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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Welt im Vorkrieg

Mehr­mals schon nach 1945 ist das Ende der Nach­kriegs­zeit aus­ge­ru­fen wor­den, 1989/​90 dazu sogar das Ende der Geschich­te. Jetzt, 35 Jah­re spä­ter, ist sie end­gül­tig vor­bei: die Nach­kriegs­zeit, nicht die Geschich­te; die­se voll­führt gera­de eine gehö­ri­ge Rol­le rück­wärts. Frie­den war nie auf der Welt, auch nicht in Euro­pa, wo Russ­land aktu­ell Krieg gegen die Ukrai­ne führt. Den­noch ist es über­ra­schend der US-Prä­si­dent, der die Nach­kriegs­zeit been­det. Und vie­les deu­tet dar­auf hin, dass er – und nicht Wla­di­mir Putin – damit eine Vor­kriegs­zeit ein­läu­tet, die poten­ti­ell die gan­ze Welt umspannt. Denn es sind Trump und sei­ne Pala­di­ne Van­ce und Musk, die zwi­schen­durch die Nato-Koali­ti­on der Ukrai­ne-Unter­stüt­zer auf­ge­kün­digt haben und damit womög­lich das Bünd­nis selbst. Im Innern wie nach außen demon­striert das Trump-Regime ein­drucks­voll, dass ihm Regeln und Ver­trä­ge nichts wert sind, auch nicht das Völ­ker­recht, wenn es dem näch­sten Deal ent­ge­gen­steht, zum Bei­spiel der Befrie­dung der Ukrai­ne gegen Sel­te­ne Erden.

Euro­pa und der Welt wird nicht nur signa­li­siert, dass Über­fäl­le und Annek­tie­run­gen sich loh­nen kön­nen, son­dern auch, dass sich kein Staat davor sicher wäh­nen soll. Dra­ma­ti­sche Ein­fuhr­zöl­le wer­den ver­hängt und dann zurück­ge­nom­men, dann wie­der auf­ge­legt. Mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung wird ein­ge­stellt, dann wie­der auf­ge­nom­men. Zer­stör­tes Ver­trau­en ist der neu­en US-Füh­rung egal, ob es um Bünd­nis­se, Bör­sen, Bin­nen­kon­junk­tur, Export­märk­te oder die Glaub­wür­dig­keit von Wer­te-Ver­spre­chen geht. Erzäh­le uns nie­mand, da kom­me eine neue Welt­ord­nung, hier geht es erst ein­mal um die Zer­stö­rung der alten. Die neue Feu­dal-Olig­ar­chie weiß, dass sie davon pro­fi­tie­ren wird.

Poli­tisch baut sich auf den Trüm­mern der am Ende doch recht unspek­ta­ku­lär zer­brö­seln­den west­lich-angel­säch­si­schen Nach­kriegs­ord­nung unter Trump gera­de ein neu­es, in Wahr­heit alt­be­kann­tes poli­ti­sches »Werte«-Imago auf. Es beruht auf Vasal­len­tum, Loya­li­tät und Dank­bar­keit für das huld­vol­le Ent­ge­gen­kom­men des Star­ken. Und manch ein Regie­ren­der, der oder die sich bis­lang als gleich­wer­ti­ges Mit­glied der Völ­ker wähn­te, wird – der Selen­skyj-Effekt – Rei­sen in den neu­en Abso­lu­tis­mus nach Washing­ton mit gemisch­ten Gefüh­len antreten.

