Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Qual der Wahl

Wenn es für hoh­len Pathos einen Preis gäbe, es herrsch­te gera­de gro­ßer Andrang. Wir leben in Wahl­kampf-Zei­ten. Und wir, »die lie­ben Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger«, wer­den schmei­chelnd umgarnt und umwor­ben im schrill-lau­ten Pro­pa­gan­da-Wir­bel. Die Par­tei­en ver­spre­chen wie gewohnt das Blaue vom Him­mel: Mehr­aus­ga­ben, Steu­er­sen­kun­gen, mehr Wohl­stand und Wachs­tum, auch die Lösung des Flücht­lings-Pro­blems, des Fach­ar­bei­ter-Man­gels und der maro­den Infra­struk­tur und klar, auch die Bahn wird wie­der pünkt­lich fah­ren. Von Auf­bruch, Zukunft und Zuver­sicht ist viel die Rede – wo doch es doch vor allem um die Gunst der Alten im Land geht, um die Bewah­rung von Besitz­stän­den. Die Haupt­leid­tra­gen­den sind – wie­der ein­mal – die kom­men­den Gene­ra­tio­nen. Nichts Neu­es also. Ver­trö­stun­gen und Ver­spre­chun­gen gehö­ren zum Grund­rau­schen jeder Wahl. Sel­ten aber – dass dür­fen wir fest­hal­ten – hat die Poli­tik dem Sou­ve­rän so wenig Ehr­lich­keit zugemutet.

Die Pro­pa­gan­da-Maschi­ne läuft auf Hoch-Tou­ren. Ob auf Pla­kat­wän­den oder auf Tik­Tok, ob in den Städ­ten oder auf dem Land: aller­or­ten lächeln­de Par­tei-Gesich­ter, smar­te Claims, schril­le Slo­gans. Die Repu­blik im Wür­ge­griff der Par­tei­en. Es gibt kein Ent­kom­men. Alle wol­len nur das eine: unse­re Stim­me. Wer­fen wir hier ein­mal einen kur­zen Blick auf die bun­ten Pla­ka­te, die – und das ist bei­na­he tröst­lich – auch in der digi­ta­len Welt als ver­läss­li­ches Medi­um im par­tei­li­chen Sprü­che­klop­fer-Wett­be­werb unent­behr­lich sind.

Mit dem Slo­gan Wie­der nach vor­ne wirbt die CDU auf tür­kis-far­bi­gen Pla­ka­ten um Wäh­ler­stim­men. Was uns dort »vor­ne« erwar­tet, wird aus Platz­man­gel nicht mit­ge­teilt. Die Schwe­ster­par­tei CSU ver­kün­det selbst­be­wusst Wir sind bereit. Wozu? Wofür? Wir dür­fen mut­ma­ßen, dass es ums Regie­ren geht. Das will die SPD natür­lich ver­hin­dern und macht uns im ver­trau­lich-genos­sen­schaft­li­chen »DU«-Ton eine Offer­te: Mehr für Dich – Bes­ser für Deutsch­land.. Olaf solls noch ein­mal richten.

Nah­bar gefüh­lig will auch der Poster-Sound der Grü­nen klin­gen: Ein Mensch. Ein Wort steht auf grü­nen Habeck-Pla­ka­ten. Aus­ge­dacht hat sich den Slo­gan übri­gens die Agen­tur Jung von Matt, die im Bun­des­tags­wahl­kampf vor sie­ben Jah­ren noch für Ange­la Mer­kel zustän­dig war. Vor den Grü­nen liegt in den Umfra­gen deut­lich die AfD. Ihr Cla­im: Zeit für Deutsch­land – und wer dies nun belie­big oder drö­ge fin­det, dem kann man zuru­fen: genau so soll es offen­bar sein. Die Rechts­au­ßen­par­tei, bekannt für ihre kra­wal­li­gen Sprü­che, Russ­land­nä­he und Abschie­be­fan­ta­sien, ver­sucht vor allem den rech­ten, deut­schen Patrio­ten-Michel ein­zu­lul­len, bei­spiels­wei­se mit dem Pla­kat-Slo­gan Deutsch­land, aber normal!

