»Die Lyrik geht auf die Straße, in die Puffs, in den Himmel, den Picknickkorb, die Whiskeyflasche«, schrieb einst der amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski. Das war gleichzeitig Anspruch an sein eigenes Werk, mit dem er die überkommenen poetischen Traditionen sprengte: »Reformkost genügt nicht mehr.« Vom Geheimtipp des Undergrounds in den 1960er Jahren wurde er später ein berüchtigter Kultautor, und heute ist er ein moderner Klassiker, der seinen Platz in der amerikanischen Literaturgeschichte gefunden hat. Doch wie kein anderer entzog sich Bukowski allen Klassifizierungen, vielmehr schrieb er gegen jede Anfeindung der etablierten Kritiker an. Es gab wohl keinen Autor, der so polarisierte wie er. Seine direkten und harten Texte sind zumeist autobiografisch, sie handeln von Alkohol, Drogen, Pferdewetten, Sex, Prostitution und der Brutalität des Lebens. Fast jeder kennt ihn, auch Literaturmuffel haben seinen Namen schon einmal gehört. Sein Name ist immer noch ein Mythos. Doch wer verbarg sich dahinter?
Charles Bukowski wurde am 16. August 1920 in Andernach am Rhein als Sohn des in Deutschland stationierten US-amerikanischen Soldaten Henry Charles Bukowski sr. und der deutschen Näherin Katharina Bukowski (geb. Fett) geboren. Knapp drei Jahre später kehrte der GI mit seiner jungen Familie in die USA nach Los Angeles zurück. Der soldatische Vater war gewalttätig, prügelte den Sohn fast regelmäßig. In die Pubertät gekommen, litt Bukowski außerdem an extremer Akne mit Pusteln am ganzen Körper, weshalb er wie ein Aussätziger in der Schule gemieden wurde und sogar ein Schuljahr aussetzen musste. In seinem späteren Roman »Ham on Rye« (1982, deutsch »Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend«) schilderte er die schmerzlichen Kindheitserlebnisse.
Nach der Schule studierte Bukowski zunächst Journalismus am Los Angeles City College, brach das Studium aber ab und versuchte sich als Schriftsteller mit Gedichten für Underground-Gazetten. Seinen Lebensunterhalt musste er jedoch mit Gelegenheitsjobs als Erntehelfer, Tankwart, Leichenwäscher oder Briefsortierer bestreiten. Nach einem ernsten Krankenhausaufenthalt (schwere Magenblutung) versuchte er sein Leben halbwegs in den Griff zu bekommen; er begann wieder zu schreiben und wandte sich vorrangig der Lyrik zu. Er entwickelte einen harten lyrischen Realismus; seine Gedichte waren wie komprimierte Kurzgeschichten. Dabei bediente er sich einer einfachen und direkten Sprache, mit der er die Lyrik gewissermaßen entpoetisierte. Schon früh experimentierte er mit stilistischen Mitteln wie Zeilensprüngen oder Schriftbildlichkeit. Oft illustrierte er seine Texte auch. 1963 erschien sein erster großer Gedichtband »It Catches My Heart in Its Hand« und 1969 eine Kurzgeschichtensammlung unter dem Titel »Notes of a Dirty Old Man«. Bis 1970 arbeitete Bukowski im Innendienst des U.S. Postal Service. Seine Erlebnisse verarbeitete er in seinem ersten Roman »Post Office« (1971, deutsch »Der Mann mit der Ledertasche«). Erst danach konnte er einigermaßen von seiner schriftstellerischen Tätigkeit leben.
Umso fulminanter war sein Erfolg ab Mitte der 1970er Jahre, wo er einer der auflagenstärksten Autoren wurde, der die dunkle Seite der USA beleuchtete. Seinen Undergroundstatus hatte er dabei nie verloren. Durch die Übersetzungen des Schriftstellers Carl Weissner, der mit Bukowski befreundet und Herausgeber eines Großteils der deutschen Bukowski-Ausgaben war, wurden die Gedichte und Storys des »Außenseiters Bukowski« auch in Deutschland schnell populär – vor allem mit den dtv-Taschenbuchausgaben. Wer up to date sein wollte, musste Bukowski gelesen haben. Erinnert sei hier an die Lyrikbände »Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang«, »Gedichte vom südlichen Ende der Couch« oder »Western Avenue«, an die Kurzgeschichtenbände »Hot Water Music« oder »Jeder zahlt drauf« sowie an den Roman »Das Liebesleben der Hyäne«. Zwischen 1960 und den frühen 1990er Jahren veröffentlichte Bukowski weit über vierzig Bücher mit Gedichten und Prosa.
