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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Diverse Birnen

Bei der Zeit­schrift Ossietzky geht mir man­ches gegen den Strich – aber eine äußerst sel­te­ne Wohl­tat gewährt uns das zie­gel­rot ein­ge­schla­ge­ne Heft­chen: Es ver­zich­tet im stets 36 Sei­ten star­ken Innen­teil voll­stän­dig auf Abbil­dun­gen jeg­li­cher Art. Somit wird man dort auch nicht von den Brief­mar­ken gro­ßen oder Bild­schirm fül­len­den Fotos belä­stigt, die den Autor oder die Autorin des jewei­li­gen Bei­trags vor­stel­len. Ich emp­fin­de die unauf­halt­sam zuneh­men­de Ver­bil­de­rung der Welt schon seit vie­len Jah­ren grund­sätz­lich als Gräu­el. Seit­dem ich aller­dings hier und dort sel­ber »publi­zie­re«, sto­ßen mir die­se meist »Autoren­por­träts« genann­ten Pass- oder Ganz­kör­per­fo­tos beson­ders übel auf. Ich bil­de mir näm­lich bis zur Stun­de ein: Was ich zu sagen habe, kann ich in Schrift stel­len. Ich benö­tig­te dazu kei­ne foto­gra­fi­sche Aus­sa­ge­kraft. Sie lenkt im glimpf­lich­sten Fal­le ab; häu­fig jedoch rich­tet sie auch jede Men­ge Unheil an.

Frei­lich kann man das Ärger­nis gleich auf die Fotos aus­wei­ten, die nicht den Autor, viel­mehr den Gegen­stand eines Arti­kels zei­gen. Selbst­ver­ständ­lich schmücken sie auch Bücher. War­um genügt es eigent­lich nicht, wenn mir sound­so vie­le Bio­gra­fien über den Maler und Schrift­stel­ler Adal­bert Stif­ter ver­si­chern oder zumin­dest andeu­ten, der Mann sei im Lau­fe sei­ner Kar­rie­re immer fet­ter, erfolg­lo­ser und ent­täusch­ter gewor­den? Müs­sen uns Gemäl­de oder Fotos auch noch sei­ne Gedrun­gen­heit zei­gen? Tra­gen sol­che Abbil­dun­gen auch nur einen Deut zu der auf­ge­schrie­be­nen Dia­gno­se bei, der Mann sei ein über­mü­ti­ger Lang­wei­ler gewe­sen und an sound­so vie­len hohen Zie­len ziem­lich kläg­lich gescheitert?

Nie und nim­mer. Und Ähn­li­ches gilt selbst­ver­ständ­lich für die Autoren von Arti­keln oder Mani­fe­sten. Neu­er­dings geht Sahra Wagen­knecht mit einem Mani­fest gegen die ver­hee­ren­de Kriegs­trei­be­rei hau­sie­ren. Das kann man doof oder gold­rich­tig fin­den. Ist es aber uner­läss­lich, ihre flam­men­den Wor­te (und die Bericht­erstat­tung dar­über) mit ihrem bekannt prin­zes­sin­nen­haf­ten Ant­litz zu zie­ren? Das haben wir doch schon 50.000-mal gese­hen. Ja, eben des­halb! Das Foto wirkt als Signal. Es hat den berüch­tig­ten Wie­der­erken­nungs­wert. Wer die Prin­zes­sin hasst, liest ihr Mani­fest gar nicht erst, oder er ver­schlingt es gera­de­zu, weil er die Prin­zes­sin schon immer verehrt.