Die zuletzt stark gebeu­tel­te FDP hat bei der Wahl mal wie­der ein Pro­blem: Sie muss die Fünf-Pro­zent-Hür­de schaf­fen. Des­halb hängt beson­ders viel von der Kam­pa­gne ab. Sie ist dies­mal knall-gelb. Die Far­be ist absicht­lich grel­ler als in frü­he­ren Wahl­kämp­fen – nicht zuletzt, weil die­ser Win­ter­wahl­kampf für sie so dun­kel ist. Der Pla­kat­s­pruch setzt voll­ends auf das Prin­zip Hoff­nung: Alles lässt sich ändern. Auch Sahra Wagen­knechts BSW prä­sen­tiert sich als Hoff­nungs­trä­ger und for­dert auf Pla­ka­ten, auf denen aus­schließ­lich sie selbst zu sehen ist, Unser Land ver­dient mehr. DIE LINKE will hier nicht nach­ste­hen und emp­fiehlt, das Kreuz auf dem Stimm­zet­tel dies­mal bei ihnen zu machen, Damit sich wirk­lich was ändert. Ob libe­ral oder kon­ser­va­tiv, ob sozi­al­de­mo­kra­tisch oder öko­lo­gisch, ob ganz rechts oder ganz links – alle Par­tei­en insze­nie­ren sich im Wahl­kampf-Schar­müt­zel als selbst­lo­se patrio­ti­sche Bewah­rer und Erneue­rer – zuge­ge­ben ziem­lich wort­gleich und redundant.

Ins­ge­samt 41 Par­tei­en tre­ten, von der Bun­des­wahl­lei­tung zuge­las­sen, dies­mal an. Ein Beleg der Viel­falt. Die Aus­wahl ist groß. Nicht nur der Markt setzt auf »spe­cial inte­rest«, auch der poli­ti­sche Wett­be­werb. So hofft die »Par­tei für Ver­jün­gungs­for­schung« eben­so auf Wäh­ler­stim­men wie der »Cana­bis Social Club« oder eine jun­ge Par­tei, die unter ver­hei­ßungs­vol­lem Namen »Die Lie­be« dafür ein­tritt, das Zusam­men­le­ben für die Men­schen im Land ver­söhn­li­cher zu gestal­ten. Wei­te­re Mit-Bewer­ber sol­len hier noch kurz genannt wer­den, wie etwa die Par­tei »Mensch­li­che Welt«, die »Gar­ten­par­tei« oder die Par­tei »Die Son­sti­gen«, die bis­lang alle­samt eher durch mar­gi­na­le Akti­vi­tä­ten etwas unschein­bar agier­ten. Frei­lich soll­ten wir den Mut und Elan all der chan­cen­lo­sen Kleinst-Par­tei­en nicht belä­cheln, son­dern als Beleg einer vita­len Demo­kra­tie wür­di­gen. Denn: Demo­kra­tie lebt von Viel­falt – und von der Hoff­nung, dass alles immer etwas bes­ser wer­den kann. Bes­ser also die Qual der Wahl als eine Wahl ohne Wahlkampf.

Am 23. Febru­ar wird abge­rech­net. Es wird wie immer Sie­ger und Ver­lie­rer, Begei­ster­te und Besorg­te, Ver­bit­ter­te und Ver­är­ger­te geben. Die einen wer­den eupho­risch jubeln, ande­re den Nie­der­gang des Abend­lan­des bejam­mern, wie­der ande­re über ihre poli­ti­sche Rest­lauf­zeit brü­ten. Fest steht: Das Volk, der Sou­ve­rän, hat dann ent­schie­den – und die Demo­kra­tie muss damit klarkommen.