Das Grundgesetz sagt in Artikel 3: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.« Wer beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beschäftigt war (nach Peter-Michael Diestel waren das fast 100.000) oder ihm als inoffizieller Mitarbeiter diente, ist ein deutscher Paria. Er hat kein Recht, als Abgeordneter in den Bundestag, in einen Landtag gewählt zu werden oder eine Funktion auf kommunaler Ebene auszuüben. Das steht in keinem Gesetz, aber das ist so. Der ehemalige Berliner Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen der rot-rot-grünen Koalition, Andrej Holm, musste seinen Posten räumen, weil er mit 18 Jahren Offiziersschüler im Wachregiment der Staatssicherheit war. Der Bundestagsabgeordnete der Linken, Gerhard Riege, nahm sich das Leben aus Angst vor dem Hass, dem er sich im Bundestag ausgesetzt fühlte.
»Stasi«, das ist der Inbegriff des Bösen. Diebstahl, Kindesmissbrauch und andere Verbrechen verjähren, nur Mord nicht. Das steht im Gesetz. »Stasi« verjährt nicht. Das steht in keinem Gesetz.
Im Gesetz ist auch der Verlust der Amtsfähigkeit geregelt. In § 45 Abs. 1 StGB heißt es: »Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen.« Im Rechtsstaat verlieren ehemalige MfS-Angehörige diese Rechte unbefristet, auch nach 30 Jahren noch, wenn sie keine Straftat begangen haben.
Gegen »Regierungskriminalität« (der DDR versteht sich) wurde intensiv ermittelt, in Berlin wurde eine eigene »Zentralstelle« dafür eingerichtet. In der Neuen Justiz Nr. 1 von 2000 berichtete der einst für sie zuständige ehemalige Generalstaatsanwalt Berlins, dass gegen 100.000 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet und 300 von ihnen rechtskräftig verurteilt worden seien, unter ihnen 25 Angehörige der Staatssicherheit. Die Professoren Marxen und Werle berichteten in ihrem 1999 bei de Gruyter erschienenen Buch »Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht« von 289 rechtskräftigen Verurteilungen wegen »Regierungskriminalität«, darunter 29 MfS-Angehörige, von denen 20 zu Geldstrafen verurteilt wurden, sieben zu Freiheitsstrafen mit Bewährung und einer zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Vergleicht man diese Verurteilungen mit dem Schicksal anderer Geheimdienstangehöriger, etwa der Gestapo oder des CIA, erscheint das wohl als unverhältnismäßig.
Im Rechtsstaat müssen alle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR ohne gesetzlichen Schutz Schimpf und Schande ertragen, von Strafrenten leben, sie sind von Ehrenämtern und vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen und müssen Nachteile im Geschäftsleben ertragen, etwa als Verleger.
Kein bundesdeutscher Jurist meldet sich zu Wort, um diese Praxis zu rügen. Doch, einer tut es jetzt, Peter Michael Diestel in seinem Buch: »In der DDR war ich glücklich. Trotzdem kämpfe ich für die Einheit« (Das Neue Berlin, 304 Seiten, 22 €). Übrigens ein sehr empfehlenswertes Buch.
Gefangene im heißen Krieg werden besser behandelt als diese unterlegenen Gegner im Kalten Krieg. Vier Geheimdienste kämpften gegen die DDR, erstrebten regime change. Ihre Angehörigen wurden ausgezeichnet und belohnt.
Es war eben nicht nur die Treuhand, warum die früheren DDR-Bürger sich ungerecht behandelt fühlen.