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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Documenta im Antisemitismus-Gestrüpp

Was ist los in der Repu­blik? Da erhebt ein unbe­kann­tes Bünd­nis gegen Anti­se­mi­tis­mus gegen das Kura­to­ren­team ruan­grupa der 15. Docu­men­ta den Vor­wurf des Anti­se­mi­tis­mus und wie auf Kom­man­do springt die deut­sche Pres­se an, von der Bor­ku­mer Zei­tung bis zur Baye­ri­schen Rund­schau, von der FAZ bis zur ZEIT, und gerät in den Zustand höch­ster Erre­gung. Allein das A-Wort genügt, um Hek­tik in den Redak­tio­nen zu erzeu­gen und sogleich Par­tei zu ergrei­fen – natür­lich gegen die ver­meint­li­chen Anti­se­mi­ten. Und sofort wird ihnen der neu­deut­sche Fetisch, das »Exi­stenz­recht Isra­els«, das nie­mand bestrit­ten hat, entgegengehalten.

Der Vor­wurf lau­tet, ruan­grupa habe eine palä­sti­nen­si­sche Künst­ler­grup­pe »The Que­sti­on of Fun­ding« ein­ge­la­den, die in Ramal­lah mit einem Kul­tur­zen­trum zusam­men­ar­bei­tet, wel­ches nach dem Reform­päd­ago­gen Kha­lil al-Saka­ki­ni benannt ist. Die­ser ist zwar schon 1953 gestor­ben, er soll aber als Freund des ara­bi­schen Natio­na­lis­mus auch Sym­pa­thien für den Natio­nal­so­zia­lis­mus gehabt haben. Weder ruan­grupa noch der Künst­ler­grup­pe aus Ramal­lah wer­den sol­che Sym­pa­thien nach­ge­sagt, da geht es schlicht um Kon­takt­schuld. Aber da steht auch wie­der der Ele­fant BDS (»Boy­cott, Dive­stem­ent and Sanc­tions«) im Raum. Ruan­grupa soll Teil­neh­mer unter­stüt­zen, die eine Nähe zur BDS-Bewe­gung haben, denn die palä­sti­nen­si­sche Grup­pe soll sich wie­der­holt für den Boy­kott Isra­els im kul­tu­rel­len Leben aus­ge­spro­chen haben. Das wie­der­um sei der ulti­ma­ti­ve Nach­weis des Anti­se­mi­tis­mus, wie es ja der Bun­des­tag in sei­nem berüch­tig­ten Beschluss vom 17. Mai 2019 ent­schie­den hat­te. Der fal­sche Kurz­schluss lau­tet: Wer für BDS ist, bestrei­tet das Exi­stenz­recht Isra­els, obwohl nur die Lega­li­tät und Legi­ti­mi­tät der nun schon 55 Jah­re andau­ern­den Besat­zungs­po­li­tik bestrit­ten wird.

Wir ken­nen das. Die Anti­se­mi­tis­mus-Jäger jagen an allen Fron­ten. In letz­ter Zeit vor­nehm­lich in den Revie­ren der Kul­tur und Wis­sen­schaft. So soll­te die paki­sta­nisch-bri­ti­sche Schrift­stel­le­rin Kami­la Sham­sie 2019 den Nel­ly Sachs-Preis der Stadt Dort­mund erhal­ten. Bevor sie aller­dings den Kof­fer für ihre Rei­se nach Deutsch­land packen konn­te, wur­de aus der Par­tei Bündnis90/Die Grü­nen inter­ve­niert, Kami­la Sham­sie unter­stüt­ze BDS. Sie bestä­tig­te das, und der Preis wur­de ohne zusätz­li­che Begrün­dung zurück­ge­zo­gen. Auch die Ver­lei­hung des Carl-von-Ossietzky-Prei­ses an die »Jüdische Stim­me für einen gerech­ten Frie­den in Nah-Ost« 2019 in Göt­tin­gen soll­te ver­hin­dert wer­den. Wie­der­um war der Vor­wurf, die Orga­ni­sa­ti­on unter­stüt­ze BDS. Der Bür­ger­mei­ster von Göt­tin­gen, die Stadt­spar­kas­se und die Prä­si­den­tin der Uni­ver­si­tät konn­ten dem Druck, dem sie aus­ge­setzt wur­den, nicht stand­hal­ten und zogen ihre tra­di­tio­nel­le Unter­stüt­zung für die Preis­ver­lei­hung zurück. Die Orga­ni­sa­ti­on bekann­te sich zu ihrer Hal­tung, sodass man auch hier nicht mehr einer zusätz­li­chen Standard-Begründung der Holo­caust­re­la­ti­vie­rung oder des Bestrei­tens des Exi­stenz­rech­tes Isra­els bedurfte.

