Was haben Fred Schmid aus München und Joe Biden aus einer Kleinstadt in Pennsylvania gemeinsam? Nicht viel. Der Ökonom vom ISW und der verabschiedete US-Präsident stellten jedoch kurz vor Trumps polterndem neuem Antritt übereinstimmend fest, dass man, wie einst am 17. Januar 1961 der republikanische Präsident Dwight D. Eisenhower, vor den Gefahren eines militärisch-industriellen Komplexes warnen müsse. Biden hatte zudem geäußert: »Ich bin ähnlich besorgt über den Aufstieg eines technisch-industriellen Komplexes, der eine echte Gefahr für unser Land darstellen kann.« Gemeint war die gefährliche Konzentration der Macht in den Händen einiger weniger Superreicher, die Lawinen von »Fehl- und Desinformationen« auslösten und die »Wahrheit durch Lügen ersticken«. Das Hinzufügen der Mächtigen der Medien, nun auch der modernen »sozialen Medien«, in den MIK war ein neues Element bei Biden. Das ISW hatte auf diesen Aspekt schon lange verwiesen. »Wenn die Schere in unserem Kopf der Bundeswehr gehört«, habe ich in unserer gewerkschaftlichen Journalistenzeitschrift M – Menschen machen Medien, Nr. 4/1996 dazu eine Untersuchung tituliert. Heute ähnelt die Berichterstattung der großen Medien über die Bundeswehr dem Propagandajournalismus autoritärer Regime.
Weltweit ist der Militärindustrieelle Komplex auf dem Vormarsch. Dies in einer Zeit, da alle dreizehn Sekunden ein Kind an den Folgen von Hunger stirbt. »Nein, es stirbt nicht, es wird ermordet«, zitiert Fred Schmid den langjährigen UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler. Wenn es nicht Rüstung und Kriege gäbe, könnten heute zwölf Milliarden Menschen ausreichend ernährt werden. Derzeit gibt es eine Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen und für diese reicht es auch nicht. Über die Entwicklung in der EU stellt Fred Schmid in seiner Untersuchung des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e. V. aus München fest:
»Mit der Nato-2%-Marke, dem Ukraine-Krieg und der damit postulierten ›Zeitenwende‹ gewinnt der Militär-Industrie-Komplex zunehmend auch in großen europäischen Nato-Ländern an Einfluss.« In Deutschland vereinigen sich die Säulen Waffenindustrie, Militär und politische und personelle Lobby zum MIK. Ein anderer Forscher, Lühr Henken aus Berlin, berichtete lange vor der Zeitenwenderede des Kanzlers, wie bei ihm Anfang November 2020 eine Grundsatzrede des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, Entsetzen auslöste. Der sprach vor dem Förderkreis Deutsches Heer e. V. darüber, wie das Heer seine Orientierung, nach der, so wörtlich, »unrechtmäßigen Annexion der Krim 2014 durch Russland« ändert: von der Fokussierung auf »Internationales Konfliktmanagement«, womit mehr oder weniger robuste Auslandseinsätze gemeint sind, auf »Landes- und Bündnisverteidigung«, was so viel heißt wie ein Landkrieg mit Russland.
Zwischen den drei Säulen des MIK – Militär, Rüstungsindustrie, politische Klasse – wechselt das bestimmende Element immer wieder hin und her. Uns wird eingeredet, die Politik, das Parlament habe das Heft in der Hand. Doch es zeigt sich etwas anderes: Die Generalität bestimmt die Richtung. Das ist der Rede und anderen Veröffentlichungen von Mais anzumerken. Als seinen »absoluten planerischen Schwerpunkt« bestätigt Mais die Zusage an die Nato, bis 2027 eine zu 100 Prozent ausgerüstete Division aufgestellt zu haben. Die Erfüllung dieses Ziels wurde nach dem Beginn des Ukrainekrieges auf dieses Jahr vorgezogen. Dieser Großverband umfasst drei Kampfbrigaden mit zusammen ca. 18.000 bis 20.000 Soldaten und ist ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Aufstellung von drei sofort einsetzbaren Divisionen, also zehn Brigaden, bis 2029. Der Heeresinspekteur: Deutsches Heer muss bereit zum Krieg und Sieg sein. Was Mais noch nicht sagte, ist, dass sich dadurch bis 2029 die Schlagkraft seines Heeres verdoppeln wird, denn aus heute sechseinhalb Brigaden werden dann zehn. Und sind sie heute nur zu 70 Prozent ausgerüstet, werden sie es dann zu 100 Prozent sein. Diese eher schon bekannten Details werden nun aber noch getoppt durch sein laut verkündetes Credo, »unter Landes- und Bündnisverteidigung müssen die eingesetzten Truppen durchsetzungsfähig, kriegsbereit und siegesfähig sein«. Und zusammenfassend: »Nochmal: Ziel des Heeres ist Kriegstüchtigkeit, einsatzbereite Kräfte allein genügen nicht: Wir müssen einstecken, wieder aufstehen, gegenhalten und letztendlich gewinnen können!« Kriegsbereit und kriegstüchtig – hier waren die Begriffe schon gegeben, die dann vier Jahre später als eine Sprachschöpfungen des Boris Pistorius angesehen wurden. Und die ausweisen, wer im MIK das Sagen hat: die Generalität.