Wir wur­den Zeu­ge, wie sich die US-Tech-Olig­ar­chen bei der Inau­gu­ra­ti­on von Donald Trump bei­fäl­lig um den World Wide King of Deal ver­sam­mel­ten, um den näch­sten Schritt zu tun: den Zusam­men­schluss der poli­ti­schen Macht mit der Macht des Gel­des und der Macht des Daten­ka­pi­ta­lis­mus. Öko­no­mi­sche Gewal­ten­ver­schmel­zung statt poli­ti­scher Gewal­ten­tei­lung. Ame­ri­ca First, das heißt eben nicht mehr wie in frü­he­ren Pha­sen der US-Geschich­te selbst­be­züg­li­cher Iso­la­tio­nis­mus, son­dern es steht für einen Impe­ria­lis­mus des Deals, der von der Macht dik­tiert wird. Mei­nungs­frei­heit ist die Frei­heit, mit Platt­for­men wie X die kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Dif­fe­ren­zie­run­gen zu kas­sie­ren, damit der Deal freie Bahn hat. Wenn Leu­te wie J. D. Van­ce von Mei­nungs­frei­heit spre­chen, mei­nen sie damit die Frei­heit defi­ni­to­ri­scher Domi­nanz über all jene im Rest der Welt, die ihnen noch Regeln und Gren­zen set­zen wol­len. Und vor allem des­halb ist es für die­se Krei­se inter­es­sant, in allen Län­dern Euro­pas die äußer­ste Rech­te stark zu machen. Und wenn Van­ce von »Diplo­ma­tie« redet, soll­te man wis­sen, dass die USA – übri­gens unter allen Regie­run­gen – den diplo­ma­ti­schen Appa­rat (wie der Ex-Diplo­mat Ronan Far­row in einem instruk­ti­ven Buch schon 2018 gezeigt hat) in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten syste­ma­tisch abge­baut haben. Was er meint, ist Diktat.

Musk, Bezos, Zucker­berg, Pichai, Thiel und ihr Groß­in­ve­stor And­re­es­sen fei­ern Trump und Van­ce für den neu­en Kurs und die­ser lässt sein Kabi­nett bei Staats­be­su­chen als Staf­fa­ge auf dem Sofa dabei zuse­hen, wie er sich im Thron­ses­sel umschmei­cheln lässt. Insze­nie­run­gen wie von Poten­ta­ten des Nahen und Mitt­le­ren Ostens. Ist das der US-Prä­si­dent, der sau­di­sche König, der ira­ni­sche Mul­lah oder am Ende der Rus­se mit dem ewig lan­gen Kon­fe­renz­tisch, der sich da gera­de als omni­po­ten­te Herr­scher­fi­gur inszeniert?

Das Prin­zip der Zer­stö­rung setzt sich auch im Inne­ren der Ver­ei­nig­ten Staa­ten fort, was immer danach von wem auch immer dann neu auf­ge­baut wer­den soll. Gleich­sam mit der Ket­ten­sä­ge lässt Trump und sein mäch­ti­ges, von nie­man­dem gewähl­tes Spring­teu­fel­chen Musk in Mini­ste­ri­en und Insti­tu­tio­nen her­um­fuhr­wer­ken und Struk­tu­ren der natio­na­len und inter­na­tio­na­len Wohl­fahrt ver­nich­ten. Wich­ti­gen uni­ver­si­tä­ren For­schun­gen wird die Grund­la­ge ent­zo­gen, aus den Biblio­the­ken von Schu­len wer­den von den alten und alter­na­ti­ven Rech­ten tau­sen­de von Büchern ver­bannt, dar­un­ter die Har­ry-Pot­ter-Rei­he und Klas­si­ker wie die Die Far­be Lila von Ali­ce Wal­ker, Der Fän­ger im Rog­gen von J.D. Salin­ger und – natür­lich – 1984 von Geor­ge Orwell.

Zugleich mit den Ver­wal­tungs­ap­pa­ra­ten wer­den damit die Exi­sten­zen von Hun­dert­tau­sen­den rui­niert und wich­ti­ge Tei­le des Rechts­staats. Noch stem­men sich jene in der Judi­ka­ti­ve dage­gen, die ver­ste­hen, wor­um es eigent­lich geht: die Zer­rüt­tung der checks and balan­ces zugun­sten einer poli­ti­schen Halb-Dik­ta­tur im Sin­ne des Finanz- und Daten­ka­pi­ta­lis­mus. Noch ist der Kampf nicht ent­schie­den, aber dass es so wenig Bür­ger-Pro­te­ste gegen die­se insze­nier­te Rase­rei gibt, ent­hüllt ein Grund­pro­blem der ange­grif­fe­nen Demo­kra­tien: die Duld­sam­keit ihrer Zivilgesellschaften.

