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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Diether Dehm   Völkischer Antikommunismus

Der Natio­na­lis­mus habe »aus­ge­dient«, über­ti­telt David Leg­rand in 8/​23 zu Recht sei­nen Bei­trag und benennt den Natio­na­lis­mus – etwas unbe­stimmt – als »Kata­ly­sa­tor für grau­sa­me Ver­bre­chen« (S. 271). Als Kata­ly­sa­tor bezeich­net man gemein­hin etwas Beschleu­ni­gen­des. Oder sogar etwas Aus­lö­sen­des. Aber waren die Beweg­grün­de jener Bank- und Stahl­bos­se, die Nazis finan­zier­ten und deren ren­di­te­fi­xier­te Polit-Stra­te­gen Armeen gen Frank­reich und Russ­land ver­blu­ten lie­ßen, nicht viel käl­te­res Kal­kül als der bro­deln­de Natio­na­lis­mus für den brau­nen »Plebs«? Oder anders gefragt: Kommt der Faschis­mus in einem impe­ria­li­sti­schen Kern­land je wie­der völ­kisch an die Macht?

»Volk ohne Raum« war doch bereits vor 90 Jah­ren eher Opi­um fürs Volk, wäh­rend Hit­ler und sei­ne kos­mo­po­li­ti­schen Groß­fi­nan­ziers mit dem »feind­li­chen Aus­land« noch lan­ge Bom­ben­ge­schäf­te betrie­ben; z. B. mit »Gene­ral Motors«, »Stan­dard Oil«, auch mit den größ­ten US-Bank­häu­sern wie »Cha­se«, »West­min­ster«, »Bar­clay«, sowie mit den Indu­stri­el­len P. Get­ty und H. Ford (H. J. Abs am 23.1.41 zur Grün­dung der Con­ti­nen­ta­len Petro­le­um-AG: »Für die Betä­ti­gung im Aus­land legt sich die neue Gesell­schaft kei­ner­lei Beschrän­kung auf«; »… aus­sichts­rei­che Ver­hand­lun­gen mit Stan­dard Oil über die unga­ri­schen Petro­le­um­fel­der (…), auf 30 Mio. $ geschätzt«, zitiert nach R. Opitz, Euro­pa­stra­te­gien des deut­schen Kapi­tals, Pahl-Rugen­stein 1994, S. 801/​802).

Eine mate­ria­li­sti­sche Psy­cho­lo­gie (die auch gro­ße, histo­ri­sche Bewe­gun­gen in ein­zel­nen see­li­schen zu spie­geln weiß), soll­te uns hel­fen, den dia­lek­ti­schen Zusam­men­hang von »objek­ti­vem« Gesche­hen und sub­jek­ti­ven Kul­tur­po­ten­zia­len zu erken­nen: völ­ki­sche Dem­ago­gie für die da unten – Ren­di­te­kal­kül für die Ober­sten! Ist also der Faschis­mus »an der Staats­macht« (Dimit­row) iden­tisch mit sei­nen sub­jek­ti­ven Beweg­grün­den, einen Hit­ler, Mus­so­li­ni oder Pino­chet bei deklas­sier­ten Mit­tel­schich­ten und Arbeits­lo­sen hochzuhalten?

Der Jour­na­list Richard Sey­mour geht in den Mar­xi­sti­schen Blät­tern (6/​20) zunächst dem Nucleus völ­ki­schen und natio­na­li­sti­schen Bewusst­seins nach: am Bei­spiel vom »Aus­schuss für uname­ri­ka­ni­sche Betä­ti­gung« des (als Anti­kom­mu­nis­mus immer noch wirk­mäch­ti­gen) McCar­thy­is­mus und fragt dann naiv: »Aber war­um soll­te das Idi­om des Anti­kom­mu­nis­mus heu­te so mäch­tig sein, wo der Kom­mu­nis­mus kaum noch existiert?«

Er führt in eini­gen Zita­ten aus, wie der »Topos eines kul­tu­rel­len Mar­xis­mus« seit 1917, als der Chef-Kor­re­spon­dent der Times in Russ­land eine »bro­deln­de Mas­se der jüdi­schen Armen« beklag­te und »Win­s­ton Chur­chill, den inter­na­tio­na­len Juden die Schuld am Kom­mu­nis­mus« gege­ben hat­te, weil die »kei­ne Loya­li­tät gegen­über der Nati­on haben« (S. 4), einen völ­ki­schen Natio­na­lis­mus beför­der­te. Dann zitiert Sey­mour Joel Kovel, wonach »im schwar­zen Loch Anti­kom­mu­nis­mus alles, (…) was als bedroh­lich emp­fun­den wird, in einem ein­zi­gen ver­rä­te­ri­schen, teuf­li­schen Feind zusam­men­ge­presst (…) wer­den kann. Es sind nur ver­schie­de­ne Ten­ta­kel der­sel­ben kom­mu­ni­sti­schen Krake.«

