Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie streng unsere veröffentlichte Meinung mit nahen und fernen Nachbarn verfährt? Über Russland wollen wir gleich schweigen – aber auch die EU-Nachbarn werden eingeteilt: Vor allem unser südlicher Hinterhof – der beginnt in der Slowakei – ist bestechlich, korrumpiert, hat eine grauenvolle (kommunistische) Geschichte hinter sich und eine Zukunft vor sich, die nur dank deutscher Finanzen garantiert sein könnte.
Rumänien ist ein Paradebeispiel für germanische Unkenntnis – die sich bereits im biederen Krimi zeigt. Da werden in Jutta Mehlers »Mord mit Nusskrokant«, einer sich zäh hinziehenden Geschichte mit älteren Damen, gleich zu Beginn alle üblichen Klischees bedient. Rumänien war unter Ceauşescu ein schlimmeres Gefängnis als jede afrikanische Diktatur. Die Schullektüre braver westdeutscher Mädels – Orwells 1984 – sei ein Nichts gewesen gegen die Verfolgung der dort seit Jahrhunderten ansässigen Deutschen. Erst die demokratischen Pflänzchen ab 1990 erlauben wieder deutsche Schulen … Dass Ceauşescu in den 1960ern gehudelt und gelobt wurde vom guten Westen, weiß man nicht mehr. Auch dass man in Teilen Rumäniens während der kommunistischen Nacht vom Kindergarten bis zur Universität alle Bildung in deutscher Muttersprache absolvieren konnte – darf eigentlich nicht gewesen sein.
Dabei war gerade die rumäniendeutsche Literatur von einer so erstaunlichen Blüte ab den 1970ern, dass die bundesdeutsche Literatur bis heute davon zehren kann. Ein Beispiel, wie widersprüchlich in diesem Balkan-Kommunismus die Kunst lebte und auflebte, hat Horst Samson (*1954) mit seinem Band »Heimat als Versuchung – Das nackte Leben« geliefert. Samson, geboren in der Bărăgan-Steppe wegen Deportation der Eltern, nach Studium Redakteur der (deutschsprachigen) Neuen Banater Zeitung und der Neuen Literatur, war unter anderem Sekretär des »Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreises«, erhielt auch Literaturpreise in Rumänien. Seine Ausreise 1987 nach Deutschland war erzwungen; seine bereits in Rumänien geschriebenen Texte sind gültig bis heute. Nichts wird beschönigt von Securitate-Gräueln bis Zensur – aber das rumäniendeutsche Kulturleben bestand eben nicht nur aus jenen Klischees, die für das deutsche Volk im Krimi, in der Tageszeitung und im allgemeinen Bewusstsein reserviert sind: Keine Kultur da unten, nur Bestechung, Korruption und natürlich traditionelle Blutsaugerei.
Jutta Mehler: »Mord mit Nusskrokant«, Emons Verlag, 272 Seiten, 11,90 €; Horst Samson: »Heimat als Versuchung – Das nackte Leben: literarisches Lesebuch – Gedichte, Prosa, Kritiken, Interviews«, Pop-Verlag, 486 Seiten, 24,50 €