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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Don Juan, sehr frei nach Molière

Im Ber­li­ner Ram­baZam­ba Thea­ter wird Klas­sik oft reiz­voll umge­formt, ver­steh­bar gemacht und ins Heu­te trans­por­tiert. Zudem weben die Spie­ler die­ses Thea­ters ihre Erfah­run­gen als Men­schen einer dis­kri­mi­nier­ten Min­der­heit in das Dar­zu­stel­len­de ein. Alle Stücke, die hier auf­ge­führt wer­den, sind auf selt­sa­me Wei­se gebro­chen. Man kann sich wie­der­erken­nen in die­ser Gebro­chen­heit. Man kann ler­nen: Soli­da­ri­tät und Wut und Mit­füh­len. Ein Thea­ter der Unter­drück­ten, der Ent­rech­te­ten, die sich Aus­druck ver­schaf­fen – lust­voll-revo­lu­tio­när. Am 18. Janu­ar hat­te unter der Regie von Kon­rad Wolf (Mozar­te­um Salz­burg) »Don Juan« Pre­mie­re, sehr frei nach Moliè­re, wird betont, Wolfs Diplom­in­sze­nie­rung. Sein Stück »Objek­ti­viert uns!« bekam 2018 in Ham­burg den Publikumspreis.

Wor­um geht es in der aktu­el­len Insze­nie­rung? In einem ange­dach­ten Schlaf­zim­mer-Kauf­haus mit neun Dop­pel­bet­ten liegt Don Juan (Chri­sti­an Beh­rend) und schläft. Der Die­ner (Seba­sti­an Urban­ski) beginnt zu erzäh­len, kom­men­tiert: Es sei heut­zu­ta­ge schon ver­däch­tig, wenn man in einem Laden nach einem Ein­zel­bett fragt, man macht sich zu einem, der wohl nie­mand hat, mit dem oder der er das Bett teilt. Zum komi­schen Kauz, zum ewig mastur­bie­ren­den Außenseiter.

Don Juan, genuss­voll las­ziv sich halb­nackt auf dem Dop­pel­bett lüm­melnd, prahlt genau wie der molièr­sche mit sei­nen Erobe­run­gen, wird von einer herr­lich wüten­den Elvi­ra (Fran­zis­ka Klei­nert) mit roten Box­hand­schu­hen bedroht, wäh­rend der Die­ner ihn Moral leh­ren will, dass Lie­be nur dann Spaß macht, wenn man bei einer gelieb­ten Freun­din bleibt. Don Juan ist ein wenig Baal nach­emp­fun­den, aus­schwei­fend, sich auf­leh­nend, fri­vol-unkon­ven­tio­nell, ver­schmitzt. Sein Kostüm (Bea­trix Brand­ler) femi­nin – mit frei­em Ober­kör­per, die Brust ein wenig hoch­ge­bun­den, damit sie zur Gel­tung kommt, sehr geschickt gemacht. Dar­über ein Negli­gee im Leopardenlook.

Das Gan­ze wird zu Rol­ling-Stones-Musik getanzt, gespielt, getobt, der Die­ner kom­men­tiert, es herr­sche heut­zu­ta­ge ein don-juan­scher Zwang zur Sexua­li­tät, alle sol­len wie Don Juan leben, es mit unzäh­li­gen Part­nern täg­lich auf Dop­pel­bet­ten treiben.

In der Angst vor Elvi­ra stellt sich her­aus, dass Don Juan vor allem eines ist, ein Unge­lieb­ter, und eines hat, näm­lich das uner­sätt­li­che Bedürf­nis, geliebt zu wer­den. Es geht ihm nicht dar­um zu lie­ben, er ist auf der Jagd nach Frau­en, die ihn lie­ben sol­len. Er wütend, auf­stamp­fend wie ein klei­nes Kind: »Ich will, dass du mich liebst, wie es sich gehört!« Doch Lie­be lässt sich nicht erzwin­gen. Sei­ne schö­ne Freun­din (Nele Wink­ler) hoch­pro­fes­sio­nell, mit herr­li­cher Stimm­mo­du­la­ti­on, iro­ni­sie­rend, kari­kie­rend, kon­tert geschickt: »Ich will alles tun, was ich kann, aber es muss von sel­ber kom­men, es muss von sel­ber kommen!«

Spä­ter schmust und knud­delt sie köst­lich lachend »frei­wil­lig« mit dem Die­ner, der das Zär­teln offen­bar weit­aus bes­ser ver­steht als Don Juan; der will nur noch, dass man ihn bedient.

