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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Diplomatie

Nein, wir wol­len kei­nen Krieg, nicht mehr und nicht wie­der. Des­halb sind wir gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen und Auf­rü­stung und mili­tä­ri­sche Droh­ge­bär­den. Wir wol­len, inzwi­schen hun­dert­fach geechot, diplo­ma­ti­sche Lösun­gen: So lau­ten die mehr oder weni­ger drin­gen­den Rufe aus vie­len poli­ti­schen und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Rich­tun­gen. Und wenn jetzt sogar der ukrai­ni­sche Prä­si­dent über Ver­hand­lun­gen spricht, auf sei­ne undurch­sich­ti­ge Wei­se, aber immer­hin, dann schei­nen nicht nur die Diplo­ma­tin­nen und Diplo­ma­ten, son­dern wir alle auf einem guten Weg in eine fried­li­che Welt zu sein.

Wirk­lich? Wer will da eigent­lich wel­che Zie­le errei­chen, wenn um Waf­fen­ru­he, also um ein Ende des Gemet­zels auf dem Schlacht­feld, zwi­schen den Fron­ten, ver­han­delt wird? Um die direkt betrof­fe­nen oder indi­rekt bedroh­ten Men­schen scheint es nicht zu gehen, wie ein kur­zer Blick zurück zeigt: Als Putin sei­nen Krieg begann, waren ihm die Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten, die ihr Leben für eine in sei­nem Sin­ne gerech­te und not­wen­di­ge Sache ver­lie­ren wür­den, offen­sicht­lich völ­lig egal, wie ihre Müt­ter und Väter und Ehe­frau­en und Kin­der und Gelieb­ten. Und als Biden im Vor­feld des Krie­ges Ver­hand­lun­gen mit Russ­land ablehn­te und sei­ne und die Nato-Stra­te­gen ihr Ziel erreicht hat­ten, Russ­land in einen Abnut­zungs­krieg zur lang­fri­sti­gen wirt­schaft­li­chen und mili­tä­ri­schen Schwä­chung zu trei­ben, haben sie wahr­schein­lich kei­nen Gedan­ken oder kein Gefühls­mo­le­kül an die zahl­lo­sen Opfer, die ihre Stra­te­gie for­dern wür­de, ver­schwen­det. Und Selen­skyj? Und Stol­ten­berg und Kon­sor­ten? Und Scholz, Baer­bock, Habeck, Pisto­ri­us und wie sie alle hei­ßen, die immer mehr und immer zer­stö­re­ri­sche­re Waf­fen lie­fern? Wer­den sie, wenn sie irgend­wann am Ver­hand­lungs­tisch sit­zen, zu Frie­dens­apo­steln, von Sau­lus­sen zu Pau­lus­sen? Sehen sie ganz plötz­lich die Men­schen, aus denen sie skru­pel­los ihren Nut­zen zie­hen, plötz­lich mit ganz ande­ren, men­schen­freund­li­chen und respekt­vol­len Blicken?

Kei­nes­wegs. Sie alle und ihre diver­sen Adep­ten sind Pro­fi­teu­re des Krie­ges und eines aus­ge­han­del­ten Frie­dens. Sie sind nicht weni­ger Kriegs- als Frie­dens­ge­winn­ler, ver­gleich­bar dem, was in der Psy­cho­the­ra­pie Krank­heits­ge­winn genannt wird: Wie eine – kör­per­li­che oder see­li­sche – Erkran­kung für lei­den­de Men­schen durch­aus Auf­merk­sam­keit und Nach­sicht, manch­mal auch mate­ri­el­le Vor­tei­le mit sich brin­gen kann, sol­len Krieg wie auch Waf­fen­still­stand oder gar ein ver­trag­lich gere­gel­ter Frie­den letzt­lich mög­lichst maxi­mal ertrag­reich sein. Die Mäch­ti­gen wol­len einen zweck­be­stimm­ten Frie­den, mit dem sie ihre Macht stär­ken, ihre Gewin­ne stei­gern, ihr Gewalt­po­ten­zi­al auf­stocken kön­nen. Krie­ge und ihre diplo­ma­ti­sche Fort­set­zung sind janus­köp­fi­ge For­men der Herr­schafts- und Profitsicherung.