Man muss also genau­er, all­ge­mei­ner und weit­tra­gen­der fest­stel­len: das Ver­bil­dern und ins­be­son­de­re Per­so­na­li­sie­ren von Tex­ten, Poli­tik, Öffent­li­chem Wir­ken über­haupt lenkt vor allem von dem Erfor­der­nis ab, sich gedank­lich mit dem aus­ein­an­der­zu­set­zen, was da jeweils ver­tre­ten wird. Eben dadurch rich­tet es viel Unheil an. Es macht die Welt düm­mer, knech­ti­scher und ärmer, obwohl doch täg­lich wah­re Flu­ten von Bil­dern auf uns ein­stür­zen. Heut­zu­ta­ge ist gedank­li­che Mit­ar­beit beim Lesen über­flüs­sig, weil alles wun­der­bar visua­li­siert ist. Zehn­tau­sen­de von typo­gra­fi­schen oder kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­ni­schen Kunst­grif­fen ent­he­ben uns der Mühe, die See­le eines Tex­tes bloß­zu­le­gen bezie­hungs­wei­se unse­re ganz eige­ne Lese­art von ihm zu fin­den. Denn die IT- und Wer­be­frit­zen wis­sen viel bes­ser als wir sel­ber, was für uns gut ist. Sogar der Web­ma­ster von Rubi­kon weiß es, rückt er doch in den mei­sten Bei­trä­gen alle nase­lang ein paar Sät­ze fett­ge­druckt ein. Damit leuch­tet jedem ein, was hier das Wich­ti­ge ist. In Zukunft wird es uns genü­gen, nur noch die paar ein­ge­rück­ten fet­ten Stel­len zur Kennt­nis zu neh­men. Das spart viel Zeit. Ähn­lich funk­tio­nie­ren die inzwi­schen all­ge­gen­wär­ti­gen Kurz­pla­ka­te auf den Start­sei­ten der Por­ta­le oder Maga­zi­ne, »teaser« genannt. Wer die­se unge­mein grif­fig, schlag­wort­ar­tig, phra­sen­haft for­mu­lier­ten »Anrei­ßer« in 20 Sekun­den über­flo­gen hat, weiß Bescheid und kann das Por­tal oder Maga­zin wie­der weg­drücken. Aber es wird noch bes­ser kom­men. Schon heu­te setzt man die »Anrei­ßer« oder auch »Blick­fän­ge« zuneh­mend neben oder auf Fotos, die der Pein­lich­keit und der Gleich­ge­schal­tet­heit der anrei­ßen­den Text­zei­len sel­ten nach­ste­hen. Man wird die Text­zei­len also dem­nächst ein­fach weg­las­sen. Damit kön­nen unse­re Blicke rest­los von jeder Gedan­ken­schwe­re genesen.

Ob Vide­os und alle ande­ren Fil­me, Fern­se­hen ein­ge­schlos­sen, noch schlim­mer sind als Fotos, wage ich im Augen­blick nicht zu ent­schei­den. Auf mei­nem Pla­ne­ten Pöhs­nick wer­den sie tod­si­cher ver­schmäht. »Lite­ra­tur­ver­fil­mun­gen« sind dort beson­ders geäch­tet. Neu­lich hat irgend­ein Dorf­rat sogar eine harm­lo­se »Dich­ter­le­sung« abge­lehnt. Ein gewis­ser Fried­rich Höl­der­lin woll­te ein paar eige­ne Gedich­te vor­tra­gen. »Aber Höl­der, mein Lie­ber«, sag­te die Dorf­schieds­rä­tin ent­setzt, »wer­den dei­ne Wer­ke denn davon bes­ser, dass wir dei­ne oder mei­ne Visa­ge zei­gen?« Ja, wenn der Dich­ter blen­dend aus­sieht oder die Dame, die den Autor ablich­tet, Isol­de Ohl­baum heißt, unbe­dingt. Im Übri­gen kön­nen die Gedich­te natür­lich nur schlech­ter wer­den. Sie erfah­ren Ablen­kung, Ein­engung, Ver­fäl­schung, je nach dem. Zum Bei­spiel liegt das Lab­sal der geschrie­be­nen Wor­te »Mit gel­ben Bir­nen hän­get /​ Und voll mit wil­den Rosen /​ Das Land in den See« auch dar­in, dass sich jeder Leser eine etwas ande­re Bir­ne und ein etwas ande­res Ufer vor­stellt. Die Lese­rIn­nen dür­fen sich ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen machen. Gewiss erfor­dert dies ihre Mit­ar­beit, wie ich bereits ange­deu­tet habe. Und da Mühe im Zeit­al­ter der Roll­trep­pen, elek­tro­nisch gesteu­er­ten Türen und unge­mein »bedie­nungs­freund­li­chen« Taschen-Com­pu­ter ver­pönt ist, sind die Her­stel­ler-, Ver­an­stal­ter- und Ver­fil­me­rIn­nen so freund­lich, uns ihr Bild zu dik­tie­ren. Augen auf genügt.