Schon 2017 traf das glei­che Ver­dikt den inter­na­tio­nal renom­mier­ten süd­afri­ka­ni­schen Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler Farid Esack, Gast­pro­fes­sor am Zen­trum für Stu­di­en der Welt­re­li­gio­nen der Uni­ver­si­tät Ham­burg. Er woll­te auf Ein­la­dung der Aka­de­mie der Welt­re­li­gio­nen der Uni­ver­si­tät und der Par­tei Bünd­nis 90/​Die Grü­nen zum Abschluss sei­ner Leh­re in Ham­burg einen Vor­trag zum The­ma: »Wem erlau­be ich, im Zug neben mir zu sit­zen? Reli­gi­ons­frei­heit im Zei­chen des Ter­rors« im Ham­bur­ger Rat­haus hal­ten. Plötz­lich kam der Vor­wurf, Esack sei in Süd­afri­ka ein füh­ren­der Ver­tre­ter der BDS-Bewe­gung, der in der Tat stimm­te. Das genüg­te, dass sich die Grü­nen zurück­zo­gen und der Vor­trag abge­sagt wur­de. Und jüngst mach­te der Fall des süd­afri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phen Achil­le Mbem­be Schlag­zei­len und erwei­ter­te die Kri­tik, indem nun auch die neu­en For­schungs­an­sät­ze der »post­co­lo­ni­al stu­dies« attackiert wer­den, in denen der Holo­caust in die Rei­he der kolo­nia­len Völ­ker­mor­de gestellt und die Besat­zung durch Isra­el als eine der letz­ten For­men kolo­nia­ler Herr­schaft ver­ur­teilt wird.

Eine end­lo­se Geschich­te? Ja – wohl so lan­ge nicht die Besat­zung been­det und den Palä­sti­nen­sern ihr Selbst­be­stim­mungs­recht garan­tiert wird. Denn solan­ge wird die Kri­tik an den uner­träg­li­chen Zustän­den in den besetz­ten Gebie­ten nicht auf­hö­ren, und solan­ge wer­den sich auch hier die Mei­nungs-, Wis­sen­schafts- und Kunst­frei­heit immer wie­der gegen die Angrif­fe mit dem Anti­se­mi­tis­mus­vor­wurf zur Wehr set­zen müs­sen. Das jüng­ste Urteil des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts, mit dem es die Mei­nungs­frei­heit gegen den Münch­ner Stadt­rat für alle Ver­an­stal­tun­gen, die sich im Rah­men der Geset­ze hal­ten, durch­ge­setzt hat, mag die juri­sti­schen Fra­gen geklärt haben. Aber die Reak­tio­nen von pro­mi­nen­ter jüdi­scher Sei­te, die nach dem Gesetz­ge­ber rufen, um wei­ter­hin das Wort BDS aus den öffent­li­chen Sälen ver­ban­nen zu kön­nen, las­sen befürch­ten, dass die poli­ti­schen Angrif­fe auf die Frei­hei­ten nicht enden werden.