An Men­schen sind sie nur inter­es­siert, soweit über sie als »Kano­nen­fut­ter« für ihre macht­po­li­ti­schen und mili­tä­ri­schen Inter­es­sen ver­fügt wer­den kann. Den Indi­vi­du­en, die an der Viel­falt des Lebens teil­ha­ben wol­len, den Lebens­wün­schen und -träu­men Tau­sen­der jun­ger Men­schen, dem Mensch­li­chen, begeg­nen sie gleich­gül­tig, hoch­mü­tig, respekt­los. Sie aus­nut­zen, aus­sau­gen, aus­beu­ten, als Sol­da­ten, als Arbeits­kräf­te – oder auch als Wahl­volk –, ist das magi­sche Drei­eck der mili­tä­ri­schen, der poli­ti­schen, der öko­no­mi­schen Macht. Sie blei­ben Ver­lie­rer, ob auf dem Schlacht­feld oder in der neo­li­be­ra­len Markt­lo­gik, dar­an ändert der jewei­li­ge Modus des Ver­fü­gens über sie nichts, am Ver­hand­lungs­tisch blei­ben die Unter­ta­nen nichts wei­ter als Verschiebemasse.

Für wen ist der diplo­ma­ti­sche Ansatz also frucht­bar, hilf­reich, hoff­nungs­voll? Eine rhe­to­ri­sche Fra­ge ange­sichts der herr­schen­den Ver­hält­nis­se und Zustän­de. Also wei­ter Krieg bis zum bit­te­ren, mög­li­cher­wei­se apo­ka­lyp­tisch-ato­ma­ren Ende? Nein, aber es geht dar­um zu ver­ste­hen, dass Diplo­ma­tie als Mit­tel zum Stop­pen eines Krie­ges heu­te wie in der Ver­gan­gen­heit den­je­ni­gen, die vor allem als Ziel­schei­ben und als Pro­fit­ga­ran­ten nütz­lich sind, am aller­we­nig­sten zugu­te­kommt. Nach Been­di­gung des ersten Welt­krie­ges ver­brei­te­ten die Wei­ma­rer Repu­blik und eine erstark­te Arbei­ter­be­we­gung Hoff­nungs­schim­mer, die aller­dings inner­halb kur­zer Zeit in poli­ti­schen Macht­po­kern, wirt­schaft­li­chem Desa­ster und faschi­sti­schen Gewalt­or­gi­en ver­blass­ten. Als aus dem zwei­ten Welt­krieg zwei neue deut­sche Staa­ten her­vor­gin­gen, war die Idee eines sozia­li­sti­schen Neu­an­fangs nicht nur in der DDR, son­dern auch in der BRD Kri­stal­li­sa­ti­ons­kern für den Auf­bruch in eine fried­li­che, gerech­te Zukunft. Des­sen zar­ter Keim wur­de im west­li­chen Pro­jekt von ehe­ma­li­gen Nazis, reak­tio­nä­ren Macht­po­li­ti­kern und mili­tä­risch-öko­no­mi­schem Druck durch kapi­ta­li­sti­sche Inter­es­sen­grup­pen, inner­halb weni­ger Jah­re erstickt. In bei­den histo­ri­schen Kon­stel­la­tio­nen fiel die auf­flackern­de Hoff­nung vie­ler Men­schen auf ein wür­de­vol­les Leben denen zum Opfer, die ihr Gewalt­mo­no­pol zur Durch­set­zung ihrer Inter­es­sen – viel­fäl­tig diplo­ma­tisch ver­schlei­ert – ein­set­zen konnten.

