Der Jurist und Publizist Dr. Rolf Gössner, Mitherausgeber dieser Zeitschrift, wurde fast 40 Jahre lang – seit 1970 – »geheimdienstlich« überwacht. Was immer das heißen mag. Denn diesem in jeder Hinsicht skandalösen Vorgang haftet von vornherein etwas Bizarres an. Als Publizist stellt der Ausgeforschte seine Standpunkte öffentlich dar, als Rechtsanwalt und Richter agiert er in öffentlichen Gerichten, als parlamentarischer Berater und Redner bewegt er sich in öffentlichen Foren. Nichts davon ist geheim, nichts davon bedarf also, sollte man meinen, einer »nachrichtendienstlichen« Aufklärung. Was immer also die »Agenten« und Zuträger des Bundesamtes für Verfassungsschutz über vier Jahrzehnte auf Kosten der Steuerzahler über den vorgeblichen Verfassungsfeind Gössner recherchiert haben mögen, war stets öffentlich zugänglich. Du lieber Himmel!
Darüber wurden, nebenbei, auch die geschützten und aus guten Gründen zu schützenden Berufsgeheimnisse verletzt, also etwa der Informantenschutz, insbesondere in seiner Funktion als investigativ recherchierender Publizist, sowie das zu wahrende Mandatsgeheimnis als Rechtsanwalt. Diese verfassungsrechtlich garantierten Berufsgeheimnisse waren unter den Bedingungen geheimdienstlicher Überwachung praktisch nicht mehr zu gewährleisten.
Seit vielen Jahren schon wehrt sich Rolf Gössner mit rechtlichen Mitteln gegen solche Überwachungspraxis. Und stets mit Erfolg. Schon im Februar 2011 erklärte das Verwaltungsgericht Köln die Dauerüberwachung für rechtswidrig. Das Bundesamt habe keinerlei »tatsächliche Anhaltspunkte« für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorgelegt. Das Gericht attestierte stattdessen den Verfassungsschützern einen »schwerwiegenden Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen«. Eine schallende Ohrfeige. Indirekt erklärten die Richter damit, wo sie in diesem Fall den »Verfassungsfeind« verorten.
Spätestens jetzt hätten die beklagte Bundesbehörde mitsamt der verantwortlichen Bundesregierung ihr Fehlverhalten reumütig einräumen und ihr Handeln künftig neu ausrichten müssen. Aber der teure Dienst und seine Tausenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wollen sich natürlich nicht selbst beschränken oder gar abwickeln. Möglicherweise haben politische Prioritäten – Stichwort: hart gegen links, weich gegen rechts – dies verhindert; darüber hinaus hatte der NSU-Skandal gerade einen tiefschwarzen Schatten auf die Arbeit der Behörde geworfen. Nun bloß nicht klein beigeben – stattdessen, wie die Praxis seitdem zeigt, den »Verfassungsschutz« ausbauen und weiter aufrüsten. »Gegenpressing« würde man dazu im Fußball sagen. Das Amt und der verantwortliche Bundesinnenminister gingen in »Sachen Gössner« also in Berufung. Sieben Jahre später, 2018, wurde das Ersturteil jedoch vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in vollem Umfang bestätigt. Die nächste brutale Schlappe für die »Schlapphüte«.
Doch wer nun dachte, jetzt werde man endlich zur Vernunft kommen, sah sich abermals getäuscht. Der Staat, der sich durch Rolf Gössner offenkundig massiv bedroht sah, ging in die nächste und letzte Instanz. Dieser (Über-)Mut dürfte nun endlich und hoffentlich endgültig gekühlt sein. Am 14. Dezember 2020 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Urteile aller vorherigen Instanzen vollumfänglich bestätigt und die Revision zurückgewiesen. Damit ist Rolf Gössner von dem fadenscheinigen Vorwurf, er unterstütze »linksextremistische« Gruppierungen, die unsere »Grundordnung« abschaffen wollen, in jeder Hinsicht »offiziell« und rechtskräftig rehabilitiert. Mehr als das. Der Mitherausgeber des seit 1997 jährlich erscheinenden »Grundrechte-Reports« und stellvertretende Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen kann sich nun – gewissermaßen höchstrichterlich beleumdet – als der eigentliche »Verfassungsschützer«, als ein wahrhaft »wehrhafter Demokrat« bestätigt fühlen, der die seltsam fehlgeleiteten »Verfassungsfeinde« in die Schranken gewiesen hat. Der Rechtsstaat, auch wenn er lange »kreisen« musste, scheint insoweit intakt.
Fazit: Die »freiheitliche demokratische Grundordnung«, wie sie die Verfassung gewährleistet und wozu im Kern eben der Schutz der Grund-, Bürger- und Menschenrechte gehört, ist gegen eine übergriffige Geheimdienstpraxis verteidigt worden, die vielleicht ihre Selbsterhaltung betreibt, aber ganz gewiss nicht ihren Auftrag erfüllt: den Schutz der Verfassung. Bleibt zu hoffen – eine, zugegeben, bislang kleine Hoffnung –, dass jegliche Form der Gesinnungsschnüffelei und einer politisch motivierten »Datensammlung« in Zukunft unterbleiben werden.