Mehrmals schon nach 1945 ist das Ende der Nachkriegszeit ausgerufen worden, 1989/90 dazu sogar das Ende der Geschichte. Jetzt, 35 Jahre später, ist sie endgültig vorbei: die Nachkriegszeit, nicht die Geschichte; diese vollführt gerade eine gehörige Rolle rückwärts. Frieden war nie auf der Welt, auch nicht in Europa, wo Russland aktuell Krieg gegen die Ukraine führt. Dennoch ist es überraschend der US-Präsident, der die Nachkriegszeit beendet. Und vieles deutet darauf hin, dass er – und nicht Wladimir Putin – damit eine Vorkriegszeit einläutet, die potentiell die ganze Welt umspannt. Denn es sind Trump und seine Paladine Vance und Musk, die zwischendurch die Nato-Koalition der Ukraine-Unterstützer aufgekündigt haben und damit womöglich das Bündnis selbst. Im Innern wie nach außen demonstriert das Trump-Regime eindrucksvoll, dass ihm Regeln und Verträge nichts wert sind, auch nicht das Völkerrecht, wenn es dem nächsten Deal entgegensteht, zum Beispiel der Befriedung der Ukraine gegen Seltene Erden.
Europa und der Welt wird nicht nur signalisiert, dass Überfälle und Annektierungen sich lohnen können, sondern auch, dass sich kein Staat davor sicher wähnen soll. Dramatische Einfuhrzölle werden verhängt und dann zurückgenommen, dann wieder aufgelegt. Militärische Unterstützung wird eingestellt, dann wieder aufgenommen. Zerstörtes Vertrauen ist der neuen US-Führung egal, ob es um Bündnisse, Börsen, Binnenkonjunktur, Exportmärkte oder die Glaubwürdigkeit von Werte-Versprechen geht. Erzähle uns niemand, da komme eine neue Weltordnung, hier geht es erst einmal um die Zerstörung der alten. Die neue Feudal-Oligarchie weiß, dass sie davon profitieren wird.
Politisch baut sich auf den Trümmern der am Ende doch recht unspektakulär zerbröselnden westlich-angelsächsischen Nachkriegsordnung unter Trump gerade ein neues, in Wahrheit altbekanntes politisches »Werte«-Imago auf. Es beruht auf Vasallentum, Loyalität und Dankbarkeit für das huldvolle Entgegenkommen des Starken. Und manch ein Regierender, der oder die sich bislang als gleichwertiges Mitglied der Völker wähnte, wird – der Selenskyj-Effekt – Reisen in den neuen Absolutismus nach Washington mit gemischten Gefühlen antreten.
Wir wurden Zeuge, wie sich die US-Tech-Oligarchen bei der Inauguration von Donald Trump beifällig um den World Wide King of Deal versammelten, um den nächsten Schritt zu tun: den Zusammenschluss der politischen Macht mit der Macht des Geldes und der Macht des Datenkapitalismus. Ökonomische Gewaltenverschmelzung statt politischer Gewaltenteilung. America First, das heißt eben nicht mehr wie in früheren Phasen der US-Geschichte selbstbezüglicher Isolationismus, sondern es steht für einen Imperialismus des Deals, der von der Macht diktiert wird. Meinungsfreiheit ist die Freiheit, mit Plattformen wie X die kulturellen und politischen Differenzierungen zu kassieren, damit der Deal freie Bahn hat. Wenn Leute wie J. D. Vance von Meinungsfreiheit sprechen, meinen sie damit die Freiheit definitorischer Dominanz über all jene im Rest der Welt, die ihnen noch Regeln und Grenzen setzen wollen. Und vor allem deshalb ist es für diese Kreise interessant, in allen Ländern Europas die äußerste Rechte stark zu machen. Und wenn Vance von »Diplomatie« redet, sollte man wissen, dass die USA – übrigens unter allen Regierungen – den diplomatischen Apparat (wie der Ex-Diplomat Ronan Farrow in einem instruktiven Buch schon 2018 gezeigt hat) in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch abgebaut haben. Was er meint, ist Diktat.
