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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Weltbühne in Potsdam

Zu den 1933 ver­brann­ten Druck­schrif­ten gehör­te auch Die Weltbühne. Sie war den Nazis sogar beson­ders ver­hasst. Von den Rostocker Stu­den­ten wur­de sie am 5. Mai 1933 an einen »Schand­pfahl« gena­gelt, zusam­men mit Wer­ken von Magnus Hirsch­feld, Kurt Tuchol­sky, Ste­fan Zweig, Lion Feucht­wan­ger, Wicki Baum, Erich Maria Remar­que und Emil Ludwig.

Die Weltbühne erschien seit 1905, zunächst als Thea­ter­zeit­schrift unter dem Titel Die Schau­büh­ne, ab 1918 mit einer stär­ke­ren Aus­rich­tung auf poli­ti­sche Fra­gen unter dem Titel Die Weltbühne als »Wochen­schrift für Poli­tik, Kunst und Wirt­schaft«. Ihr Begrün­der und lang­jäh­ri­ger Her­aus­ge­ber war der Jour­na­list Sieg­fried Jacob­sohn, ein Thea­ter­en­thu­si­ast, wie er sel­ten vor­kommt. Jacob­sohn, am 28. Janu­ar 1881 in Ber­lin gebo­ren, war an sei­nem neun­ten Geburts­tag zum ersten Mal im Thea­ter, wo er Schil­lers »Tell« sah und eine Lie­be für sein Leben fand: das Thea­ter. Bereits im Alter von 15 Jah­ren stand für ihn fest, dass er Thea­ter­kri­ti­ker wer­den woll­te. Er ver­ließ das Gym­na­si­um ohne Abitur, stu­dier­te vier Jah­re lang in Ber­lin und besuch­te jeden Abend das Thea­ter. Mit sei­nem ersten Arti­kel ging er zu Fritz Mauth­ner. Der ließ ihn sich vor­le­sen und erklär­te: »Drei sol­che Arti­kel an sicht­ba­rer Stel­le, und Sie gehö­ren zu Ber­lins bekann­te­sten Theaterkritikern.«

Aber wie soll­te es dazu kom­men? Thea­ter­kri­ti­ker waren Leu­te wie der 1898 ver­stor­be­ne Theo­dor Fon­ta­ne, wie Alfred Kerr und Maxi­mi­li­an Har­den. Der Zufall half. Der Chef­re­dak­teur der Welt am Mon­tag hör­te im Thea­ter­foy­er eine geschei­te Bemer­kung Jacob­sohns, erkun­dig­te sich nach dem unbe­kann­ten jun­gen Mann und erfuhr, das sei jemand, der Thea­ter­kri­ti­ker wer­den wol­le. Jacob­sohn wur­de ein­ge­la­den und erhielt den Auf­trag, über das Thea­ter zu refe­rie­ren. Die Feuil­le­ton-Redak­ti­on fand sei­ne Rezen­sio­nen zu anspruchs­voll, aber Jacob­sohn ließ sich nicht ein­schüch­tern. Er sei aus Ber­lin und ihm wer­de durch unab­läs­si­ge Arbeit gelin­gen, in sei­nen Kri­ti­ken »den Nerv die­ser Stadt, ihr Tem­po und ihren Rhyth­mus scharf und klar zum Aus­druck zu bringen«.

Jacob­sohn schrieb für die Welt am Mon­tag, zunächst auf Hono­rar­ba­sis, seit 1902 als ange­stell­ter Thea­ter­kri­ti­ker, wur­de aber bereits 1904 nach einem Pla­gi­ats­skan­dal ent­las­sen. Maxi­mi­li­an Har­den ver­tei­dig­te den jun­gen Kol­le­gen und erklär­te, dass er in der Über­ein­stim­mung von eini­gen neben­säch­li­chen Aller­welts­for­mu­lie­run­gen kei­nen gei­sti­gen Dieb­stahl sehen kön­ne. Außer­dem habe Jacob­sohn »das Pla­gi­ie­ren nicht nötig«, er sei selbst erwie­se­ner­ma­ßen »zum Urtei­len und zum Schrei­ben befä­higt«. Ähn­lich äußer­te sich Arthur Schnitz­ler, der Jacob­sohn als begei­ster­ten Thea­ter­freund und glän­zen­den Sti­li­sten schätz­te. Jacob­sohn selbst recht­fer­tig­te sich zehn Jah­re spä­ter mit sei­ner Schrift »Der Fall Jacob­sohn«, die hier wie­der­holt zitiert wur­de und aus der auch die mei­sten noch fol­gen­den Zita­te stam­men, und befrei­te sich so von die­sem fata­len »Fall«, der für sei­ne Berufs­lauf­bahn als Jour­na­list zu einem Aus hät­te wer­den kön­nen, für ihn aber zu einem Glücks­fall wurde.

