Obwohl Generationen von Eltern, Lehrern, Bildungsforschern, Bildungs- und Kulturpolitikern über die Schwächen von Kindergärten, Vorschulen, Schulen und über die Mängel der Lehrausbildung an Fach- und Hochschulen endlose Debatten führten, reproduzieren alle diese Ausbildungsstätten seit eh und je, die vorhandenen, ungerechten Sozial- und Klassenstrukturen. Die soziale und ethnische Herkunft der Eltern bestimmt über die Bildungs- und damit Lebenschancen ihrer Kinder. Mindestens 25 Prozent, also jeder 4. Schulabgänger verbleibt deshalb, sozial gesehen, immer im unteren Drittel der Gesellschaft. Eine grundlegende, bildungspolitische Wende ist nicht in Sicht. Das liegt nicht nur an der chronischen Unterfinanzierung der Bildungseinrichtungen und dem Lehrermangel, sondern in erster Linie am Ökonomismus der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, dessen technologisches Investitionsdenken vom Kopf auf die Füße gestellt werden müsste.
Das konnte auch der letzte SPD-Parteitag nicht erfassen, der zwar zurecht mehr Geld vom wohlhabenden Teil der Gesellschaft für das Bildungsunwesen forderte, aber die finanzielle Lösung der Bildungsmisere nicht wirklich benannte, weil hier das bürgerliche Lager das Sagen hat. Denn nicht in erster Linie das Ringen um mehr Investitionen, etwa in den Ausstieg aus fossiler Energie oder in die Rüstungs- und Kriegsmaschinerie, sondern das Ringen um mehr mentale und finanzielle Investitionen in das Bildungssystem bestimmen letztlich über die humane Zukunft nicht nur dieses Landes. Es ist zuallererst die Förderung einer humanen, demokratischen und fachlichen Kompetenz der Mehrheit der Menschen, die eine zukunftsweisende, materielle Kultur hervorbringt oder auch nicht. Die universelle Persönlichkeitsentwicklung der Menschen muss zum Dreh- und Angelpunkt einer humanen, gesellschaftspolitischen Zukunftsgestaltung werden. oder es wird diese Zukunft nicht geben.
Zu einer Demokratisierung des Bildungswesens gehören m. E. folgende bildungspolitischen Weichenstellungen:
- Es ist, neben dem Recht auf einen Kitaplatz, eine verbindliche Vorschulpflicht ab dem 4.-5. Lebensjahr einzuführen. Schulessen und Ganztagsschulen sind gesetzlich zu verankern.
- Wenn klar ist, dass es in Parteien, Organisationen und Betriebsvorständen Frauenquoten gibt, so sollten auch in höheren Bildungseinrichtungen Quoten für jugendliche Frauen und Männer eingeführt werden, die aus sozial- und ethnisch benachteiligten Familien kommen. Gymnasien und Privatschule dürfen nicht mehr Geld bekommen als Schulen in sozialen Brennpunkten.
- Anstatt Schul- und Ausbildungslehrstoffe von vorneherein mit technisch-naturwissenschaftlichem Wissensballast zu überladen, sollte der Schwerpunkt einer verbindlichen Vorschule und der ersten Grundschuljahre primär bei der Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenzen liegen. Dazu gehört auch die frühe Vermittlung humaner und sozialer Kompetenzen, etwa durch verstärkte musische Erziehung und einen Sozialkunde- und Geschichtsunterricht zur deutschen, europäischen und globalen Geschichte, der zugleich eine Vermittlung universeller Menschenrechte sowie das Üben demokratischer Mitbestimmung, etwa durch Schülervertretungen, einschließt.
- Wenn diese humanen Basiskompetenzen schon in Vorschulen und unteren Klassen vermittelt werden, kann, darauf aufbauend, in höheren Klassen, verstärkt technisch-naturwissenschaftlicher Lehrstoff angeboten werden, der möglichst praxisnah sein sollte. Hierfür wären auch polytechnische Unterrichtsstunden für Kinder und Jugendliche in Betrieben förderlich, um früh für bestimmte Lehrberufe zu interessieren.
Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft. d. h. das Ringen um mehr soziale Gerechtigkeit sowie die zeitnahe ökologische Transformation hängen in erster Linie von den demokratischen Kompetenzen der jetzigen und nachfolgender Generationen ab, deren Menschen- und Weltbild, gerade auch durch das Bildungswesen, nicht vom Leistungs- und Konsumegoismus geprägt werden darf, sondern durch das humane Bestreben, das Gemeinwohl zu verbessern.