1.Den Faschismus begreifen – das hat zuerst dessen objektives Wesen als monopolkapitalistisches Regimeformat im Visier. Und damit zusammenhängend: dessen aufs Subjektive zielende Verheißungen. Marx hatte im »18. Brumaire« diese Methode seiner Geschichtsbetrachtung an Louis Bonaparte verdeutlicht. Dessen »Dezembergesellschaft« schenkte beim Staatstreich 1851 seiner Massenbasis, den eigenbrötlerisch reaktionären Parzellenbauern, die Versicherung: »Ruhe und Ordnung!«. An einer ähnlich vagen Parole ergötzten sich die Rechten Anfang des letzten Jahrhunderts: »völkisch«. Was so wenig definierbar war, wie in andere Sprachen übersetzbar. Aber selbst liberale und linke Geschichtsdeuter lassen sich von diesem Brustgetrommel bis heute einschüchtern: Als ob die »Völkischen« – »wir sind das Volk!« – die Volksmehrheit seien, und Linke dagegen gleichsam natürlich nur bei den Minderheiten zu stehen hätten. Viel zu lange wandten sich Linke sogar von allem Volkstümlichen ab.
Eine materialistische Psychologie, die Zusammenhänge von Psychologie und Geschichte durchforstet, kommt zu einem ganz anderen Ergebnis: Der Faschismus war objektiv »mehrheitsfeindlich« und auf die immer kleiner werdende Minderheit von Monopolkapitalisten zugeschnitten. Und musste sich darum demagogisch stets neue Mehrheiten ergaunern. Mit solcherlei Vorgaukelungen wie »völkisch« »national«, »sozialistisch« und »Arbeiterpartei« schleimten sich die braunen Kettenhunde deutscher Stahlbarone bei strauchelnden Schichten des werktätigen Volks ein.
Wenn aber heute Tagesschausprecher uns echten Sozialisten »die Nationalsozialisten« genüsslich unter die Nase reiben, übernehmen sie bruchlos eine Marketing-Lüge der Nazis. Auch schon mal gegen Sahra Wagenknecht als »nationale Sozialistin« (wenn die nicht, wie gerade, als Höcke-Töterin bis zur Thüringen-Wahl medial und »dienstlich« etwas geschont wird).
»Völkisch« dient aber auch dazu, die AfD im aktuellen Verbotsdiskurs als »gesichert rechtsextrem« zu kategorisieren. Das Dream-Team Faeser, Haldenwang (der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz) und die deutsche Bischofskonferenz fabulieren von einem »geschlossenen rechten Weltbild«. Und von einer »völkischen Gesinnung« (warum nicht gleich von einer »arischen« oder »nordischen« Gesinnung?).
Hingegen dort, wo sich die AfD mit allen Bundestags-Fraktionen gemeinsam und gemein macht (bei Steuerverkürzung für Superreiche, Renten- und Sozialhilfe-Kürzungen, Nato-Aufrüstung, Netanjahus Terror-Regime etc.), wird sie von Slomka & Co. nicht angegriffen. Dafür aber als »völkisch«.
Bloß: »Völkisch« ist eine rein subjektive, ideologische Halluzination. Wer einem anderen vorwirft, »völkisch gesinnt« zu sein, muss erst einmal erklären, was er (oder sie) damit meint. Denn »völkisch« hat nichts von dem, was ein begreifender Begriff braucht. »Völkisch« und »fremdvölkisch« verklären nur willkürlich zusammengetragene Eigenschaften einer willkürlich zum »Volk« erhobenen Menge.
Für den israelischen Faschistenminister Smotrich wäre da zum Beispiel »der Erfindergeist des jüdischen Volks« gegen »die Faulheit des palästinensischen« eine »völkische« Anrufung. Für die alten Nazis war der deutsche Knabe »völkisches Ideal«: flink wie ein Windhund, schlank, rank und blond – eben nicht gerade ein Nachbau von Goebbels, Göring und Hitler.
