Die morgendliche Zeitungslektüre weitet stets meinen Horizont. Sie macht mich klüger, als ich vordem war. Und sei es nur dadurch, dass bislang gesichert geglaubtes oder gewähntes Wissen infrage gestellt oder durch neue Erkenntnis ersetzt wird. Besonders viel erfahre ich aus einer schon immer im Westteil Berlins erscheinenden Tageszeitung, die sich ihren einstigen Fronstadtcharakter durch alle Fährnisse hindurch wacker bewahrt hat. Nach der Einheit gab es mal eine kleine linksliberale Delle, was vermutlich mit dem Wunsch zusammenhing, damit Leser im Ostteil zu gewinnen. Offenkundig erfüllte sich die Strategie nicht, weshalb man sich wieder in die Schützengräben des Kalten Krieges und in die Westberliner Kieze zurückzog.
Um nun nicht ganz so piefig zu erscheinen, gibt es in der bis zu 48 Seiten aufgeblähten Tagesausgabe auch eine Seite, auf der man Beiträge über das Land Brandenburg lesen kann. Und so konnte ich denn an einem Samstagmorgen beim Kauen meiner mäßig genießbaren Körner-Schrippe in eben jener Postille einen Vierspalter studieren, der mit der heimeligen Überschrift betitelt war: »Brote von glücklichen Bäckern«. Diese Art Glück, wir erinnern uns, wurde früher Kühen und deren Milch zugeschrieben. In dem Text ging es um einen vermeintlichen Boom der Bio-Bäckerei in Brandenburg. Im hinteren Teil las ich allerdings auch vom Schwinden dieser Zunft. In Berlin, so hieß es, habe es vor dem Krieg 3994 selbständige Bäckereien gegeben, heute seien es vielleicht noch 120. »Ähnlich sieht es in Brandenburg aus.«
Nun gut, das war keine sensationell neue Beobachtung.
Die Autorin – vermutlich jung mit großen, staunenden Augen – berichtete auch über eine 59-jährige Bio-Bäckerin in Cottbus, die in zweiter Generation den seit 1962 bestehenden Familienbetrieb führt. »Zu DDR-Zeiten war an Bio noch nicht zu denken«, erklärt uns aufklärerisch die Schreiberin.
Nee, das war es wirklich nicht – weil in der DDR vermutlich alles Backwerk Bio war, die Chemiker tobten sich vorzugsweise auf anderen Feldern aus. Erst nach dem Beitritt ergossen sich nämlich die Backmischungen mit ihren Emulgatoren und Enzymen, Farbstoffen, Geschmacksverstärkern und Quellmehlen, Ascorbin- und Aminosäuren et cetera in die ostdeutschen Backstuben. Wie viele Zusatzstoffe tatsächlich darin enthalten waren und sind – keiner weiß es. Nicht einmal die Industrie, die diese Backmischungen zusammenrührt. Sie hat zwar die Ansage in den Medien, es gebe »über 300 Zusatzstoffe im Brot«, als falsch und »schlecht recherchiert« zurückgewiesen, aber bleibt in ihren eigenen Selbstdarstellungen eine »gut recherchierte« Auskunft schuldig. Niemand wisse, wie viele der mehr als elftausend Bäckereien in Deutschland »traditionell« backen und »welche darüber hinaus weitere Zutaten« einsetzen, erklärte die Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim an der Bergstraße.
Egal, unsereiner konnte schon immer die zu Windbeuteln aufgeblasenen Westschrippen so wenig genießen wie das Brot, das bereits nach drei Tagen entweder steinhart ist oder Schimmel ansetzt. Die Alternative heißt nun Bio. Und Bio-Brot boomt also.
»Zu DDR-Zeiten war an Bio noch nicht zu denken.« Auch diese Freiheit fehlte uns und den DDR-Bäckern, die konnten nur mit Mehl, Wasser, Hefe, Salz und Sauerteig backen. Sie hatten ja sonst nichts. Nur Schlangen von Leuten vorm Laden, die am Morgen nach kleinen Brötchen für fünf Pfennig das Stück anstanden.