Zu reden ist auch von Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender. Er gehört zu den Politikern, die nicht nur auf Lobbyisten hören, sondern selbst Lobbyarbeit im Interesse der Rüstungsindustrie betreiben. Klingbeil beeilt sich regelmäßig, in seinem Wahlkreis in der Nähe der Rheinmetall-Produktionsstätten alles auf die Bedürfnisse der Kriegsvorbereitung und -führung auszurichten. Klingbeils Nachbar ist Reserveoffizier MdB Henning Otte von der CDU, der Vizevorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestages, mit seinem Wahlkreis rund um Unterlüß, dem Produktionsort von Rheinmetall.
Ja, die Lobbyisten der Rüstungsindustrie sitzen direkt in den Parlamenten. Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die EU-Abgeordnete, langjährige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages und Fürsprecherin von Waffenexporten größten Ausmaßes für den Ukraine-Krieg, hat nunmehr im EU-Parlament den Vorsitz im Verteidigungsausschuss. Sie gehört der Führung der Deutschen Atlantik-Gesellschaft an. Besonders einflussreich ist ihr Sitz im Präsidium des »Förderkreises Deutsches Heer«. »In dem Kreis arbeitet die Frau mit Vertretern von Lockheed Martin, ThyssenKrupp, Airbus, Daimler, Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, der Waffenschmiede Diehl und der französischen Thales-Gruppe zusammen«, berichtet am 9. Mai 2022 die Schweriner Volkszeitung und fährt fort: »In der ›Gesellschaft für Wehrtechnik‹ ist Strack-Zimmermann ebenfalls im Präsidium, in der ›Bundesakademie für Sicherheitspolitik‹ im Beirat.« Der Verein LobbyControl erklärte: Die Gesellschaft für Wehrtechnik und der Förderkreis Deutsches Heer seien »von der Rüstungsindustrie stark beeinflusste Organisationen«, es sei kritisch zu sehen, dass dort Abgeordnete des Bundestages leitende Funktionen übernehmen.
Der MIK führt dazu, dass die angebliche Parlamentsarmee zu einer von der Generalität geführten Bundeswehr wird. Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen forderte dreieinhalb Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung als Rüstungsetat. Diese Summe werde von »Experten« gefordert, sagte er offen. Experten und nicht das Parlament beschlossen die Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland. Das SPD-Präsidium stimmte der Stationierung von hochpräzisen, weit reichenden und für das gegnerische Radar schwer zu erfassenden US-Mittelstreckenraketen zu, da uns Russland dazu zwinge. Immer wieder trommelt die grüne Außenministerin Annalena Baerbock für eine »härtere Gangart gegenüber China«, und sie sieht unser Land »im Krieg gegen Russland«, das »ruiniert werden« müsse.
»Die deutschen Streitkräfte« seien »so zu reformieren«, dass ihre »Einsatzbereitschaft auch bei Einsätzen mit höchster Intensität gewährleistet ist«, so hieß es im AfD-Wahlprogramm zur EU-Wahl, und unisono klingt es in den Aussagen der Generalität und der Parteien der »Mitte«. Es ist das gemeinsame Programm aller Teile des MIKs.
Ein übergreifender MIK-Konsens, der von den ökoliberalen Spektren des deutschen Establishments über sozialdemokratische und konservative Milieus und die Rüstungsindustrie bis zu den nationalistischen Kreisen der AfD reicht, besteht in der Forderung nach einer immer signifikanteren Aufrüstung der Bundeswehr. Ferner in der Militarisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens durch Wehrpflicht, Aufbau einer Heimatarmee von Reservisten und Polizisten sowie militärischem Einfluss auf das Bildungswesen. (Siehe dazu Rolf Gössner »Innere Militarisierung und ihre Gefahren«, Ossietzky 2/25).
Wenn Joe Biden hinsichtlich des MIK von einer »echten Gefahr für unser Land« spricht, so kann diese Feststellung auch für Deutschland gelten.
Alle Zitate aus: Alfons Mais, Inspekteur des Deutschen Heeres, »Das Deutsche Heer im Lichte eingegangener Bündnisverpflichtungen – in Zukunft noch leistbar?« Zu finden auf: https://www.bundeswehr.de.