Der Kura­tor der 14. Docu­men­ta in Athen und Kas­sel, Adam Szym­zyk, konn­te dem Palä­sti­na-Kon­flikt 2017 noch brei­ten Raum geben. Er stammt aus Polen und hat­te sich offen­sicht­lich zu BDS nicht geäu­ßert. Mit der wei­te­ren Inter­na­tio­na­li­sie­rung der Aus­stel­lung und der Über­ga­be des Aus­stel­lungs­kon­zep­tes in außer­eu­ro­päi­sche Hän­de ändert sich die Situa­ti­on. Außer­halb Euro­pas ist die Kri­tik an der israe­li­schen Poli­tik all­ge­mein, die Unter­stüt­zung für die palä­sti­nen­si­sche Boy­kott­be­we­gung ist weit ver­brei­tet. Es wird sich kei­ne Künst­ler­grup­pe in Palä­sti­na fin­den las­sen, die nicht den Boy­kott unter­stützt, erle­ben sie doch selbst den all­täg­li­chen Boy­kott durch die israe­li­sche Regie­rung. Hier nun ruft Julia Encke in der FAS vom 23. Janu­ar die neue Kul­tur­staats­mi­ni­ste­rin Clau­dia Roth auf, gegen den Vor­stand des »docu­men­ta Forum e. V. Kas­sel« »gegen­zu­hal­ten«. Der hat­te sich auf die Kunst- und Wis­sen­schafts­frei­heit des Art. 5 Abs. 3 GG und die bekann­te »Initia­ti­ve GG 5.3 Welt­of­fen­heit« beru­fen, die die Ver­ur­tei­lung der BDS-Kam­pa­gne als anti­se­mi­tisch ablehnt. Enckes Befürch­tung: Wür­de die Staats­mi­ni­ste­rin nicht ein­grei­fen, »bedeu­te­te das, dass der Bun­des­tags­be­schluss fak­tisch annul­liert wür­de.« Rich­tig, es wäre auch höch­ste Zeit. Wür­de der Bun­des­tag die­sen bis­her nicht ver­bind­li­chen Beschluss in ein Gesetz mit den erwünsch­ten Aus­gren­zungs­fol­gen umwan­deln, hät­te es bestimmt kei­ne Über­le­bens­chan­cen vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Nun wol­len der Docu­men­ta-Vor­stand und ruan­grupa ein Forum ver­an­stal­ten »We need to talk! Art – Free­dom – Limits« (Wir müs­sen spre­chen! Kunst – Frei­heit – Gren­zen), in dem vom Anti­se­mi­tis­mus und Ras­sis­mus über Kolo­nia­lis­mus und Land­rech­te bis zu Recht, Medi­en und Kunst der gan­ze auf­ge­stau­te Streit auf den Tisch kom­men soll.

Dies liegt ganz auf der Linie des Docu­men­ta-Kon­zep­tes, wel­ches der Vor­stand mit zwei Sät­zen in sei­ner Erklä­rung umris­sen hat: »In der gegen­wär­ti­gen öffent­li­chen Dis­kus­si­on soll­te die Refle­xi­on der Vor­wür­fe einen Dis­kurs in Gang set­zen, der inter­na­tio­na­le Kon­flik­te, Kon­tro­ver­sen und Ent­wick­lun­gen in den Blick nimmt. Nicht die euro­zen­trier­te Welt­sicht, son­dern die inter­na­tio­na­le Weit­sicht aller Posi­tio­nen, Hal­tun­gen, Kul­tu­ren und Reli­gio­nen wer­den die Welt­kunst­aus­stel­lung auch in Zukunft prä­gen.« Die­se Welt­läu­fig­keit und Absa­ge an die abend­län­di­sche Kunst- und Kul­tur-Hege­mo­nie scheint man­chem Feuil­le­to­ni­sten aber nicht geheu­er. Tho­mas E. Schmidt, eben­falls in der ZEIT, beklagt, dass sich die Aus­stel­lung in das Gestrüpp der deut­schen Auf­ar­bei­tungs­kon­tro­ver­sen hin­ein­zie­hen lässt. Wenn sich die Docu­men­ta dar­aus nicht befreit, schreibt er, könn­te die 15. die letz­te ihrer Art sein. Und man weiß nicht, ob ihm das nicht gefal­len würde.

Was auch immer die Forum-Dis­kus­si­on an Erkennt­nis­sen erbringt, man kann dem Kas­se­ler Ober­bür­ger­mei­ster und Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­den der docu­men­ta gGmbH, Chri­sti­an Gesel­le, nur Stand­haf­tig­keit wün­schen, dass er bei sei­ner Ver­si­che­rung bleibt: »Einen Ein­griff in die künst­le­ri­sche Frei­heit darf und wird es mit mir nicht geben – auch nicht durch Über­prü­fung oder gar Beschlüs­se in den Gre­mi­en der Gesellschaft.«