Deut­sche und Euro­pä­er glau­ben sich durch die ame­ri­ka­ni­sche Kap­pung ideel­ler, poli­ti­scher und öko­no­mi­scher Ent­wick­lungs- und Hand­lungs-zusam­men­hän­ge vor eine ele­men­ta­re Wahl gestellt: zwi­schen dem eige­nen Auf­stieg zur Welt­macht durch die Befrei­ung von der öko­no­mi­schen und mili­tä­ri­schen Domi­nanz der USA oder – wie der Ame­ri­ka-Freund Josch­ka Fischer kürz­lich im ZEIT-Inter­view schmuck­los kon­sta­tier­te – der Unter­wer­fung unter die USA. Die Deut­schen reagie­ren, wie sie es von den Ame­ri­ka­nern gelernt haben: Sie kün­di­gen an, ihren Ver­lust gelie­he­ner Macht mit ganz viel Geld zu kompensieren.

Außen­po­li­tisch durch Rüstungs­aus­ga­ben für die Ukrai­ne, Deutsch­land und Euro­pa, deren inve­sti­ver Teil am Ende in ein euro­päi­sches Atom-Teil­ha­be­pro­gramm mün­den wird. Und auch das wer­den die Grü­nen am Ende mit­ma­chen. Eine hal­be Bil­li­on oder so mit offe­nem Schul­den-Ende für Rüstung: Nicht, dass der Auf­bau »kriegs­er­tüch­ti­gen­der« Struk­tu­ren von heu­te auf mor­gen mög­lich wäre. Selbst die hun­dert Scholz’schen Son­der-Mil­li­ar­den sind erst zu einem Drit­tel kon­kret in Umset­zung begrif­fen. Die Bot­schaft ist poli­ti­sche Psy­cho­lo­gie und rich­tet sich an Rus­sen und Ame­ri­ka­ner glei­cher­ma­ßen; sie wird nicht ein­mal rela­ti­viert wer­den, steht zu befürch­ten, falls die USA Rus­sen und Ukrai­ner zu neu­en Frie­dens­ver­hand­lun­gen ange­sto­ßen hät­ten. Sie lau­tet: Wir sind bereit zur Rück­kehr in den kal­ten Krieg und berei­ten uns in der Kon­se­quenz auf den hei­ßen Krieg vor. Si vis pacem, para bel­lum, wird es wie­der hei­ßen. Auch in Deutsch­land kün­digt sich gera­de eine Ver­zwer­gung der Bedeu­tung von Diplo­ma­tie an. Bedro­hungs­sze­na­ri­en wer­den in die Welt gesetzt, deren Nar­ra­ti­ve von wenig gesi­cher­ten Über­trei­bun­gen geprägt sind.

Das gilt übri­gens nicht für den im Son­die­rungs­pa­pier der künf­ti­gen Koali­ti­on eher ver­schwom­men for­mu­lier­ten innen­po­li­ti­schen Teil des Bil­lio­nen-Deals zwi­schen CDU/​CSU und SPD. Eine hal­be Bil­li­on für Infra­struk­tur: Einig­keit besteht von CSU bis Grü­nen auch im neu­en Bun­des­tag nur über jenen Teil der Aus­ga­ben, der kriegs­wich­tig wer­den könn­te. Der Rest wird von Haus­halt zu Haus­halt umstrit­ten sein, wenn er nicht auch von der – immer schon sinn­lo­sen – Schul­den­brem­se befreit sein wird. Dann wird der Aus­weg sein, dass man so viel Geld in zwölf Jah­ren ja gar nicht ein­set­zen kön­ne. Am Ende wird das Ver­trau­en in die Demo­kra­tie wei­ter ero­die­ren und die über den Tisch gezo­ge­ne Sozi­al-demo­kra­tie wei­ter schrumpfen.