Bei­de, Sey­mour und Leg­rand, sehen rea­le Nati­on und pro­ji­zie­ren­den Natio­na­lis­mus in posi­ti­ver Kor­re­la­ti­on und nicht als Gegen­satz. Dar­um emp­feh­len bei­de als »The­ra­pie« supra­na­tio­na­le Struk­tu­ren wie in der EU oder im IWF anstel­le der »aus­ge­dien­ten« Nati­on: »ver­stärkt Ant­wor­ten auf öko­no­mi­sche, sozia­le, kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Her­aus­for­de­rung in einer akzep­tier­ten Art und Wei­se fin­den und ein Mit­ein­an­der för­dern sowie Iden­ti­täts­an­ker« (Ossietzky, S. 273). Voll­kom­men anders hat­te Karl Radek in sei­ner viel­be­ach­te­ten »Schla­ge­ter-Rede« die natio­na­len Kräf­te und Struk­tu­ren auf­ge­ru­fen, sich mehr um die »natio­na­li­sti­schen Klein­bür­ger­massen« zu küm­mern; im sel­ben Jahr 1924 übri­gens, in dem bereits Cla­ra Zet­kin – »nach rechts offen«, wohin denn sonst? – ein ähn­li­ches Hin­wen­den zu die­sen Mit­tel­schich­ten von Sei­ten natio­na­ler Arbei­ter­be­we­gun­gen gefor­dert hatte.

Aus alle­dem soll­te zumin­dest abge­lei­tet wer­den, objek­ti­ve Funk­ti­on und sub­jek­ti­ve Ver­fasst­heit des Völ­ki­schen kla­rer aus­ein­an­der­zu­hal­ten. Und kei­nes­falls natio­na­li­sti­schen Begriff­lich­kei­ten vom mono­li­thi­schen »Volk« sel­ber auf den Leim zu gehen. Es ist also mehr dem­ago­gi­scher Nebel, den Leg­rand im Natio­na­lis­mus zutref­fend bezeich­net: »Die eige­ne Nati­on wird gegen­über ande­ren Natio­nen über­höht.« Denn eine klas­sen­über­grei­fen­de Hege­mo­nie gibt es nicht ohne Gewin­ner und Ver­lie­rer. Aber lei­der grenzt der Autor auch die sub­jek­ti­ven Beweg­grün­de eines »regio­na­len Natio­na­lis­mus« nicht von dem der öko­no­mi­schen Eli­ten ab. Und wirft gar noch in einen Topf: den Natio­na­lis­mus »Kata­lo­ni­ens und Nord-Irlands« (der viel weni­ger von der anti­pro­le­ta­ri­schen Mili­tanz des Anti­kom­mu­nis­mus durch­prägt ist) mit welt­kriegs­po­ten­tem Natio­na­lis­mus einer impe­ria­li­sti­schen Super­macht wie 1933.

Dem töd­li­chen Gemisch aus Anti­kom­mu­nis­mus und Natio­na­lis­mus nicht nur auf die Spur zu gelan­gen, son­dern es prak­tisch durch sozia­le Revol­te, Abrü­stungs­kampf, Zuwen­dung an die bür­ger­li­chen Mit­tel­schich­ten und kul­tu­rel­le Auf­klä­rung zu zer­le­gen und zu über­win­den, bedarf es also drei­er ent­schei­den­der Entzerrungen:

die objek­ti­ve Funk­ti­on im Faschis­mus an der Macht von des­sen sub­jek­ti­ver Ver­fasst­heit zu unter­schei­den, aber gleich­zei­tig die inne­ren Kor­re­spon­den­zen zwi­schen unten und oben bloßzulegen;

den Natio­na­lis­mus impe­ria­li­sti­scher Groß­mäch­te vom klei­ne­ren, regio­na­len »Natio­na­lis­mus« über­all auf der Welt zu trennen;

die klas­sen­spe­zi­fi­sche Unter­schei­dung stets von einem natio­na­li­stisch pau­scha­lie­ren­den Natio­nal-Begriff zu lösen, weil in jeder einen Nati­on durch das Pro­le­ta­ri­at (nebst Mehr­heit der Mit­tel­schich­ten) und deren Klas­sen­wi­der­sprü­chen zu gro­ßen Kapi­tal­be­sit­zern zumin­dest zwei Natio­nen (frei nach Lenin) gegen­ein­an­der ringen.

Wo aber eine gan­ze Nati­on gede­mü­tigt oder in toto auf die Ankla­ge-Bank einer Kol­lek­tiv­schuld gesetzt wird, ohne sie in Klas­sen zu schei­den, kann das mör­de­ri­sche Gebräu nur ver­schärft wer­den, wel­ches psy­cho­lo­gisch aus den nach hei­mat­li­chen Stroh­hal­men grab­schen­den Abstiegs­be­droh­ten und aus mili­tan­ten Refle­xen gegen pro­le­ta­ri­sche »Scham­lo­sig­kei­ten« zusam­men­ge­rührt ist. Gera­de in die­sem umfas­sen­den Sin­ne war für Tho­mas Mann »der Anti­kom­mu­nis­mus die Grund­tor­heit der Epo­che«. Die eigent­li­che Wirk­macht des Anti­kom­mu­nis­mus zieht die­ser nicht bloß aus Aver­sio­nen gegen orga­ni­sier­te Kom­mu­ni­sten, son­dern auch als »Schutz­mi­liz« für Staats­ord­nung und Sexu­al­mo­ral, also eben­so zum Erhalt sozia­ler Ver­schämt­heit wie ero­ti­scher Scham­haf­tig­keit »unten« – und damit gegen »Unver­schämt­hei­ten« des Pro­le­ta­ri­ats, Scham­lo­sig­keit von Frau­en und punk­tu­ell gegen pro­vo­zie­ren­de Rand­grup­pen. Wenn sich dann etwas »von unten« erhebt, kriegt nicht nur die gesam­te Tek­to­nik dar­über »einen Schlag mit«, son­dern wird gleich­zei­tig auch alles Reak­tio­nä­re psy­chisch ange­trig­gert und zur anti­de­mo­kra­ti­schen Brand­ge­fahr (wes­halb die DDR, um dies abzu­fe­dern, beson­ders natio­na­le Tra­di­tio­nen her­aus­ge­stellt hatte).

