Gotthold Ephraim Lessing war mal Eigentümer. Nicht der nämliche, sondern der Sohn des Goßneffen des Autors von »Nathan, der Weise«. Dieser Großneffe hieß Carl Robert L. und war der Herausgeber der Vossischen Zeitung. Er konnte sich das Barockschloss 1885 leisten und seinem Sohn Gotthold Ephraim Lessing schenken. Vielleicht, weil einer seiner Autoren Fontane hieß. Gotthold Ephraim II., Reichstagsabgeordneter der Freisinnigen und Erbe des Meseberger Schlosses, starb 1919 kinderlos, die Witwe veräußerte das Anwesen 1934. An Gotthold Lessing, den Jüngeren, und seine Anna erinnert ein Mausoleum und ein Stein im Park, der drei Ringe aufweist: Nathans Metapher für interkulturelle Toleranz von Christentum, Judentum und Islam.
Vor dem gelben Schloss steht ein Automobil mit vier Ringen. Die Neugierigen – die meisten Autokennzeichen auf dem Parkplatz beginnen mit B – bestaunen die Regierungslimousine vor dem roten Teppich, der über die Stufen aus Sandstein ins Foyer führt, als hätten sie noch nie einen schwarzen Audi gesehen. Auf der Wiese daneben wartet ein Hubschrauber. Ob er das dort immer tut, ist nicht zu erfahren, wohl aber der publizistische Unmut, dass der Unterhalt des Gästehauses der Regierung zu teuer komme. Im Jahr kostet es weit über eine Million Euro, nicht gerechnet die Millionen für die Sicherungs-Aufwendungen durch die Bundespolizei. Der ganze Aufwand lohne sich nicht, wenn – statistisch gesehen – nur alle 45 Tage jemand vorbeischaue: ein Staatsgast, die Kanzlerin oder die Minister zur Kabinettsklausur, lautet der zaghaft erhobene Vorwurf.
Nur einmal im Jahr füllt sich das Haus in Meseberg, gelegen kurz vor Gransee und neben der B 96, nämlich am Tag des offenen Schlosses. Voll wird eigentlich nur das erste Geschoss, denn zum zweiten darf keiner hinauf. So folgt man auf schonenden Gummiläufern der vorgezeichneten Route, wahlweise beginnend im Empfangssalon West oder im Empfangssalon Ost. Die Blicke des uniformierten Personals sind nicht ganz so streng wie am Eingang, wo jeder Besucher intensiver noch als auf dem Airport einen Sicherheitscheck mit Leibesvisitation über sich ergehen lassen muss. Wer, wie ich, eine Kamera mit sich führt, muss beweisen, dass diese wirklich und ausschließlich zum Fotografieren tauge.
Die Innenräume gleichen einem Museum, weshalb man sich nicht über die antiquierte Politik wundern muss, die bisweilen von hier ausgeht. Gemälde, Lüster, Tapeten, Stühle und Spiegel: Die Messerschmitt-Stiftung, die dem Vernehmen nach für die Restaurierung des Hauses 25 Millionen ausgab, hat auch bei der Ausstattung nicht geknausert. Das stilechte Mobiliar wurde auf Auktionen ersteigert oder, wie etwa einige Stuhlbezüge, in China nach originaler Vorlage »nachgewebt«.
Nur in der winzigen Bibliothek stehen in einem kleinen Bücherschrank Erzeugnisse jüngeren Datums: sieben Bände der Großen Brandenburger Ausgabe des Aufbau Verlages mit Fontanes Werken. Das muss nicht überraschen. Eher schon, dass sich dort auch Russen wie Turgenjew und Dostojewski finden. Welcher Politiker würde hier in ländlicher Idylle vorm Einschlafen »Der Idiot« lesen wollen?
Über den Gartensaal gelangt man hinaus in den symmetrisch angelegten Garten. Der Blick geht auf den Huwenowsee, aus dem eine Pumpe unablässig Wasser in die Höhe schießt, und hinüber zum Gartenpavillon. Es ist ein angenehmes Flanieren, ignoriert man die Kameras, die jeden Schritt verfolgen. Sie stehen oder hängen an der Umzäunung in wenigen Metern Abstand. Dreizehn Millionen habe man in Konferenz- und Sicherheitstechnik investiert, heißt es. Nun ja, was hatte man sich einst über Wandlitz in den Medien mokiert …
Mitten in der 150-Seelen-Gemeinde erhebt sich die Dorfkirche, deren Besuch aus verschiedenen Gründen lohnt. Ein Anlass ist die Kanzeluhr am Altar, die dem Pastor anzeigte, gemäß der Vorgabe des Schlossherrn beim täglichen Gottesdienst nicht länger als eine Stunde zu predigen, damit den Knechten und Mägden durch die Andacht nicht zu viel wertvolle Arbeitszeit genommen wurde. Und ein zweiter Grund ist ein Riesenbild von 1588, welches einem Schüler von Lucas Cranach zugeschrieben wird. Das mehr als fünfzehn Quadratmeter große Ölgemälde zeigt Ludwig und Anna von der Groeben mit ihren 17 Kindern. Es ist das größte Votivbild in Deutschland.
Das Grafengeschlecht von der Groeben, über zweihundert Jahre Eigentümer von Meseberg, gehört zu den ältesten Adelshäusern in Brandenburg. Aktuell leben noch etwa achtzig Nachfahren, von denen zumindest einige die Restaurierung des Werkes mit einer familieneigenen Stiftung unterstützen. Auch jene kultivierte, unauffällige Dame jenseits der siebzig, die zufällig auf der Bank neben mir beim Orgelkonzert Platz genommen hat. Ohne Titel, wie sie betont, als sie sich outet. Andere Verwandte seien da traditionsbewusster, etwa Ulrike Gräfin von der G., die seit nunmehr dreißig Jahren bei RTL in Köln arbeite und den Sport ansage. Sie selbst lebe in Berlin und bewohne in Meseberg einen Bauernhof. Back to the roots. Obgleich: Ihre Herkunft sieht man ihr jedenfalls nicht an. Drei Ringe stehen ihr vermutlich näher als vier. Das Schloss hat sie zum letzten Mal vor der Restaurierung von innen gesehen.