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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Wahl-Esel

Die Frei­heit hat man satt am End,
Und die Repu­blik der Tiere
Begehr­te, dass ein einz­ger Regent
Sie abso­lut regiere.

Jed­we­de Tier­gat­tung ver­sam­mel­te sich,
Wahl­zet­tel wur­den geschrieben;
Par­tei­sucht wüte­te fürchterlich,
Intri­gen wur­den getrieben.

Das Komi­tee der Esel ward
Von Alt-Lang­oh­ren regieret;
Sie hat­ten die Köp­fe mit einer Kokard,
Die schwarz-rot-gold, verzieret.

Es gab eine klei­ne Pferdepartei,
Doch wag­te sie nicht zu stimmen;
Sie hat­te Angst vor dem Geschrei
Der Alt-Lang­oh­ren, der grimmen.

Als einer jedoch die Kandidatur
Des Ros­ses emp­fahl, mit Zeter
Ein Alt-Lang­ohr in die Rede ihm fuhr,
Und schrie: Du bist ein Verräter!

Du bist ein Ver­rä­ter, es fließt in dir
Kein Trop­fen vom Eselsblute;
Du bist kein Esel, ich glau­be schier,
Dich warf eine wel­sche Stute.

Du stammst vom Zebra viel­leicht, die Haut
Sie ist gestreift zebräisch;
Auch dei­ner Stim­me näseln­der Laut
Klingt ziem­lich ägyptisch-hebräisch.

Und wärst du kein Fremd­ling, so bist du doch nur
Ver­stan­des­esel, ein kalter;
Du kennst nicht die Tie­fen der Eselsnatur,
Dir klingt nicht ihr mysti­scher Psalter.

Ich aber ver­senk­te die See­le ganz
In jenes süße Gedösel;
Ich bin ein Esel, in mei­nem Schwanz
Ist jedes Haar ein Esel.

Ich bin kein Röm­ling, ich bin kein Slav;
Ein deut­scher Esel bin ich,
Gleich mei­nen Vätern. Sie waren so brav,
So pflan­zen­wüch­sig, so sinnig.

Sie spiel­ten nicht mit Galanterei
Fri­vo­le Lasterspiele;
Sie trab­ten täg­lich, frisch-fromm-fröhlich-frei,
Mit ihren Säcken zur Mühle.

Die Väter sind nicht tot! Im Grab
Nur ihre Häu­te liegen,
Die sterb­li­chen Hül­len. Vom Him­mel herab
Schaun sie auf uns mit Vergnügen.

Ver­klär­te Esel im Gloria-Licht!
Wir wol­len Euch immer gleichen
Und nie­mals von dem Pfad der Pflicht
Nur einen Fin­ger­breit weichen.

O wel­che Won­ne, ein Esel zu sein!
Ein Enkel von sol­chen Langohren!
Ich möcht es von allen Dächern schrein:
Ich bin als ein Esel geboren.

Der gro­ße Esel, der mich erzeugt,
Er war von deut­schem Stamme;
Mit deut­scher Esels­milch gesäugt
Hat mich die Mut­ter, die Mamme.

Ich bin ein Esel, und will getreu,
Wie mei­ne Väter, die Alten,
An der alten, lie­ben Eselei,
Am Eseltu­me halten.

Und weil ich ein Esel, so rat ich Euch,
Den Esel zum König zu wählen;
Wir stif­ten das gro­ße Eselreich,
Wo nur die Esel befehlen.

Wir alle sind Esel! I-A! I-A!
Wir sind kei­ne Pferdeknechte.
Fort mit den Ros­sen! Es lebe, hurra!
Der König vom Eselsgeschlechte!

So sprach der Patri­ot. Im Saal
Die Esel Bei­fall rufen.
Sie waren alle national,
Und stampf­ten mit den Hufen.

Sie haben des Red­ners Haupt geschmückt
Mit einem Eichenkranze.
Er dank­te stumm, und hochbeglückt
Wedelt’ er mit dem Schwanze.

Das Gedicht ent­stand in der Zeit der Revo­lu­ti­on und wohl auch unter dem Ein­druck der Debat­ten in der Frank­fur­ter Natio­nal­ver­samm­lung. Es erschien erst­mals 1855.