Musk, Bezos, Zuckerberg, Pichai, Thiel und ihr Großinvestor Andreessen feiern Trump und Vance für den neuen Kurs und dieser lässt sein Kabinett bei Staatsbesuchen als Staffage auf dem Sofa dabei zusehen, wie er sich im Thronsessel umschmeicheln lässt. Inszenierungen wie von Potentaten des Nahen und Mittleren Ostens. Ist das der US-Präsident, der saudische König, der iranische Mullah oder am Ende der Russe mit dem ewig langen Konferenztisch, der sich da gerade als omnipotente Herrscherfigur inszeniert?
Das Prinzip der Zerstörung setzt sich auch im Inneren der Vereinigten Staaten fort, was immer danach von wem auch immer dann neu aufgebaut werden soll. Gleichsam mit der Kettensäge lässt Trump und sein mächtiges, von niemandem gewähltes Springteufelchen Musk in Ministerien und Institutionen herumfuhrwerken und Strukturen der nationalen und internationalen Wohlfahrt vernichten. Wichtigen universitären Forschungen wird die Grundlage entzogen, aus den Bibliotheken von Schulen werden von den alten und alternativen Rechten tausende von Büchern verbannt, darunter die Harry-Potter-Reihe und Klassiker wie die Die Farbe Lila von Alice Walker, Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger und – natürlich – 1984 von George Orwell.
Zugleich mit den Verwaltungsapparaten werden damit die Existenzen von Hunderttausenden ruiniert und wichtige Teile des Rechtsstaats. Noch stemmen sich jene in der Judikative dagegen, die verstehen, worum es eigentlich geht: die Zerrüttung der checks and balances zugunsten einer politischen Halb-Diktatur im Sinne des Finanz- und Datenkapitalismus. Noch ist der Kampf nicht entschieden, aber dass es so wenig Bürger-Proteste gegen diese inszenierte Raserei gibt, enthüllt ein Grundproblem der angegriffenen Demokratien: die Duldsamkeit ihrer Zivilgesellschaften.
Deutsche und Europäer glauben sich durch die amerikanische Kappung ideeller, politischer und ökonomischer Entwicklungs- und Handlungs-zusammenhänge vor eine elementare Wahl gestellt: zwischen dem eigenen Aufstieg zur Weltmacht durch die Befreiung von der ökonomischen und militärischen Dominanz der USA oder – wie der Amerika-Freund Joschka Fischer kürzlich im ZEIT-Interview schmucklos konstatierte – der Unterwerfung unter die USA. Die Deutschen reagieren, wie sie es von den Amerikanern gelernt haben: Sie kündigen an, ihren Verlust geliehener Macht mit ganz viel Geld zu kompensieren.
Außenpolitisch durch Rüstungsausgaben für die Ukraine, Deutschland und Europa, deren investiver Teil am Ende in ein europäisches Atom-Teilhabeprogramm münden wird. Und auch das werden die Grünen am Ende mitmachen. Eine halbe Billion oder so mit offenem Schulden-Ende für Rüstung: Nicht, dass der Aufbau »kriegsertüchtigender« Strukturen von heute auf morgen möglich wäre. Selbst die hundert Scholz’schen Sonder-Milliarden sind erst zu einem Drittel konkret in Umsetzung begriffen. Die Botschaft ist politische Psychologie und richtet sich an Russen und Amerikaner gleichermaßen; sie wird nicht einmal relativiert werden, steht zu befürchten, falls die USA Russen und Ukrainer zu neuen Friedensverhandlungen angestoßen hätten. Sie lautet: Wir sind bereit zur Rückkehr in den kalten Krieg und bereiten uns in der Konsequenz auf den heißen Krieg vor. Si vis pacem, para bellum, wird es wieder heißen. Auch in Deutschland kündigt sich gerade eine Verzwergung der Bedeutung von Diplomatie an. Bedrohungsszenarien werden in die Welt gesetzt, deren Narrative von wenig gesicherten Übertreibungen geprägt sind.
