen. Zwei weitere Ehrendoktoren dieser Art konnte ich seitdem noch entdecken. Das war nicht ganz einfach, denn in der aktuellen offiziellen Liste (Stand 23.03.2023) der »Ehrenpromotionen der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen« nach 1945 fehlen nämlich unter den 32 Namen fünf der sechs von mir ermittelten Fälle.
Warum, konnte ich nicht feststellen, aber ein Verdacht kommt auf: Wurden ihre Namen bewusst weggelassen, um zu verschweigen, dass in jenen ersten Nachkriegsjahren mithilfe eines theologischen Ehrendoktors hochbelastete Mittäter im NS-Regime für eine weitere Karriere »weißgewaschen« wurden? Das wäre dann auch eine Art kirchlich-theologischen Missbrauchs. Ich weiß es nicht. Die Landeskirche und die theologische Fakultät sind aufgefordert, hier Auskunft zu geben.
Hier nun die beiden weiteren Ehrendoktoren aus der Nachkriegszeit:
Karl Stalmann (1877-1953), ein Enkel des in der Landeskirche Hannovers hochverehrten Theologen Gerhard Uhlhorn, machte hier ebenfalls Karriere. 1933-53 war er Oberlandeskirchenrat und gab Anordnungen für die Landeskirche heraus. Dabei war er ein enger Mitarbeiter des Landesbischofs Marahrens, der selbst »ein gläubiger Anhänger Hitlers« (so der Kirchenhistoriker Klaus Scholder) war und der ihn, wo immer es ging, unterstützte. In diesem Sinne ordnete Stalmann während des Krieges Dank- und Bittgottesdienste mit z. T. vorfomulierten Texten an, so am 6. Juni 1940 »unter dem überwältigenden Eindruck des Berichts aus dem Führerhauptquartier über den ruhmvollen Abschluss des großen Kampfes in Flandern« mit »Dank gegen Gott, den Herrn der Weltgeschichte« und »für den Führer, der Wehrmacht und für unsere Brüder, die für ihr Volk die Waffen tragen«. Oder die Anordnung am 26. Juni 1940 »anlässlich des Waffenstillstandsabschlusses mit Frankreich«, worin es heißt: »Der Herr hat Großes uns getan, des sind wir fröhlich«, und am Schluss: »Segne den Führer, seine Ratgeber und Heerführer und gib ihnen guten Rat und rechte Tat.«. Oder am 21. Juni 1944, gemeinsam mit seinem Landesbischof Marahrens, der inzwischen auch in einem dreiköpfigen Geistlichen Vertrauensrat für die gesamte »Evangelische Kirche des Reiches« sprach, die Anordnung, in Kirchengebeten den »Dank für die Errettung des Führers« auszusprechen, etwa in folgender Form: »Heiliger barmherziger Gott! Von Grund unseres Herzens danken wir dir, dass du unserem Führer bei dem verbrecherischen Anschlag Leben und Gesundheit bewahrt und ihm unserm Volke in einer Stunde höchster Gefahr erhalten hast. In deine Hände befehlen wir ihn. Nimm ihn in Deinen gnädigen Schutz. Sei und bleibe Du sein starker Helfer und Retter«. Abermillionen Menschen haben dieses Wort so oder ähnlich gehört und mussten sich dann zum mörderischen Weiterkämpfen aufrufen lassen: »Erhalte unserem Volke in unbeirrter Treue, Mut und Opfersinn.«
Das war die Botschaft des Herrn Stalmann 1944. Bald nach dem Krieg war er weiterhin wie bisher als Bevollmächtigter des Landeskirchenamtes tätig – unangefochten bis zu seinem Ruhestand im Mai 1953. Rechtzeitig vor seinem Ableben im Juli desselben Jahres wurde ihm von der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen die Ehrendoktorwürde verliehen. Seine Landeskirche bemerkte dazu: »So hat der Heimgegangene in mehr als 40 Jahren der Kirche mit der ihm eigenen Treue und Gewissenhaftigkeit gedient und in entscheidungsvoller Zeit mit klarem Urteil die Geschicke unserer Landeskirche mitbestimmt.«
Christhard Mahrenholz (1900-1980), Musikwissenschaftler und Theologe, 1930 Landeskirchenrat, 1933 Oberlandeskirchenrat, 1930-1946 Lehrbeauftragter für Kirchenmusik der Uni Göttingen, dazu viele Ämter zur Kirchenmusik, so z. B. 1933 im Beirat des Reichsamtes für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche des NS-Reichsbischofs Ludwig Müller, Reichsobmann Verband evangelischer Kirchenchöre, förderndes Mitglied der SS.
Ein besonderes Anliegen war für ihn die Herausgabe von Kirchengesangbüchern, so z. B. eine Neufassung des »Hannoverschen Gesangbuches von 1928«, das 1938 der neuen Zeit entsprechend angepasst wurde. Hieß es 1928 in einem Lied, das nach alter lutherischer Tradition die »Fürbitte für die Obrigkeit« besang, noch: »Den König schütze deine Macht …« (was den Wunsch nach Rückkehr der 1918 vertriebenen Herrscher widerspiegelte), so änderte Mahrenholz den Text 1938 im Sinne der Hitler-Verehrung um. Im Anhang des Hannoverschen Gesangbuches findet sich unter der Nr. 521 das neue Mahrenholz-Lied, das nach der bekannten Melodie »Herzlich lieb hab ich dich, o Herr« gesungen wurde:
»Den Führer schütze deine Macht! Er, der für unsre Wohlfahrt wacht, ist uns von dir gegeben. Du, der in ihm so viel uns gibt, schenk ihm, der sein Volk treulich liebt, ein reiches, langes Leben! Gott, lass auf ihm und seinem Tun den allerbesten Segen ruhn, lass seiner Räte Werk gedeihn, Recht Ordnung, Treu das Land erfreun! Herr unser Gott, in deiner Hand ist unser Land, beglück es, segne jeden Stand.«
In den Jahren von 1938 bis 1945 dürfte dieses Lied von Hunderttausenden, ja von Millionen von Menschen gesungen worden sein, etwa bei den verordneten Dankgottesdiensten des Herrn Stalmann – ein echter NS-Hit!
Wie auch immer: 1948 erhielt der Herr Mahrenholz gemeinsam mit dem Herrn Wolff die theologische Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen …