Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Zerstörung der Demokratie

In einer gemein­sa­men Aus­stel­lung der Wien­bi­blio­thek und dem Wien-Muse­um im Wie­ner Rat­haus wird an die Zer­stö­rung der Demo­kra­tie in Öster­reich erin­nert. Die an dem Pro­jekt betei­lig­ten Histo­ri­ker – Aus­stel­lung und gleich­na­mi­ger Kata­log – schrei­ben: »Die­se Zer­stö­rung der Demo­kra­tie war kein Zufall, sie war ein bewuss­ter Akt und minu­ti­ös geplant.«

Die Aus­stel­lung im Wie­ner Rat­haus erzählt die Vor­gän­ge in den Jah­ren 1933 und 1934 vor allem anhand der Bio­gra­fien der Betei­lig­ten. Es wer­den Per­so­nen vor­ge­stellt, die ent­we­der an der Zer­stö­rung betei­ligt oder von die­ser betrof­fen waren.

Durch die Welt­wirt­schafts­kri­se von 1929, die zu einer bis­her nie bekann­ten Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit führ­te, waren die demo­kra­ti­schen Par­tei­en und Ver­bän­de bereits zer­mürbt. Der Putsch der rech­ten para­mi­li­tä­ri­schen Heim­weh­ren unter Wal­ter Pfri­mer schei­ter­te zwar im Sep­tem­ber 1931. Aber die rech­ten Kräf­te hat­ten bereits kräf­ti­gen Aufwind.

Eine Zeit­lei­ste der zuneh­men­den Ein­schrän­kun­gen führt den Aus­stel­lungs­be­su­chern vor, war­um die Febru­ar­kämp­fe 1934 der Schluss­punkt und nicht der Anfang waren. Es beginnt im März 1933: Ein­füh­rung der »Vor­zen­sur« und Ein­schrän­kung des Ver­samm­lungs­rechts; die Regie­rung ver­hin­dert das Zusam­men­tre­ten des Natio­nal­rats; Ver­bot des Repu­bli­ka­ni­schen Schutz­bun­des. Im Mai »Spa­zier­gän­ge« der SPÖ und der KPÖ anstel­le der ver­bo­te­nen 1. Mai-Auf­mär­sche; Aus­schal­tung des Ver­fas­sungs­ge­richts­ho­fes; Ver­bot der KPÖ. Juni 1933: Auf­lö­sung des Frei­den­ker­bun­des. Am 20. August 1933: Tref­fen von Engel­bert Doll­fuß mit Beni­to Mus­so­li­ni in Ric­cio­ne. Im Sep­tem­ber 1933: Engel­bert Doll­fuß skiz­ziert sei­ne austro­fa­schi­sti­sche Pro­gram­ma­tik. Im Novem­ber 1933: Ver­hän­gung des Stand­rechts und Wie­der­ein­füh­rung der Todes­stra­fe. Im Febru­ar 1934: Letz­te Sit­zung des Wie­ner Gemein­de­rats; bis zum 15. Febru­ar 1934: Bür­ger­krieg; Ver­bot der SPÖ und ihrer Organisationen.

Gegen die Poli­tik der Not­ver­ord­nun­gen kur­sier­ten klei­ne Hand­zet­tel in Wien mit: »Die­se Not­ver­ord­nung brau­chen wir! § 1. Die Regie­rung Doll­fuß hat schleu­nigst zu ver­schwin­den. § 2. Das Par­la­ment ist sofort ein­zu­be­ru­fen. § 3. Es hat gleich am ersten Sit­zungs­ta­ge das von den Sozi­al­de­mo­kra­ten vor­ge­schla­ge­ne Arbeits­be­schaf­fungs­pro­gramm zu beschließen!«

Der zunächst »christ­lich-sozia­le« Engel­bert Doll­fuß, der sei­ne poli­ti­sche Kar­rie­re 1931 als Land­wirt­schafts­mi­ni­ster begann, hat die Ein­füh­rung des Faschis­mus in Öster­reich auch inter­na­tio­nal erfolg­reich als »Kampf gegen den Anti­se­mi­tis­mus« ver­mark­tet. Alle Not­ver­ord­nun­gen rich­te­ten sich gegen die Grund- und Freiheitsrechte.

Von heu­te betrach­tet, erscheint das Geschichts­bild von Engel­bert Doll­fuß mehr als bizarr. Vom Inhalt her war es ein Gene­ral­an­griff auf alles Moder­ne – hin zum »Boden­stän­di­gen«, was immer damit gemeint sein moch­te; dage­gen stan­den in sei­ner Gedan­ken­welt die Lin­ke, der jüdi­sche Geist und die Freimaurer.

Der Bun­des­kanz­ler Engel­bert Doll­fuß, der ab 5. März 1933 über Öster­reich dik­ta­to­risch regier­te, wur­de am 25. Juli 1934 von einem seit län­ge­ren vor­be­rei­te­ten Pusch von Natio­nal­so­zia­li­sten im Bun­des­kanz­ler­amt ermor­det. Der Justiz­mi­ni­ster Kurt Schu­sch­nigg, der den austro­fa­schi­sti­schen Stän­de­staat mit­kon­zi­pier­te hat­te, folg­te ihm bis März 1938 als dik­ta­to­risch Regie­ren­der Bun­des­kanz­ler, der ab 1936 die öster­rei­chi­sche »Ein­heits­par­tei Vater­län­di­sche Front« führ­te. Der »Anschluss Öster­reichs« wur­de am 13. März 1938 im Gleich­klang in Ber­lin und Wien unter­schrie­ben, Seyß-Inquart neu­es Staats­ober­haupt und Bundeskanzler.

Schu­sch­nigg wur­de fest­ge­nom­men, kam als Häft­ling in die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au, Flos­sen­bürg und 1941 Sach­sen­hau­sen. Im Früh­jahr ins KZ Dach­au ver­legt, wur­de er am 26. April 1945 mit einem Auto­bus ins Süd­ti­ro­ler Nie­ren­dorf gebracht, hier von US-Ame­ri­ka­nern befreit. Spä­ter ging er in die USA, 1956 erhielt er die US-Staats­bür­ger­schaft und lehr­te bis 1967 an der Jesui­ten­hoch­schu­le in Saint Lou­is als Pro­fes­sor Staats- und Poli­tik­wis­sen­schaft. Zurück nach Öster­reich kam er 1968, leb­te von einer »staat­li­chen Poli­ti­ker­pen­si­on« in Tirol, wo er am 18. Novem­ber 1977 starb.

Die Aus­stel­lung Die Zer­stö­rung der Demo­kra­tie ist bis zum 16. Febru­ar 2024 im Wie­ner Rat­haus zu sehen. Kata­log zur Aus­stel­lung, her­aus­ge­ge­ben von Ber­nard Hach­leit­ner, Alfred Pfo­ser, Katha­ri­na Pra­ger und Wer­ner Micha­el Schwarz, reich illu­striert, 327 S., Resi­denz Ver­lag, Salz­burg-Wien 2023, 35 €