Wer aber »völkisch« heutzutage verwendet – auf- oder abwertend – bemisst willkürlich und von oben herab bei anderen einen hohen Grad an Heimatfixierung. Und meist übernimmt er dabei bruchlos eine Kernkategorie der Nazi-Demagogen: Als gäbe es in eines Volkes »Blut« tatsächlich so etwas wie einen genomischen Transmitter für gemeinsame Ideen, für »arisch-rassische« Kulturwerte oder ein nordisches »Herrenvolk«.
Die Faschisten riefen damit »ein Volk und ein Reich« zu den Waffen (wobei Schwule, Frauen und Behinderte noch nicht ins Feld durften) und zum Frondienst unter die jeweilige Wirtschaftselite. Sowas garnierte der frühere Anarchist und »Sozialdemokrat« Mussolini mit sozialer Demagogie: »Unser Staat ist kein kapitalistischer, sondern ein Korporativstaat.«
Gramsci und Togliatti gingen diesem Kälbermarschgeschrei nicht auf den Leim und verschärften nicht einfach trotzig den Kampf »Klasse gegen Klasse«. Sie setzten hingegen auf eine neue antiimperialistische Allianz, einen »historischen Block« (Gramsci/Togliatti) der werktätigen »neun Zehntel« (Dimitroff). Gegen das »Völkisch«-Geschwurbel stritten sie: für Volksfront.
In Deutschland kriegt gerade Mussolinis »Korporativstaat« eine modische Regenbogentönung und ein pinkes Fußball-Dress von Nike verpasst. Das »Volks-Ganze« bekommt seinen woken Klang, wenn Frauen und sämtliche anderen Geschlechter nebst sexuellen Neigungen in großer Con- und Inklusion zu den Waffen gerufen und in Billigarbeit und Insolvenzen getrieben werden. Während aktuell Superreiche immer reicher werden – und kriegerischer.
»Nationalistisch« oder »etatistisch« sind, im Unterschied zu »völkisch«, echte Begriffe. Die sich zwar ideologisch übersteigert, aber auf menschgemachte Einheiten beziehen: eben Nation oder Staat. Besonders der Begriff »faschistisch«, den woke Denunzianten scheuen, ist durch und durch wissenschaftlich begründbar. An der Macht und in seiner sozialen Bewegung. Wofür stets reaktionärste Traditionen und Verklemmungen angetriggert wurden zum antikommunistischen Terror gegen politische und intime »Schamlosigkeiten« werktätiger Männer und besonders Frauen, vor allem, wo diese sich organisiert gegen ihre Unterdrücker erhoben.
Laut Georgi Dimitroffs berühmtem Referat vor dem VII. Weltkongress der Komintern sind in die faschistische Demagogie nicht nur jeweils modische Fetzen reaktionärster Menschenbilder eingestickt. Der Faschismus spekuliert dazu »auch mit den besten Empfindungen der Massen, ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar ihren revolutionären Traditionen«. Dazu haben Braune einst rote Metaphern entkernt. Wie es heute Grüne tun.
Jetzt wollen Ampel-Kriegshetzer Arm in Arm mit der BlackRock-CDU Streikrecht, Sozialhilfe, Meinungsfreiheiten und andere erkämpfte, gesetzliche Rechte aushebeln. (Dagegen wären übrigens AfDler die ersten Nazis in der deutschen Geschichte, die »Frieden mit Russland« fordern.)
2.Seit den Jakobinern und der französischen Revolution gibt es auch die Bezeichnung »Linksnationalisten«. Angewendet wurde diese später auch auf Revolutionsführer wie Bolivar, den jungen Castro, Lumumba, Nasser, Ortega und Chavez. Die linksnationalistischen Parolen vom »Großen Vaterländischen Krieg« der Roten Armee oder Kubas »Vaterland oder Tod« fanden bei der internationalistischen, deutschen Linken eine gewisse Akzeptanz, solange sie »nur« von unterlegenen Staaten genutzt wurden, um im Krieg gegen den Hauptfeind Imperialismus zu überleben. Da »durfte« übersteigert auf »National-Traditionen« zurückgriffen werden. Aber nicht nur in ärmeren Ländern suchen Menschen bisweilen neuen sozialen Halt in alten nationalen Traditionen, sondern auch zunehmend krisengeschüttelte Ärmere in reicheren Staaten. Ohnmächtig, angesichts von Spaltung der Linken, Versailles-Diktaten und Inflation griffen in Deutschland vor 1933 eben auch Weniger-Politisch-Organisierte-und-Gebildete, junge Arbeitslose und pleitegegangene Handwerker, nach solcherlei nationalistischen Selbstvergewisserungen.