Auch gehört, wie man jetzt begreift, wohl Don Juan in Wahr­heit gar nicht zu den Män­nern, die von Frau­en schnell begehrt wer­den. Er muss her­um­krie­gen, mit Geld win­ken und mit Ver­spre­chun­gen locken. In das Stück flie­ßen nun ver­stärkt Eigen­erfah­run­gen ein. Trau­rig sagt Don Juan: »So einen wie mich will kei­ne« und: »Ich habe es mir aus­ge­rech­net, ich könn­te es mir lei­sten, ein­mal in der Woche zu einer Hure zu gehen, aber ich will das nicht.« Man erkennt, dass auch der ech­te Don Juan viel­leicht etwas von dem hat, was der im Ram­baZam­ba offen aus­spricht, näm­lich das Lei­den unter Ein­sam­keit. Das Lei­den unter dem sexu­el­len Lei­stungs­zwang, sich als Mann sei­nen Wert durch Sexu­al­kon­tak­te bewei­sen zu müssen.

Aus Moliè­res stei­ner­nem Gast wird im Ram­baZam­ba ein Neben­buh­ler, der plötz­lich don­nernd und zischend die Büh­ne betritt, ein Zwil­lings­dä­mon, dem die Mäd­chen sich sogleich an den Hals hän­gen, dem alles zufliegt, alles gelingt. Mei­ne Asso­zia­ti­on: Der Nicht­be­hin­der­te, gegen den der behin­der­te Mann kei­ne Chan­ce hat, wächst sich aus zum Droh­ge­spenst. So wie in Moliè­res Vor­la­ge der stra­fen­de Gott­va­ter sei­nen sün­di­gen Sohn ver­flucht, so lässt der mas­kier­te »Zwil­ling« Don Juan gleich­sam schrump­fen und sich ängst­lich weg­ducken. Von Mord ist die Rede, der Die­ner reicht sei­nem Herrn ein Mes­ser. Doch er geschieht nicht, ein Last­wa­gen über­fährt Don Juan. Der stei­ner­ne Gast geht ab, der Die­ner hängt sich nun bei ihm ein.

Sexua­li­tät im Span­nungs­feld von Behin­de­rung und Nicht­be­hin­de­rung, von Zwang und Frei­heit. Die Insze­nie­rung kri­ti­siert laut Pro­gramm­heft, die »Welt des sexu­el­len Libe­ra­lis­mus, in der die Frei­heit des Systems umschlägt in einen Zwang, ihm zu genü­gen«. Es geht ums Gegen­steu­ern gegen »eine Sexua­li­tät, die ein System sozia­ler Hier­ar­chie ist« (Michel Houellebecq).

Beson­ders den Schau­spie­le­rin­nen gelan­gen star­ke Auf­trit­te: mutig, selbst­be­wusst. Und wie dann Fran­zis­ka Klei­nert als Elvi­ra »Arsch­loch« schreit, wie sie es brüllt, wie sie aus sich her­aus­geht, das ist klas­se. Hier fin­det sich eine nicht ab, im Gegen­teil, sie ist bereit zur laut­star­ken Auf­kün­di­gung der ihr zuge­wie­se­nen Rol­le. Ihr Spiel regt zum Nach­den­ken über die Män­ner­rol­le an (»Bin in mei­nem Kör­per gefan­gen«) und zeigt heu­ti­ge, star­ke Frau­en, die die Schwä­che im Macho sicht­bar wer­den las­sen. Und einen Macho, der sei­ne inne­re Angst offen eingesteht.

Merk­wür­dig: Gera­de weil die Spie­ler ihre eige­nen Erfah­run­gen als Benach­tei­lig­te so unmit­tel­bar und selbst­ver­ständ­lich ein­brin­gen, emp­fin­det man sie nicht mehr als defi­zi­tär. Sie wer­den so, wie es Augu­sto Boal im »Thea­ter der Unter­drück­ten« emp­fiehlt, zu Lehrern.