In einer gemeinsamen Ausstellung der Wienbibliothek und dem Wien-Museum im Wiener Rathaus wird an die Zerstörung der Demokratie in Österreich erinnert. Die an dem Projekt beteiligten Historiker – Ausstellung und gleichnamiger Katalog – schreiben: »Diese Zerstörung der Demokratie war kein Zufall, sie war ein bewusster Akt und minutiös geplant.«
Die Ausstellung im Wiener Rathaus erzählt die Vorgänge in den Jahren 1933 und 1934 vor allem anhand der Biografien der Beteiligten. Es werden Personen vorgestellt, die entweder an der Zerstörung beteiligt oder von dieser betroffen waren.
Durch die Weltwirtschaftskrise von 1929, die zu einer bisher nie bekannten Massenarbeitslosigkeit führte, waren die demokratischen Parteien und Verbände bereits zermürbt. Der Putsch der rechten paramilitärischen Heimwehren unter Walter Pfrimer scheiterte zwar im September 1931. Aber die rechten Kräfte hatten bereits kräftigen Aufwind.
Eine Zeitleiste der zunehmenden Einschränkungen führt den Ausstellungsbesuchern vor, warum die Februarkämpfe 1934 der Schlusspunkt und nicht der Anfang waren. Es beginnt im März 1933: Einführung der »Vorzensur« und Einschränkung des Versammlungsrechts; die Regierung verhindert das Zusammentreten des Nationalrats; Verbot des Republikanischen Schutzbundes. Im Mai »Spaziergänge« der SPÖ und der KPÖ anstelle der verbotenen 1. Mai-Aufmärsche; Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes; Verbot der KPÖ. Juni 1933: Auflösung des Freidenkerbundes. Am 20. August 1933: Treffen von Engelbert Dollfuß mit Benito Mussolini in Riccione. Im September 1933: Engelbert Dollfuß skizziert seine austrofaschistische Programmatik. Im November 1933: Verhängung des Standrechts und Wiedereinführung der Todesstrafe. Im Februar 1934: Letzte Sitzung des Wiener Gemeinderats; bis zum 15. Februar 1934: Bürgerkrieg; Verbot der SPÖ und ihrer Organisationen.
Gegen die Politik der Notverordnungen kursierten kleine Handzettel in Wien mit: »Diese Notverordnung brauchen wir! § 1. Die Regierung Dollfuß hat schleunigst zu verschwinden. § 2. Das Parlament ist sofort einzuberufen. § 3. Es hat gleich am ersten Sitzungstage das von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Arbeitsbeschaffungsprogramm zu beschließen!«
Der zunächst »christlich-soziale« Engelbert Dollfuß, der seine politische Karriere 1931 als Landwirtschaftsminister begann, hat die Einführung des Faschismus in Österreich auch international erfolgreich als »Kampf gegen den Antisemitismus« vermarktet. Alle Notverordnungen richteten sich gegen die Grund- und Freiheitsrechte.
Von heute betrachtet, erscheint das Geschichtsbild von Engelbert Dollfuß mehr als bizarr. Vom Inhalt her war es ein Generalangriff auf alles Moderne – hin zum »Bodenständigen«, was immer damit gemeint sein mochte; dagegen standen in seiner Gedankenwelt die Linke, der jüdische Geist und die Freimaurer.
Der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der ab 5. März 1933 über Österreich diktatorisch regierte, wurde am 25. Juli 1934 von einem seit längeren vorbereiteten Pusch von Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt ermordet. Der Justizminister Kurt Schuschnigg, der den austrofaschistischen Ständestaat mitkonzipierte hatte, folgte ihm bis März 1938 als diktatorisch Regierender Bundeskanzler, der ab 1936 die österreichische »Einheitspartei Vaterländische Front« führte. Der »Anschluss Österreichs« wurde am 13. März 1938 im Gleichklang in Berlin und Wien unterschrieben, Seyß-Inquart neues Staatsoberhaupt und Bundeskanzler.
Schuschnigg wurde festgenommen, kam als Häftling in die Konzentrationslager Dachau, Flossenbürg und 1941 Sachsenhausen. Im Frühjahr ins KZ Dachau verlegt, wurde er am 26. April 1945 mit einem Autobus ins Südtiroler Nierendorf gebracht, hier von US-Amerikanern befreit. Später ging er in die USA, 1956 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft und lehrte bis 1967 an der Jesuitenhochschule in Saint Louis als Professor Staats- und Politikwissenschaft. Zurück nach Österreich kam er 1968, lebte von einer »staatlichen Politikerpension« in Tirol, wo er am 18. November 1977 starb.
Die Ausstellung Die Zerstörung der Demokratie ist bis zum 16. Februar 2024 im Wiener Rathaus zu sehen. Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Bernard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager und Werner Michael Schwarz, reich illustriert, 327 S., Residenz Verlag, Salzburg-Wien 2023, 35 €