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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Dumm wie Stulle?

Die mor­gend­li­che Zei­tungs­lek­tü­re wei­tet stets mei­nen Hori­zont. Sie macht mich klü­ger, als ich vor­dem war. Und sei es nur dadurch, dass bis­lang gesi­chert geglaub­tes oder gewähn­tes Wis­sen infra­ge gestellt oder durch neue Erkennt­nis ersetzt wird. Beson­ders viel erfah­re ich aus einer schon immer im West­teil Ber­lins erschei­nen­den Tages­zei­tung, die sich ihren ein­sti­gen Fron­stadt­cha­rak­ter durch alle Fähr­nis­se hin­durch wacker bewahrt hat. Nach der Ein­heit gab es mal eine klei­ne links­li­be­ra­le Del­le, was ver­mut­lich mit dem Wunsch zusam­men­hing, damit Leser im Ost­teil zu gewin­nen. Offen­kun­dig erfüll­te sich die Stra­te­gie nicht, wes­halb man sich wie­der in die Schüt­zen­grä­ben des Kal­ten Krie­ges und in die West­ber­li­ner Kieze zurückzog.

Um nun nicht ganz so pie­fig zu erschei­nen, gibt es in der bis zu 48 Sei­ten auf­ge­bläh­ten Tages­aus­ga­be auch eine Sei­te, auf der man Bei­trä­ge über das Land Bran­den­burg lesen kann. Und so konn­te ich denn an einem Sams­tag­mor­gen beim Kau­en mei­ner mäßig genieß­ba­ren Kör­ner-Schrip­pe in eben jener Postil­le einen Vier­spal­ter stu­die­ren, der mit der hei­me­li­gen Über­schrift beti­telt war: »Bro­te von glück­li­chen Bäckern«. Die­se Art Glück, wir erin­nern uns, wur­de frü­her Kühen und deren Milch zuge­schrie­ben. In dem Text ging es um einen ver­meint­li­chen Boom der Bio-Bäcke­rei in Bran­den­burg. Im hin­te­ren Teil las ich aller­dings auch vom Schwin­den die­ser Zunft. In Ber­lin, so hieß es, habe es vor dem Krieg 3994 selb­stän­di­ge Bäcke­rei­en gege­ben, heu­te sei­en es viel­leicht noch 120. »Ähn­lich sieht es in Bran­den­burg aus.«

Nun gut, das war kei­ne sen­sa­tio­nell neue Beobachtung.

Die Autorin – ver­mut­lich jung mit gro­ßen, stau­nen­den Augen – berich­te­te auch über eine 59-jäh­ri­ge Bio-Bäcke­rin in Cott­bus, die in zwei­ter Gene­ra­ti­on den seit 1962 bestehen­den Fami­li­en­be­trieb führt. »Zu DDR-Zei­ten war an Bio noch nicht zu den­ken«, erklärt uns auf­klä­re­risch die Schreiberin.

Nee, das war es wirk­lich nicht – weil in der DDR ver­mut­lich alles Back­werk Bio war, die Che­mi­ker tob­ten sich vor­zugs­wei­se auf ande­ren Fel­dern aus. Erst nach dem Bei­tritt ergos­sen sich näm­lich die Back­mi­schun­gen mit ihren Emul­ga­to­ren und Enzy­men, Farb­stof­fen, Geschmacks­ver­stär­kern und Quell­meh­len, Ascor­bin- und Ami­no­säu­ren et cete­ra in die ost­deut­schen Back­stu­ben. Wie vie­le Zusatz­stof­fe tat­säch­lich dar­in ent­hal­ten waren und sind – kei­ner weiß es. Nicht ein­mal die Indu­strie, die die­se Back­mi­schun­gen zusam­men­rührt. Sie hat zwar die Ansa­ge in den Medi­en, es gebe »über 300 Zusatz­stof­fe im Brot«, als falsch und »schlecht recher­chiert« zurück­ge­wie­sen, aber bleibt in ihren eige­nen Selbst­dar­stel­lun­gen eine »gut recher­chier­te« Aus­kunft schul­dig. Nie­mand wis­se, wie vie­le der mehr als elf­tau­send Bäcke­rei­en in Deutsch­land »tra­di­tio­nell« backen und »wel­che dar­über hin­aus wei­te­re Zuta­ten« ein­set­zen, erklär­te die Aka­de­mie Deut­sches Bäcker­hand­werk Wein­heim an der Bergstraße.

Egal, unser­ei­ner konn­te schon immer die zu Wind­beu­teln auf­ge­bla­se­nen West­schrip­pen so wenig genie­ßen wie das Brot, das bereits nach drei Tagen ent­we­der stein­hart ist oder Schim­mel ansetzt. Die Alter­na­ti­ve heißt nun Bio. Und Bio-Brot boomt also.

»Zu DDR-Zei­ten war an Bio noch nicht zu den­ken.« Auch die­se Frei­heit fehl­te uns und den DDR-Bäckern, die konn­ten nur mit Mehl, Was­ser, Hefe, Salz und Sau­er­teig backen. Sie hat­ten ja sonst nichts. Nur Schlan­gen von Leu­ten vorm Laden, die am Mor­gen nach klei­nen Bröt­chen für fünf Pfen­nig das Stück anstanden.