Dass diplo­ma­ti­sche Hand­lungs­rou­ti­nen struk­tu­rell nichts ver­än­dern, zei­gen die mili­tä­ri­schen und öko­no­mi­schen Pla­nungs- und Haus­halts­skiz­zen für die näch­sten Jah­re. Sozi­al- und Demo­kra­tie­ab­bau zugun­sten mili­tä­ri­scher Inter­ven­ti­ons­po­ten­zia­le und hege­mo­nia­ler Ansprü­che, gehen zu Lasten der mei­sten Men­schen, vor allem der ohne­hin pre­kär bela­ste­ten: Ihre Lebens­qua­li­tät, ihre Zukunft, ihre Gesund­heit, ihre Bil­dung, ihre Wohn­be­din­gun­gen blei­ben wei­ter deso­lat. Diplo­ma­tie bleibt der Sand­ka­sten, in dem die Ver­tre­ter und die Ver­trau­ten des Herr­schafts­ap­pa­ra­tes ihre Spiel­chen aus­tra­gen, die immer und aus­schließ­lich dem Ziel die­nen, macht- und pro­fit­kon­for­me Struk­tu­ren und Syste­me zu sta­bi­li­sie­ren. Die regier­ten, die beherrsch­ten, die benutz­ten, die ver­trie­be­nen Men­schen wer­den der diplo­ma­ti­schen Umtrie­big­keit belie­big geop­fert – wie das aktu­el­le Bei­spiel der Ver­hand­lun­gen zwi­schen Tune­si­en und der EU in einer Wei­se demon­striert, die auch den letz­ten gut­gläu­bi­gen Zwei­fel besei­tigt: Noch wäh­rend der Gesprä­che ging das Mor­den, das Ver­trei­ben in den Hun­ger- und Durst­tod in der Wüste, wei­ter. Auf Ver­hand­lungs­ver­lauf und -ergeb­nis­se hat­te es kei­ner­lei Ein­fluss, im Gegen­teil fei­er­ten nicht nur die poli­ti­sche Klas­se die­ses Lan­des, son­dern auch die ihr höri­gen Medi­en den diplo­ma­ti­schen Erfolg – ein Mords-Spektakel.

Diplo­ma­tie war und ist eine Fal­le für die mei­sten Men­schen, ein Spiel, in dem ihre Lebens­be­din­gun­gen, ihre Sor­gen und Nöte, ihre Äng­ste und Ver­zweif­lung, ihre Hoff­nungs­lo­sig­keit und Resi­gna­ti­on weder die Diplo­ma­ten noch ihre regie­rungs­amt­li­chen Auf­trag­ge­ber jemals son­der­lich inter­es­siert haben. An die­sen Tat­sa­chen ändern jene red­li­chen, recht­schaf­fe­nen, klu­gen und fried­fer­ti­gen Ver­hand­le­rin­nen und Ver­hand­ler nichts, die eine von ihnen selbst nur sel­ten durch­schau­te Dop­pel­rol­le für das herr­schen­de Estab­lish­ment spie­len: Sie geben dem Gescha­cher um Macht und Pro­fit einen mora­li­schen Anstrich, vor allem aber sol­len sie mit ihrem Fach­wis­sen, ihrem Ver­hand­lungs­ge­schick und ihrer Ein­satz­be­reit­schaft den größt­mög­li­chen Effekt für ihre Auf­trag­ge­ber erzie­len. Aber selbst, wenn sie empa­thisch oder ethisch moti­viert sind und das ehr­ba­re Ziel ver­fol­gen, nicht nur die Wür­de, son­dern vor allem das Leben der in den Krieg gezwun­ge­nen Mit­men­schen zu schüt­zen und das sinn­lo­se Mor­den zu been­den, stre­ben sie in den sel­ten­sten Fäl­len nach einer für alle Men­schen lebens­wer­ten, also gerech­ten und fried­li­chen Welt ohne Aus­beu­tung und Unter­drückung, ohne Kolo­nia­lis­mus und Ras­sis­mus. Sie hel­fen viel­leicht, das direk­te Met­zeln zu ver­mei­den, aber das indi­rek­te zu besei­ti­gen – krank­ma­chen­de und töten­de Arbeits­be­din­gun­gen, das Ster­ben im Mit­tel­meer und in der Wüste, das bei Fox­conn, in der Tex­til­pro­duk­ti­on in Ban­gla­desch, im Berg­bau in Sudan usw. –, ist ihr Ziel nicht.