Das gilt übrigens nicht für den im Sondierungspapier der künftigen Koalition eher verschwommen formulierten innenpolitischen Teil des Billionen-Deals zwischen CDU/CSU und SPD. Eine halbe Billion für Infrastruktur: Einigkeit besteht von CSU bis Grünen auch im neuen Bundestag nur über jenen Teil der Ausgaben, der kriegswichtig werden könnte. Der Rest wird von Haushalt zu Haushalt umstritten sein, wenn er nicht auch von der – immer schon sinnlosen – Schuldenbremse befreit sein wird. Dann wird der Ausweg sein, dass man so viel Geld in zwölf Jahren ja gar nicht einsetzen könne. Am Ende wird das Vertrauen in die Demokratie weiter erodieren und die über den Tisch gezogene Sozial-demokratie weiter schrumpfen.
Dieser Deal wird uns alle teuer zu stehen kommen, finanziell und ideell. Viel von dem Geld ist jetzt schon verbrannt: Die Ankündigung des »Pakets“ trieb die Zinsen von Staatsanleihen in die Höhe, die Aktie von Rheinmetall gar durch die Decke; sie ist jetzt vierstellig. Was dafür steht, dass alles drastisch teurer werden wird: die Aufrüstung, die Infrastruktur, die Kredite dafür. Keine Obergrenze für Aufrüstung: Mal sehen, ob diese Regierung der »Mitte« mutig genug ist, wenigstens den Übergewinnen der Konzerne eine gesetzliche Obergrenze zu setzen. Und ob die SPD ihr Junktim von Rüstung sowie Renovierung von Infrastruktur zwischen Brückenschäden und Bildungsnotstand gegen CDU/CSU behaupten kann. Lässt sie es verwässern oder auch die Vereinbarung von Infrastruktur als Zusatzaufgabe, dann bleiben am Ende eher Absichtserklärungen und die Rüstungsausgaben. Mit Heidi Reichinnek (Die Linke) am 13.3. im Parlament zu sprechen: »Denn das ist alles, was sie wollen.«
Interessant, wie sich – von den elektronischen Massenmedien wie immer mehrheitlich bruchlos übernommen – das sprachschöpferische Marketing der Zeitenwende nach der Zeitenwende anhört. In den Talkshows ereifern sich jetzt Hans und Franz – und natürlich Hofreiter, Strack-Zimmermann, Masala und Co. – über unsere »Fähigkeitslücken«.– Das hört sich an, als ob zu ihrer Schließung nur ein wenig mehr Dazulernen reichte. Ursula von der Leyen redet von der »Wiederaufrüstung« Europas – als ob unser alter Kontinent bislang ein Paradies der Pazifisten gewesen sei und nicht schon die ganze Zeit exorbitant dreistellige Milliardensummen für Rüstung ausgegeben hätte. Und die neuerdings überproportional in den Talkshows auftretenden »Experten« für Wirtschaft und Rüstung geben jetzt die Parole aus, dass Rüstung volkswirtschaftlich gar nicht so unproduktiv sei, wie eigentlich jeder Ökonom weiß, sondern ein echt wichtiger Treiber technologischer Innovation. Panzer statt Autos: Vielleicht stimmt das ja, wenn die Panzer demnächst ebenso viel unterwegs sind wie die Autos. Auf frisch asphaltierten Autobahnen.
Glaubt eigentlich jemand, dass der kommende Aufrüstungsfuror eine rein technisch-haushalterische Dimension habe? Oder allein eine außenpolitische? Gemessen an den politischen Standards der siebziger oder auch noch der neunziger Jahre steigen wir schon länger die Leiter herab in Richtung auf einen autoritären Staat und eine autoritär fixierte Gesellschaft. Sollte sich Donald Trump dazu herablassen, den neuen deutschen Kanzler in Berlin zu besuchen, und sollte beim Empfang des großen Dealers im Berliner Reichstag ein Sofa stehen, auf dem, sagen wir, Klingbeil, Pistorius, Frei und Dobrindt sitzen, dann wissen wir, was auch bei uns die Stunde geschlagen hat.
Wehret den Anfängen! Verbietet die Sofas!