»Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben«, fordern Christoph Neuberger und Sascha Friesike vom Direktorium des Weizenbaum Instituts. Die Corona-Krise sei die Chance zu einem zweiten »Internet-Frühling«. Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Verarmung wird dabei gerne übersehen. »Was mir Sorge macht, ist die Geschwindigkeit des technologischen Wandels, das ist wirklich noch nie so dagewesen, dass innerhalb von zehn Jahren komplette Sektoren verschwinden können«, warnte frühzeitig Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
80 Prozent der Manager haben in der Pandemie neue Tools und Technologien ausprobiert und dabei große Lerneffekte für die digitale Transformation erzielt, ergibt eine Umfrage von Bitkom Research bei rund 500 Geschäftsführern, Vorständen und Digitalisierungsverantwortlichen. »In der Corona-Pandemie wurden Unternehmen gezwungen, Homeoffice einzuführen und Prozesse zu digitalisieren – und sehr viele haben dabei bemerkt, dass dies nicht nur eine Notoperation ist, sondern grundsätzliche Vorteile bringt«, kommentiert Bitkom-Präsident Achim Berg. Corona werde zum »Game Changer«. Die Digitalisierung in den Betrieben erhält einen mächtigen Schub.
Neue Technik erfasst immer mehr Daten. Sammelt immer mehr Daten. Big Data bedeutet in den Betrieben häufig die Anwendung von Algorithmen zur möglichst automatischen Auswertung aller Daten von allen Arbeitsprozessen, auf die der Vorgesetzte dann zugreifen kann. Es wird ausgewertet, wie lange der Mitarbeiter für ein Gespräch mit einem Kunden oder die Bearbeitung eines Antrages benötigt hat. Im nächsten Schritt entstehen Formen der Arbeitsorganisation, die stark auf Fremdsteuerung setzen: Arbeitsschritte werden immer stärker zergliedert und Beschäftigten haben nur noch wenige oder keine Entscheidungsspielräume mehr. Sie werden überwacht. Der nächste Schritt ist die Automatisierung. Ein Prozess, der in den Fabriken schon weit fortgeschritten ist.
Technik ersetzt menschliche Arbeit. Manche Online-Beratung wird per Chat-Bot durch die Maschine übernommen; Stellen in der Kundenberatung oder in der Genussmittelherstellung, von Packern oder Transportarbeitern, von Werkzeugmachern oder Kraftwerkern werden abgebaut. Unklar ist, wie viele Arbeitsplätze konkret entfallen werden. Eine viel beachtete Studie von Carl Frey und Michael Osborne sieht für die USA 47 Prozent des Beschäftigungsvolumens in Produktion, Einzelhandel oder in Dienstleistungsbereichen wie Medizin, Banken oder Architekturbüros als gefährdet an. Besonders Stellen gering qualifiziert Arbeitender können leicht wegfallen, der Weg in Hartz IV und Armut ist dann nicht weit.
Aber sie sind nicht die einzigen, deren Arbeitsplätze gefährdet sind. Zwar kann die Arbeit vieler hochqualifizierter Angestellter nicht mehr durch einfache Methoden gesteuert werden. Die komplexe Arbeit eines Programmierers kann ein Vorgesetzter kaum mit Anweisungen im Sinne von »Befehl und Gehorsam« beeinflussen, dafür fehlt diesem der Einblick in Details der Arbeit. Aber auch hier gibt es Managementstrategien, etwa »digital leadership«: »Aufgabe der Führungskräfte ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter entfalten können«, verkündet Thorsten Petry, Professor der Hochschule Rhein-Main. Dieser Ansatz klingt zunächst nur nach der Flexibilität, die von den Belegschaften verlangt wird – und scheint aus Sicht der Beschäftigten auf den ersten Blick keine grundlegende Veränderung zum heutigen Stand zu sein. Es geht aber um mehr: Ziel ist eine grundlegende Umgestaltung der Arbeitsabläufe und der Arbeitsvergabe. Auch mit Hilfe des Home-Office.
Noch sehen viele Arbeitnehmer das Home-Office wegen der größeren Souveränität als Erfolgsmodell. Und (auch) an seinem Heimarbeitsplatz entscheidet der Beschäftigte eigenständig, WIE er das Ziel erreichen kann. Statt mit direkten Anweisungen, wie eine Arbeit auszuführen ist, organisieren die hochqualifizierten Beschäftigten ihre Arbeitsabläufe selbst. Doch für Heim-Arbeitende haben Unternehmen in Corona-Zeiten die Arbeitssteuerung verändert. Zunehmend nutzen sie Arbeitspakete, »um die Menschen im Homeoffice zu lenken und zu überwachen« erklärt Swen Schneider, Professor der Frankfurt University of Applied Sciences. Die einzelnen Aufgaben und Aufträge werden ebenso wie die einzelnen Beschäftigten zunehmend nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip betrachtet. Als Paket. Doch wenn man als Arbeitgeber immer mehr in Projekten und Arbeitspaketen denke, so Schneider, wenn solche abgegrenzten Arbeitspakete erst einmal dokumentiert und nachvollziehbar seien, merke das Management schnell, dass es »nicht zwangsläufig festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht. Die Arbeiten können auch von Freien ausgeführt werden. Und das mit Sitz auf der ganzen Welt. Auch da, wo Arbeitskraft deutlich billiger ist als in Deutschland«. Die Folgen sind weitgehend: Arbeitsverhältnisse oder planbaren und auskömmlichen Lohn gibt es so nicht mehr. Der Weg in die Gig Economy. Die Gig Economy bezeichnet einen vergleichsweise neuen Teil des Arbeitsmarktes. Kleine Aufträge, die kurzfristig an eine Vielzahl von unabhängigen Freiberuflern vergeben werden. So wie Musiker von einem bezahlten Auftritt (Gig) zum nächsten, hangeln sich beispielsweise Uber-Fahrer oder Deliveroo-Boten von einem Auftrag zum anderen. Auf Plattformen wie Myhammer oder Taskrabbit werden Handwerks- oder Putztätigkeiten vermittelt. Bei Twago oder Upwork können Firmen einzelne Aufträge oder Projekte an Designer, Übersetzer oder Texter vergeben.
Dank High-Tech-Kapitalismus wird zynischerweise auch noch das Prozedere der Entlassung zur Ware. Das Berliner Startup Twinwin »hilft Unternehmen dabei, ihre Mitarbeiter loszuwerden«, meldet businessinsider.de. Die Aufgabe übernimmt ein virtueller »Trennungsmanager«, eine eigens entwickelte Software. Die Technik erklärt die einzelnen Schritte zur Kündigung und liefert im Vorfeld Formulierungshilfen etwa für Abmahnungen. Jede automatisierte Trennungs-Analyse kostet eine Gebühr von 60 Euro, auch ein Flatrate-Abo ist möglich. »Früher war ein Arbeitnehmer jahrelang bei dem gleichen Arbeitgeber, das ist heute anders«, freut sich Max Bauermeister über sein Geschäftsmodell. So kann auch Armut zum Geschäft gemacht werden.
Marcus Schwarzbach ist Autor des neuen isw-wirtschaftsinfos, Nr. 59: »Corona: Profite zuerst – statt Gesundheit« / www.isw-muenchen.de