Die­ser Deal wird uns alle teu­er zu ste­hen kom­men, finan­zi­ell und ideell. Viel von dem Geld ist jetzt schon ver­brannt: Die Ankün­di­gung des »Pakets“ trieb die Zin­sen von Staats­an­lei­hen in die Höhe, die Aktie von Rhein­me­tall gar durch die Decke; sie ist jetzt vier­stel­lig. Was dafür steht, dass alles dra­stisch teu­rer wer­den wird: die Auf­rü­stung, die Infra­struk­tur, die Kre­di­te dafür. Kei­ne Ober­gren­ze für Auf­rü­stung: Mal sehen, ob die­se Regie­rung der »Mit­te« mutig genug ist, wenig­stens den Über­ge­win­nen der Kon­zer­ne eine gesetz­li­che Ober­gren­ze zu set­zen. Und ob die SPD ihr Junk­tim von Rüstung sowie Reno­vie­rung von Infra­struk­tur zwi­schen Brücken­schä­den und Bil­dungs­not­stand gegen CDU/​CSU behaup­ten kann. Lässt sie es ver­wäs­sern oder auch die Ver­ein­ba­rung von Infra­struk­tur als Zusatz­auf­ga­be, dann blei­ben am Ende eher Absichts­er­klä­run­gen und die Rüstungs­aus­ga­ben. Mit Hei­di Rei­chin­nek (Die Lin­ke) am 13.3. im Par­la­ment zu spre­chen: »Denn das ist alles, was sie wollen.«

Inter­es­sant, wie sich – von den elek­tro­ni­schen Mas­sen­me­di­en wie immer mehr­heit­lich bruch­los über­nom­men – das sprach­schöp­fe­ri­sche Mar­ke­ting der Zei­ten­wen­de nach der Zei­ten­wen­de anhört. In den Talk­shows erei­fern sich jetzt Hans und Franz – und natür­lich Hof­rei­ter, Strack-Zim­mer­mann, Masa­la und Co. – über unse­re »Fähig­keits­lücken«.– Das hört sich an, als ob zu ihrer Schlie­ßung nur ein wenig mehr Dazu­ler­nen reich­te. Ursu­la von der Ley­en redet von der »Wie­derauf­rü­stung« Euro­pas – als ob unser alter Kon­ti­nent bis­lang ein Para­dies der Pazi­fi­sten gewe­sen sei und nicht schon die gan­ze Zeit exor­bi­tant drei­stel­li­ge Mil­li­ar­den­sum­men für Rüstung aus­ge­ge­ben hät­te. Und die neu­er­dings über­pro­por­tio­nal in den Talk­shows auf­tre­ten­den »Exper­ten« für Wirt­schaft und Rüstung geben jetzt die Paro­le aus, dass Rüstung volks­wirt­schaft­lich gar nicht so unpro­duk­tiv sei, wie eigent­lich jeder Öko­nom weiß, son­dern ein echt wich­ti­ger Trei­ber tech­no­lo­gi­scher Inno­va­ti­on. Pan­zer statt Autos: Viel­leicht stimmt das ja, wenn die Pan­zer dem­nächst eben­so viel unter­wegs sind wie die Autos. Auf frisch asphal­tier­ten Autobahnen.

Glaubt eigent­lich jemand, dass der kom­men­de Auf­rü­stungs­fu­ror eine rein tech­nisch-haus­hal­te­ri­sche Dimen­si­on habe? Oder allein eine außen­po­li­ti­sche? Gemes­sen an den poli­ti­schen Stan­dards der sieb­zi­ger oder auch noch der neun­zi­ger Jah­re stei­gen wir schon län­ger die Lei­ter her­ab in Rich­tung auf einen auto­ri­tä­ren Staat und eine auto­ri­tär fixier­te Gesell­schaft. Soll­te sich Donald Trump dazu her­ab­las­sen, den neu­en deut­schen Kanz­ler in Ber­lin zu besu­chen, und soll­te beim Emp­fang des gro­ßen Dea­lers im Ber­li­ner Reichs­tag ein Sofa ste­hen, auf dem, sagen wir, Kling­beil, Pisto­ri­us, Frei und Dob­rindt sit­zen, dann wis­sen wir, was auch bei uns die Stun­de geschla­gen hat.

Weh­ret den Anfän­gen! Ver­bie­tet die Sofas!