Wäh­rend in Ber­lin der Shits­torm über ihn tob­te, begab er sich auf eine Rei­se, von der er ein hal­bes Jahr spä­ter zurück­kehr­te, geklärt, gestärkt, gefe­stigt – und mit dem Plan, eine eige­ne Zeit­schrift zu grün­den. Über die Orte, die er besuch­te, Wien, Ita­li­en, Paris, berich­tet er in hin­rei­ßen­den Brie­fen: »Ich habe ent­deckt, dass hin­term Ber­ge auch Leu­te woh­nen«, was auch ein ver­steck­tes Zitat ist, und dass die­sen Leu­ten »das Thea­ter nicht alles oder nicht viel oder gar nichts ist«. Natür­lich besucht er über­all die Thea­ter, so oft es ihm mög­lich war. Er erin­ner­te sich an sei­nen Groß­va­ter, einen from­men Juden, der bei jedem Schick­sals­schlag aus­rief: »Gam se letau­wo – Alles zum Guten! Auch dies ist zum Guten.« Was Jacob­sohn mit Deh­mels Wor­ten für sich so for­mu­lier­te: »Nichts ist ver­ge­bens, denn du wirst.«

Im Früh­jahr 1905 kehr­te Jacob­sohn von Sehn­sucht getrie­ben nach Ber­lin zurück. Noch am sel­ben Abend muss­te er ins Thea­ter. Hier war sein Ely­si­um, für das es sich zu leben lohn­te. Eine eige­ne Thea­ter­zeit­schrift woll­te er grün­den. Nur die Finan­zie­rung war noch nicht geklärt. Auch das gelang mit Hil­fe von Freun­den und Unter­stüt­zern. Das erste Heft erschien am 7. Sep­tem­ber 1905 und trug ein Mot­to aus Schil­lers Auf­satz »Die Schau­büh­ne als mora­li­sche Anstalt betrach­tet«. Und in die­ser gedruck­ten Schau­büh­ne, die sich in den Kriegs­jah­ren von 1914 bis 1918 zur Weltbühne aus­wuchs, blieb Jacob­sohn bis an sein Lebens­en­de Regis­seur. Der selbst­ge­fäl­li­gen, denk­fau­len Gesell­schaft und ihrer arri­vier­ten Pres­se woll­te er mit sei­ner Zeit­schrift die Wahr­heit vor­hal­ten. »Glück ist Frei­heit, und Frei­heit ist Mut«. Und das ist aus­nahms­wei­se als wört­li­ches Zitat ausgewiesen.

Jacob­sohn starb am 3. Dezem­ber 1926 völ­lig uner­war­tet im Alter von 44 Jah­ren an einem epi­lep­ti­schen Anfall. Er fiel unglück­lich auf ein Kis­sen und erstick­te. Bis zu sei­nem Tod blieb er Her­aus­ge­ber der Weltbühne. Zu den Autoren der Zeit­schrift gehör­ten Juli­us Bab, Alfred Pol­gar, Lion Feucht­wan­ger und Her­bert Ihe­ring. 1913 stieg Kurt Tuchol­sky ein mit all sei­nen ver­schie­de­nen Exi­sten­zen und wur­de für die fol­gen­den Jah­re ein gan­zer Stab von Mit­ar­bei­tern: Kas­par Hau­ser, Peter Pan­ther, Theo­bald Tiger, Ignaz Wro­bel und wie sie alle hie­ßen. Für die Zeit­schrift schrie­ben Otto Leh­mann-Ruß­büldt, der Mit­be­grün­der der Deut­schen Frie­dens­ge­sell­schaft, Wal­ter Meh­ring, Richard Lewin­sohn, Hell­mut von Ger­lach und Carl von Ossietzky. Nach Jacob­sohns Tod wur­de die Weltbühne von Tuchol­sky wei­ter­ge­führt, 1927 über­nahm Ossietzky die Redak­ti­on, wäh­rend Jacob­sohns Wit­we Edith den Ver­lag leitete.