Die Men­schen, die in den Herr­schafts­kal­kü­len nur nach ihrer Ver­wert­bar­keit geli­stet wer­den, soll­ten sich der Wahr­heit stel­len, dass es aus dem gegen­wär­ti­gen glo­ba­len mili­tä­ri­schen, aber auch aus dem kli­ma­ti­schen und öko­no­mi­schen Desa­ster nur einen system­spren­gen­den, kei­nen diplo­ma­ti­schen Aus­weg gibt: Sie müs­sen ihre drit­te Chan­ce inner­halb von etwas mehr als hun­dert Jah­ren erken­nen und ergrei­fen, wenn sie eine lebens­wer­te Zukunft haben wol­len. Wenn erst­mals seit Beginn des Krie­ges in der Ukrai­ne Gewerk­schaf­ten sich öffent­lich gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen und für Abrü­stung aus­spre­chen, wenn, über den gro­ßen Teich geblickt, in Ecua­dor die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung sich gegen wei­te­re Ölför­de­rung und gegen wei­te­re Natur­zer­stö­rung aus­spricht, las­sen sie das ein­zi­ge Hand­lungs­mu­ster erah­nen, das geeig­net wäre, ihre Damen und Her­ren zu ent­mach­ten und nicht auf neue, dra­sti­sche­re For­men ihrer Hal­tung als mensch­li­ches Nutz­vieh her­ein­zu­fal­len: Das Heft des Han­delns in die eige­nen Hän­de neh­men, zu Sub­jek­ten der eige­nen Geschich­te wer­den. Aber der gewerk­schaft­li­che Impuls müss­te eine Wel­le des basis­de­mo­kra­ti­schen Ein­grei­fens der orga­ni­sier­ten Arbei­ter- und Ange­stell­ten­schaft aus­lö­sen; der Gene­ral­streik müss­te als pro­ba­tes Mit­tel der Durch­set­zung von Inter­es­sen gro­ßer Tei­le der Bevöl­ke­rung wie­der hof­fä­hig wer­den; Stra­ßen müss­ten zu Orten der per­ma­nen­ten poli­ti­schen Akti­on wer­den. Noch wich­ti­ger aber: In Russ­land und in der Ukrai­ne wäre mas­sen­haf­te »Fah­nen­flucht«, also Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung, zu mobi­li­sie­ren, ein Ansatz, der in dem Bon­mot »stell Dir vor, es ist Krieg und nie­mand geht hin«, kom­pak­ten Aus­druck fin­det – ent­spre­chend müss­te die Zivil­ge­sell­schaft jede Art von mili­tä­risch nutz­ba­rer Pro­duk­ti­on mit allen legi­ti­men Mit­teln zu unter­bin­den versuchen.

Eine Frie­dens­be­we­gung, die ihre Bezeich­nung ver­dient, müss­te nicht nur nach diplo­ma­ti­schen Akti­vi­tä­ten rufen, son­dern vor allem die Abschaf­fung eines Systems for­dern, des­sen Prot­ago­ni­sten alle For­men des Krie­ges – von denen die des gegen­sei­ti­gen Tot­schie­ßens nur die spek­ta­ku­lär­ste ist – ein­set­zen, um sei­ne Nutz­nie­ßer, die Rei­chen und Mäch­ti­gen, rei­cher und mäch­ti­ger zu machen. Sie müss­te dar­auf drän­gen, die abge­wirt­schaf­te­te reprä­sen­ta­ti­ve durch eine Kom­bi­na­ti­on aus direk­ter und Räte­de­mo­kra­tie zu erset­zen: Für eine Über­gangs­zeit müss­ten exi­sten­zi­el­le Ent­schei­dun­gen, von denen alle Men­schen betrof­fen sind – Krieg, Rüstung, Ver­kehr, Woh­nen, Gesund­heit, Sank­tio­nen, Lebens­ar­beits­zeit, Grund­si­che­rung –, nicht von einer klei­nen Min­der­heit in Par­la­ment und Regie­rung, son­dern von allen Men­schen getrof­fen wer­den, also über Volksentscheide.

Es ist deut­li­cher denn je: Wer sich für den Frie­den bewegt, muss ver­su­chen, nicht nur den waf­fen­strot­zen­den, son­dern auch den sozi­al-öko­no­mi­schen Krieg gegen die Mehr­heit der Men­schen zu been­den. Die Men­schen wol­len nicht durch Gewehr­ku­geln oder Gra­nat­split­ter getö­tet wer­den, und sie wol­len genau­so wenig mit 14 oder 16 Jah­ren vor einer so düste­ren wie arm­se­li­gen Zukunft ste­hen. In bei­den Fäl­len domi­niert nicht der Respekt vor ihrem Leben, ihrem Dasein als Men­schen, son­dern aus­schließ­lich das Inter­es­se, sie jenen ver­füg­bar wer­den zu las­sen, die Fut­ter benö­ti­gen, für Kano­nen, für Maschi­nen, für Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se. Da hilft kein diplo­ma­ti­scher Dis­kurs, kein Ver­hand­lungs­ge­schick, son­dern nur revo­lu­tio­nä­re Kraft und Aus­dau­er. Bis zu die­ser Ein­sicht scheint die Frie­dens­be­we­gung noch einen wei­ten Weg zurück­le­gen zu müssen.