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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Digital ist manchmal fatal

Wenn man frü­her einen wüten­den Brief an jeman­den schicken woll­te, der einen geär­gert hat­te, ließ man das Geschrie­be­ne oft über Nacht lie­gen. Der Weg zum näch­sten Post­ka­sten wäre am Abend zu weit gewe­sen, oder man hat­te gera­de kei­ne Brief­mar­ke zur Hand. Am näch­sten Mor­gen war dann der Zorn schon halb ver­raucht, oder es kamen einem Beden­ken ob der unkal­ku­lier­ba­ren Fol­gen. Also beließ man es beim Ent­wurf. Das war gut so, denn der Zweck war bereits erfüllt. Man hat­te sich abre­agiert, und der Weg zu einer Klä­rung der Sache war nicht verbaut.

Heu­te schreibt man kei­ne Brie­fe mehr, son­dern E-Mails. Das schnel­le Medi­um ver­lei­tet zu schnel­len Reak­tio­nen. Hin­ter sei­nem Lap­top ver­schanzt kann man leicht vir­tu­el­le Pfei­le auf die­je­ni­gen abschie­ßen, die einen geär­gert oder ver­letzt haben. Eine Bedenk­zeit gibt es dabei nicht. Wer spei­chert schon sei­ne Mail unter Ent­wür­fe ab, wenn er gera­de im Flow des For­mu­lie­rens ist und der Ärger oder die Ver­let­zung so tief sit­zen, dass sie nach rascher oder end­li­cher Satis­fak­ti­on ver­lan­gen. Ein Maus­klick und die Sache ist schein­bar erledigt.

Beim Mai­len kann man sich eini­ger­ma­ßen sicher sein, dass der Adres­sat erreicht wird. Bei Brief­post ist es nie ganz klar, ob sie ankam, ob sie über­haupt geöff­net und gele­sen wur­de. Man­che Brie­fe wer­den ver­legt oder lan­den ein­fach im Papier­korb. Aber eine Mail nicht zu öff­nen, wenn der Absen­der bekannt ist, wür­de schon einen heroi­schen Kampf gegen die eige­ne Neu­gier erfor­dern. Eben weil es nur eines Maus­klicks bedarf. Schon des­halb ist es äußerst attrak­tiv, vir­tu­el­le Pfei­le abzu­schie­ßen. Sie tref­fen ihr Ziel.

Dann aber geht es los. Ob er auf die­se Mail ant­wor­ten soll und wenn ja, wie, fragt sich der Ange­schrie­be­ne. Soll er Ver­ständ­nis zei­gen für den Ärger und die Ver­letzt­heit des ande­ren? Soll er gar eine Schuld oder Mit­schuld ein­räu­men? Oder ärgert er sich sei­ner­seits über Vor­wür­fe, die ihm falsch, unge­recht oder maß­los über­trie­ben vor­kom­men? Hin­ter sei­nem Lap­top ver­schanzt denkt er fie­ber­haft dar­über nach: Ver­tei­di­gung, Begü­ti­gung oder Gegen­an­griff? Der Griff in die Tasten liegt nahe. Zumal all­ge­mein erwar­tet wird, dass auf Mails schnell geant­wor­tet wird.

Das Unheil nimmt sei­nen Lauf. Die gegen­sei­ti­gen Miss­ver­ständ­nis­se und Ver­letzt­hei­ten schau­keln sich hoch, wenn das Gan­ze nicht unter­bro­chen und der Ver­such einer Aus­spra­che »face to face« oder wenig­stens per Tele­fon gemacht wird.

Beson­ders unpro­duk­tiv sind meist auch Ver­su­che, per Rund­mail Dis­kus­sio­nen zu füh­ren. Obwohl gera­de das als vom Medi­um ermög­lich­tes demo­kra­ti­sches und trans­pa­ren­tes Ver­fah­ren gilt. Weil alle anschei­nend alles mit­be­kom­men und zu allem Stel­lung neh­men kön­nen. Das führt aber häu­fig dazu, dass klei­ne Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten auf­ge­bauscht oder For­mu­lie­run­gen auf die Gold­waa­ge gelegt wer­den, weil man sich pro­fi­lie­ren möch­te, was bei räum­li­cher Tren­nung ein­fa­cher ist als in einer offe­nen Debat­te mit bestimm­ten Regeln und einer Dis­kus­si­ons­lei­tung. Die Sache, um die es geht, gerät dann in den Hintergrund.

Die digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on hat vie­le Vor­tei­le mit sich gebracht. Um Pro­ble­me und Kon­flik­te zu lösen, erscheint sie unge­eig­net. Da kann nur die gute alte ana­lo­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on weiterhelfen.