Die Wir­kung der Weltbühne war enorm, auch wenn ihre Auf­la­ge mit bis zu 15.000 nicht sehr groß war. Nach­dem Wal­ter Krei­ser 1929 in einem Arti­kel den heim­li­chen Auf­bau einer deut­schen Luft­waf­fe ent­hüllt hat­te, wodurch die Fest­le­gun­gen des Ver­sailler Ver­tra­ges unter­lau­fen wur­den, wur­den Krei­ser und Ossietzky wegen Ver­rats mili­tä­ri­scher Geheim­nis­se in einem poli­ti­schen Pro­zess vor dem Reichs­ge­richt in Leip­zig zu 18 Mona­ten Gefäng­nis ver­ur­teilt. Ossietzky kom­men­tier­te lako­nisch: Andert­halb Jah­re Frei­heits­stra­fe? Nicht so schlimm. Mit der Frei­heit sei es in Deutsch­land eh nicht weit her, und die Unter­schie­de zwi­schen Ein­ge­sperr­ten und Nicht­ein­ge­sperr­ten wür­den all­mäh­lich ver­blas­sen. Vol­ker Kut­scher hat die­ses Ver­fah­ren in sei­nem ersten Kri­mi um Gere­on Rath, der durch die Fern­seh­se­rie Baby­lon Ber­lin bekannt wur­de, als histo­ri­schen Hin­ter­grund genutzt.

1932 wur­de Ossietzky als ver­ant­wort­li­cher Redak­teur erneut vor Gericht gestellt, weil die Zeit­schrift am 4. August 1931 Tuchol­skys Glos­se »Der bewach­te Kriegs­schau­platz« ver­öf­fent­licht hat­te, die einen Satz ent­hält, der bis heu­te für Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Rechts­strei­tig­kei­ten sorgt: »Sol­da­ten sind Mör­der.« In die­sem Ver­fah­ren wur­de Ossietzky freigesprochen.

Am 22. Dezem­ber 1932 auf­grund einer Weih­nachts­am­ne­stie für poli­ti­sche Gefan­ge­ne vor­zei­tig ent­las­sen, wur­de Ossietzky am 28. Febru­ar 1933, am Tag nach dem Reichs­tags­brand, von den Natio­nal­so­zia­li­sten ohne Gerichts­ur­teil erneut inhaf­tiert, in ver­schie­de­ne Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ver­schleppt und bru­tal miss­han­delt. Er starb 1938, noch nicht ein­mal 40-jäh­rig, in einem Ber­li­ner Kran­ken­haus an den Fol­gen der Fol­ter. 1936 wur­de ihm der Frie­dens­no­bel­preis ver­lie­hen. Ossietzky nahm die Aus­zeich­nung an, obwohl Her­mann Göring ihn unter Druck setz­te, sie abzulehnen.

Die Weltbühne wur­de am 6. März 1933 ver­bo­ten. Die für den 14. März geplan­te Aus­ga­be wur­de noch gedruckt, aber nicht mehr aus­ge­lie­fert. Die letz­te Aus­ga­be erschien am 7. März 1933 (29. Jahr­gang, Nr. 10). Sie ent­hält einen Arti­kel »Hero­is­mus und Pazi­fis­mus« von Kurt Hil­ler in dem es heißt: »Die wun­der­bar­ste Erschei­nung der Welt: der Geist, ist eine Kraft und nicht ohn­mäch­tig, die sitt­li­che Ver­nunft kein lee­rer Wahn, Akti­vi­tät kei­ne Illu­si­on; schon gelan­gen, seit der Urzeit, Akte der Ent­ro­hung, Reli­gi­on, Phi­lo­so­phie, For­schung, die Kün­ste wir­ken zusam­men; aus der zufalls-blu­ti­gen Natu­ra­li­tät erwächst lang­sam, sehr lang­sam Gesetz und Kul­tur. Wir ste­hen am Anfang die­ses Pro­zes­ses; er heißt Geschich­te; erst weni­ge Jahr­tau­sen­de währt er. Uns­re Pflicht ist, ihn zu beschleunigen.«

Auf der letz­ten Sei­te der letz­ten Num­mer steht eine Notiz über die Ver­haf­tung von Ossietzky, an deren Ende es heißt: »(…) uns­re Kri­tik, uns­re War­nun­gen waren mehr als berech­tigt. Trotz­dem: es wird wei­ter­ge­ar­bei­tet, denn der Geist setzt sich doch durch.«

Tat­säch­lich gab und gibt es bis heu­te eine Rei­he von Nach­fol­ge-Zeit­schrif­ten, die an die von Jacob­son begrün­de­te Tra­di­ti­on anknüpf­ten. Die Neue Weltbühne setz­te die Arbeit der in Deutsch­land ver­bo­te­nen Zeit­schrift fort, zunächst von Wien aus, 1933 wur­de die Redak­ti­on nach Prag ver­legt, 1938 nach Paris, wo das Blatt eben­falls ver­bo­ten wur­de. Die letz­te Num­mer erschien am 31. August 1939, unmit­tel­bar am Vor­abend des 2. Weltkrieges.