3.Horkheimer verbat sich einst ein Reden über Faschismus, solange dessen innerer Kapitalismus verschwiegen würde. Kühnel sprach vom Faschismus als bürgerlicher Herrschaftsform. Dimitroff allerdings hatte bereits die Wesensmerkmale der faschistischen Diktatur schärfer gefasst, nämlich als Regime imperialistischster Monopole. Deren Historie hatte 1976 mit ungeheurer Geistesarbeit Reinhard Opitz auf 1018 Buchseiten dokumentiert (»Europastrategien des deutschen Kapitals«, Pahl Rugenstein). So auch auf den Seiten 689-800 die Ausführungen, die der Ausschwitz-Finanzier Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank vor Reichswirtschaftsführern hielt, um diese 1940/41 auf den kommenden Überfall auf die Sowjetunion einzuschwören. Er kalkulierte vor, wie mit den Renditen des »Unternehmens Barbarossa« aus russischem Gas, Öl und Arbeitssklaven die Schulden von gleich zwei Weltkriegen zu begleichen gewesen wären. Abs sprach dort ganz und gar nicht »völkisch«. Aber die in Aussicht gestellten gigantischen Monopolprofite sollten durchaus »heim ins Reich« fließen: zu Krupp, Thyssen, Siemens, IG Farben, Daimler & Co. Und zur Deutschen Bank. Dimitroff hatte solches betitelt als »die Politik des wirtschaftlichen Nationalismus (Autarkie)«.
Die subjektiven »völkischen« Anrufungen der Unteren von Seiten der Nazis korrespondierten also durchaus mit autarken Profit-Berechnungen der deutschen Bourgeoisieteile an der Macht. Um beides, das objektive Wesen des Faschismus bis 1945 und seine subjektiven Botschaften an das Volk, in einem gewissen Gleichklang zu verfassen, also im Nationalismus ihrer Zeit, wurden »Volk ohne Raum« und »völkisch« zu ideologischen Klammern von unten und oben.
Als nun, nach der »Potsdam-Gate-Inszenierung« von Correctiv, auf den Demowellen »gegen rechts« surfende Hauptredner eine bevorstehende »Machtergreifung 2.0« prophezeiten, wurde medial der Eindruck verbreitet, ein neuer deutscher Faschismus könne tatsächlich noch einmal im alten »völkischen« Gewand auferstehen. So, als ob seine ökonomische Basis heute tatsächlich noch einmal eine »Autarkie« (Dimitroff) wäre. Ein – zugegeben – genialer Taschenspielertrick, um Regimes der transnational agierenden Konzerne wie BlackRock, Rheinmetall, Microsoft, Apple, Amazon, Soros & Co für die Unteren in mildem Licht zu spiegeln. Während sie von oben durch woke, anti-»völkische« Sprech-Eliten auf entgrenzte Kriegstüchtigkeit umgedrillt werden sollen.
Noch gelingt ihnen diese kulturelle Ermächtigung auch per antifaschistischem Fingerzeig auf Pinochet, Milei, Bolsonaro, Breivik und andere rechte Mörder. Aber die »völkische« Hetze in deren »Manifesten« war und ist zugleich Grußadresse an werte-westliche »Herrenmenschen«, Dollar-Herrschaft und Pentagon.
Der alte Faschismus war in Wahrheit antinational und »mehrheitsfeindlich«, wie die deutschen Trümmerfelder von 1945 beweisen. Über sein Wesen – und nicht nur über Erscheinungen der anachronistischen Rechten mit ihrem »völkischen« Agitprop – muss mutiger aufgeklärt werden. Und Mehrheiten dagegen auf die Straße gebracht. Für den Antifaschismus der Verfassung: Nie wieder Krieg!