1978 unternahm Bukowski eine Deutschland-Tournee. Während dieser »Ochsentour« (so der Titel seines Reiseberichtes) wurde er in wenigen Tagen von Stadt zu Stadt gereicht. Dabei besuchte er auch sein Geburtshaus in Andernach und Carl Weissner in Mannheim. Überall Interviews und Autogrammwünsche. Legendär seine Lesung in der ausverkauften Hamburger Markthalle. Bukowski war von seiner Popularität in Deutschland überrascht.
Privat führte Bukowski ein unstetes Leben. Übermäßiger Alkoholkonsum belastete immer wieder die Beziehungen zu seinen Lebensgefährtinnen. So dauerte die Ehe mit der Schriftstellerin Barbara Frye nur drei Jahre. 1977 lernte er Linda Lee Beighle, die Besitzerin eines Bioladens, auf einer Lesung kennen. Mit einigen Unterbrechungen lebten die beiden bis zu seinem Tod zusammen (Heirat 1985). Es war keinesfalls eine konfliktfreie Beziehung, doch mit ihr wurde er sesshaft und sie brachte eine gewisse Stabilität in seine Lebensverhältnisse. Am 9. März 1994 starb Charles Bukowski im Alter von 73 Jahren in seiner Wahlheimat San Pedro, Kalifornien, an Leukämie.
Bukowski war eine rebellische, ja anarchistische Dichterpersönlichkeit, die nicht nur in den 1960er Jahren das antibürgerliche Lebensgefühl der jungen Generation traf. Mit dem Schreiben versuchte Charles Bukowski sein ruiniertes Leben zu verarbeiten, so besteht sein Werk zum Großteil aus Alltagsbewältigungen und Selbstbeobachtungen (sein literarisches Alter Ego ist dabei die Romanfigur Henry Chinanski). Als Schriftsteller war Bukowski ein Außenseiter, ein Einzelgänger, der bis heute widersprüchlich bewertet wird. Da sind die schonungslose Sprache – häufig als Fäkalsprache abgetan – und die literarischen Grenzüberschreitungen bis hin zum Chauvinismus und Sexismus. Man muss ihn halt mögen, diesen provokativen Buk – so sein Nickname.
Zum 100. Geburtstag des Phänomens Bukowski erschien zunächst – inzwischen sind weitere Bücher auf dem Markt – eine schmale Ausgabe mit Katzenporträts. Hier zeigt sich der weiche Kern unter der rauen Oberfläche des »Dirty Old Man«, der von sich behauptete: »Ich mag Hunde lieber als Menschen. Und Katzen lieber als Hunde.« Es sind kurze Prosatexte oder mitunter nur wenige Gedichtzeilen über die »kleinen Tiger«, darunter auch bislang unbekannte Fassungen. Während Bukowski seine Lieblinge Big Sam, Ting oder Beeker beobachtet, sinniert er gleichzeitig über die Widrigkeiten des menschlichen Daseins …, und so resümiert er am Ende: »ich studiere diese Wesen. / sie sind meine Lehrer«. Komplettiert wird das kleinformatige Bändchen durch einige Bukowski-Zeichnungen und Fotos, die den Schriftsteller beziehungsweise seine Ehefrau mit den Katzen zeigen.
Charles Bukowski: »Katzen«, Übersetzung von Jan Schönherr, Kiepenheuer & Witsch, 144 Seiten, 14,90 €. Anfangszitat aus Charles Bukowski: »Held außer Betrieb – Stories und Essays 1946 – 1992« in der Übersetzung von Malte Krutzsch, Fischer Klassik, 2014. Eine fotografische Annäherung unter dem Titel »The Shooting – Bukowski« (Hirmer Verlag) präsentiert zumeist bislang unveröffentlichte Fotos des US-amerikanischen Fotografen Abe Frajndlich, der das Vertrauen des Dichters gefunden hatte. Im Verlag Zweitausendeins ist die Dokumentation »Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z« von Frank Schäfer erschienen, gewissermaßen eine »Bukowskipedia« unter anderem mit vielen biografischen Fakten.