Grün­li­che Anti­deut­sche hin­ge­gen haben aus die­sem »Antrig­gern« eine Art »Jagd­sport vom Hoch­sitz aus« gemacht. Umso deut­li­cher müs­sen wir uns davon abset­zen – weil ja alle bis­he­ri­gen Regie­run­gen mit Grü­nen an Bord von gro­ßen Bevöl­ke­rungs­grup­pen als »links« ange­se­hen wer­den. Dem anti­deut­schen Befeu­ern reak­tio­nä­rer Kräf­te set­zen wir den Aus­bau von Sozi­al­staat im Natio­nal­staat ent­ge­gen. So soll­ten wir – theo­re­tisch wie prak­tisch – alle wie­der­auf­kei­men­den, rechts­extre­men Refle­xe kul­tu­rell ent­zer­ren hel­fen. Grün­li­cher Gift­müll stinkt fürs All­tags­be­wusst­sein näm­lich oft auch von unse­ren Schuh­soh­len. Und bei anti­deut­schen Zita­ten im Netz ist es uner­heb­lich, ob sie vom grü­nen Ex-Mini­ster Trit­tin stam­men, wört­lich vom Ex-Außen­mi­ni­ster oder »nur« aus einer Zusam­men­fas­sung von Büchern und Gesprä­chen mit Fischer:

»Deutsch­land ver­schwin­det jeden Tag immer mehr – und das fin­de ich ein­fach großartig.«

»Deutsch­land muss von außen ein­ge­hegt und von innen durch Zustrom hete­ro­ge­ni­siert, qua­si ver­dünnt wer­den« (so von Fischer zitiert bei Miri­am Lau in der WELT, 7.2.2005).

»Deutsch­land ist ein Pro­blem, weil die Deut­schen flei­ßi­ger, dis­zi­pli­nier­ter und begab­ter als der Rest Euro­pas (und der Welt) sind. Das wird immer wie­der zu Ungleich­ge­wich­ten füh­ren. Dem kann aber gegen­ge­steu­ert wer­den, indem so viel Geld wie nur mög­lich aus Deutsch­land her­aus­ge­lei­tet wird. Es ist voll­kom­men egal wofür, es kann auch radi­kal ver­schwen­det wer­den – Haupt­sa­che, die Deut­schen haben es nicht. Schon ist die Welt gerettet!«

»Deut­sche Hel­den müss­te die Welt, toll­wü­ti­gen Hun­den gleich, ein­fach totschlagen.«.

Vor letz­te­rem Fischer-Zitat haben wir als radi­ka­le Demo­kra­ten vor allem sol­che Hel­den in Schutz zu neh­men, die der wider­stän­di­gen deut­schen Geschich­te ent­stam­men, vom Che­rus­ker Her­mann bis Robert Blum, von Rosa Luxem­burg bis Sophie Scholl.

Zuletzt noch ein­mal zu Legrands Über­schrift im Heft 8/​23: Ja, der Natio­na­lis­mus »hat aus­ge­dient« – in impe­ria­li­sti­schen Kern­staa­ten all­mäh­lich sogar als dem­ago­gi­scher Gift-Leim für die Unte­ren. Das impe­ria­li­stisch­ste, trans­na­tio­nal agie­ren­de Mono­pol­ka­pi­tal hin­ge­gen war sei­nem eige­nen Schleim noch nie selbst auf den Leim gegan­gen. Denn es hat bis heu­te sei­ne inne­re, von Marx auf­ge­deck­te Ten­denz gegen Natio­nal­staa­ten, »den Welt­markt zu schaf­fen«, nur radi­ka­li­siert: »Jede Gren­ze erscheint als zu über­win­den­de Schran­ke« (MEW 42; S. 321).

 Diet­her Dehm, lang­jäh­ri­ger MdB für SPD und LINKE, ver­öf­fent­lich­te kürz­lich zur o. a. Pro­ble­ma­tik das Buch »Por­no­gra­phie und Klas­sen­kampf – Für eine mate­ria­li­sti­sche Psy­cho­lo­gie« (Pro­me­dia) und die CD »Dass ein gutes Deutsch­land blü­he! Arbei­ter­lie­der von damals und jetzt«.