Meine Profession bringt es mit sich, zuweilen in fremden Betten zu schlafen und fremde Bäder zu benutzen. Ich schnarchte bereits auf fünf Kontinenten und stand dort unter diversen Duschen. Gelegentlich glitt ich unter der Brause aus, ohne ernsthaft zu Fall zu kommen, gottlob. Doch die Furcht war mein ständiger Begleiter, dem ich einmal – würde ich Zeit zum Schreiben finden – literarisch den Garaus zu machen hoffte. Das Buch sollte heißen: »Die Angst des engagierten Dienstreisenden vor einem unbeabsichtigten Sturz aus einer zu hohen Duschtasse«. Wer jemals in höherem Auftrag unterwegs war, kennt gewiss die Sorge zu scheitern. Und wenn dies auch noch unter derart misslichen Umständen geschah, bekam man es anschließend mit den stirnrunzelnden Vorwürfen des Vorgesetzten und dem höhnischen Gespött der Kollegen zu tun. Diese Seelenqual wollte ich, mit einem gewissen Anflug von Ironie, in diesem Buch ausbreiten. Auch die DDR sollte darin vorkommen. Schließlich sah man sich schon aus Devisengründen veranlasst, die preisgünstigsten Absteigen zu wählen und konnte darum einiges erzählen. Nicht nur von glitschigen Duschtassen, sondern auch von anderen schlüpfrigen Dingen. So besuchte ich beispielsweise in den frühen achtziger Jahren eine Peepshow in Stuttgart. Diese Einrichtungen hatten soeben den Geltungsbereich des Grundgesetzes erreicht, und mich trieb journalistische Neugier zur Investition von einer D-Mark meines bescheidenen Tagesgeldes. Ich verließ alsbald gelangweilt den Platz an der Klappe, den dankbar ein hinter mir wartender Schwabe in feinem Zwirn besetzte, welcher offenkundig hier seinen Nachtisch zum Lunch mit den Augen einzunehmen wünschte und nun sparen konnte.
Das monatliche Aktfoto in unserem Magazin fand ich erheblich interessanter.
Davon erzählte ich nach meiner Rückkehr in der Redaktion und erzeugte mit dem Bericht schenkelklopfende Heiterkeit bei den Kollegen. Der beisitzende Stellvertreter des Chefredakteurs amüsierte sich nicht minder, was ihn jedoch nicht davon abhielt, mich Minuten später in sein Büro zu rufen, um mich zu tadeln. Die Arbeiterklasse erwirtschafte im Schweiße ihres Angesichts und im sozialistischen Wettbewerb mühsam die Devisen für unser Land, auch damit ich auf Dienstreise geschickt werden könne, und was mache ich? Ich würde das Geld für solch einen Schund ausgeben. Eine D-Mark, wollte ich einwenden, doch unterließ es: Der meinte das ernst, was er mir an den Kopf warf. (Später fand ich doch tatsächlich darüber eine Notiz in meiner Kaderakte. Ich besäße noch nicht die moralische Reife für Reisen ins NSW und sollte darum fürderhin nicht mehr in diesen Teil der Welt reisen, schrieb eben jener Mann, der dafür bekannt war, sich – obwohl verheiratet – für jüngere Kolleginnen aus der Redaktion zu interessieren. Nun ja, dies geschah auf dem Boden unseres Landes und eben nicht im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet. Aber auch das war die DDR, weshalb ich sie liebte: Oft verhallte, wie auch in meinem Falle, das Gequake von Pharisäern ohne jedes messbare Echo.
Auf derlei historische Abschweifungen wäre ich also auch zu schreiben gekommen, wodurch meine – hoffentlich launigen – Geschichtchen punktuell auch einen aufklärerischen Zug erhalten sollten. Doch der Verlag winkte ab. Der Titel sei zu lang. Das war noch bevor Jonas Jonassons Weltbestseller »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand« erschienen war. Danach gab es eine Inflation ellenlanger Buchtitel. Da aber hatte ich Wichtigeres zu Papier zu bringen als Banales aus Badezimmern zu berichten, woran sich bis dato eigentlich kaum etwas geändert hat.
An das Vorhaben wurde ich allerdings jüngst erinnert, als ich in einem Hotel auf Usedom abstieg. Ich sah die Baugrube und später den Rohbau, die feierliche Eröffnung im Frühjahr hatte der Lockdown zunichte gemacht. Nun gehörte ich zufällig zu jenen sechzig Prozent, die nach der Lockerung mit Mundschutz einchecken und das Haus entdecken durften. 40 Prozent der Betten müssen laut Vorschrift unberührt bleiben. Alles schick, alles neu, alles designed und gestylt. Das Bad: ohne Duschtasse, wie inzwischen üblich, und die Glastür mit Lotoseffekt, was gewiss das mehrheitlich aus Polen stammende Personal erfreute. Die hübschen Mädchen hatten nichts zu polieren. Der einzige Makel war das hängende Toilettenbecken. Die Füße schwebten über dem Fliesenboden, die Schüssel war mindestens zwanzig Zentimeter zu hoch angebracht. Es war der höchste Thron, den ich jemals erobert hatte. Passend vielleicht für Menschen mit einer Körpergröße von 185 Zentimetern und darüber. Ich gehörte spürbar nicht zu dieser Spezies.
Nein, die Becken hingen in allen Bädern in der gleichen Höhe, vernahm ich bedauernd an der Rezeption auf meine Bitte nach einer niedrigeren Alternative. Ich sei allerdings nicht der erste Gast, dem die Beine an eben jenem Orte eingeschlafen seien und der sich darüber bereits bitter beklagt habe, lächelte die Dame hinterm Mundschutz.
Mir kam ein gleichermaßen abwegiger wie logischer Gedanke. Das Haus befand sich in Privatbesitz und hatte also einen Bauherrn.
»Sagen Sie mal«, erkundigte ich mich, »wie groß ist Ihr Chef?«
»Zwei Meter und sieben«, kam die Antwort. »Wieso?«
Da war mir alles klar.