1946 wur­de die Weltbühne in Ost-Ber­lin von Maud von Ossietzky und Hans Leon­hard neu gegrün­det. Wer in der DDR leb­te, kennt die klei­nen roten Hef­te, die den Namen Jacob­sohns und Ossietz­kys auf dem Umschlag führ­ten und die eini­ge Jah­re von Her­mann Bud­zis­law­ski gelei­tet wur­de. Die Zeit­schrift gab sich intel­lek­tu­ell, konn­te aber nur erschei­nen, weil sie lini­en­treu war. Pazi­fis­mus war für das SED-Regime kein akzep­ta­bles Kon­zept. Dort inter­pre­tier­te man den »Rock für den Frie­den« als Uni­form­rock. Die­se Ost­ber­li­ner Weltbühne muss­te ihr Erschei­nen 1993 infol­ge von recht­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen um den Titel der Zeit­schrift ein­stel­len. Seit 1997 set­zen zwei Fol­ge-Zeit­schrif­ten das Erbe der Weltbühne fort, Ossietzky (zunächst Han­no­ver) und das Blätt­chen (Ber­lin), bei­de voll­stän­dig im Inter­net zu finden.

An die Schick­sa­le von Tuchol­sky, Feucht­wan­ger und all der ande­ren Autoren der Weltbühne brau­che ich hier sicher nicht zu erin­nern. Sie dürf­ten bekannt sein. Aber ich möch­te dar­auf hin­wei­sen, dass es in Pots­dam noch einen Ort gibt, an dem die Erin­ne­rung an die Weltbühne wach­ge­hal­ten wer­den muss, die ehe­ma­li­ge Drucke­rei Edmund Stein in der Hegel­al­lee 53, wo die Zeit­schrift in den Jah­ren 1920 bis 1933 gedruckt wur­de. Hier las Tuchol­sky regel­mä­ßig Kor­rek­tur, und Ossietzky schrieb so man­chen sei­ner Arti­kel im nahe­ge­le­ge­nen Con­di­to­rei-Café Ernst Rabi­en am Naue­ner Tor, heu­te Café Hei­der, und lief mit den frisch ver­fass­ten Manu­skrip­ten hin­über in die Drucke­rei, wo sie unver­züg­lich in den Satz kamen. Ein Ver­si­che­rungs­mak­ler hat das Haus vor eini­gen Jah­ren stil­voll saniert und den histo­ri­schen Schrift­zug über dem Tor­weg durch sei­nen eige­nen Namen ersetzt. Zwar erin­nert noch eine Inschrift auf dem Hin­ter­hof an die Geschich­te des Ortes. Aber die sieht man nur, wenn man es weiß – und wenn das Tor offen­steht. Ist es geschlos­sen, sieht man nichts. Das darf man nicht ein­fach als Gedan­ken­lo­sig­keit abtun in die­ser Stadt, die zuließ, dass der Turm der Gar­ni­son­kir­che wie­der­errich­tet wur­de, trotz mas­si­ver Pro­te­ste, ein schreck­li­ches Sym­bol einer schreck­li­chen Zeit. Hat denn nie­mand etwas gelernt? War wirk­lich alles vergeblich?

Auch das ist zum Guten. Nichts ist ver­ge­bens. Wir werden.

Am 22. Mai d. J. wur­de auf dem Bas­sinplatz in Pots­dam eine Gedenk­bi­blio­thek zur Erin­ne­rung an die Bücher­ver­bren­nun­gen von 1933 ein­ge­rich­tet. Jeden Monat am 22. sol­len hier klei­ne Vor­trä­ge und Lesun­gen statt­fin­den. Am 22. Juli stell­te unser Autor, stell­ver­tre­tend und sym­bo­lisch für die Jahr­gän­ge 1905 bis 1933 der Weltbühne, das Heft 12, 2024 der Zeit­schrift Ossietzky in die Biblio­thek ein, das einen Bei­trag über die Ein­rich­tung die­ses Gedenk­or­tes ent­hält (S. 379-380).