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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die neuen Schriftleiter

Gibt es in Deutsch­land eine Zen­sur? – Natür­lich nicht, schon des­halb, weil sie laut Grund­ge­setz nicht statt­fin­det. Sie wäre aber auch völ­lig unnö­tig, denn Arbeits­plät­ze (oder soll man lie­ber Jobs sagen?) im Medi­en­be­reich wer­den mas­siv abge­baut, und das Gros der Jour­na­li­sten kann von den Ein­künf­ten eines Tom Buhr­ow oder Heri­bert Prantl nicht ein­mal träu­men. System­kon­for­mes Hoch­schrei­ben ist daher ein lan­ger, aber am Ende meist durch Erfolg gekrön­ter Weg in die lukra­ti­ven Chef­po­sten der Redak­tio­nen. Nicht sel­ten liegt auf die­ser Kar­rie­re­lei­ter ein gut bezahl­tes Prak­ti­kum in den USA mit anschlie­ßen­der Mit­glied­schaft in einem der zahl­rei­chen atlan­ti­schen Thinktanks, jener welt­weit agie­ren­den moder­nen Bur­schen­schaf­ten, in denen sogar Frau­en zuge­las­sen sind. Aber das ist nur die hal­be Wahr­heit: Nach einer Unter­su­chung an der TU Darm­stadt ist gera­de im Jour­na­li­sten­be­ruf die sozia­le Aus­le­se beson­ders aus­ge­prägt. Über zwei Drit­tel der an deut­schen Jour­na­li­sten­schu­len Stu­die­ren­den kom­men aus der Ober- und Mit­tel­schicht, aus dem Arbei­ter­mi­lieu kommt kein ein­zi­ger. Da ist Chri­sti­an Baron, Redak­teur beim Frei­tag und Sohn eines unge­lern­ten Arbei­ters, eine exo­ti­sche Aus­nah­me. Es ist daher kaum ver­wun­der­lich, dass das Aus­blen­den wei­ter Berei­che der rea­len Welt in den Medi­en dazu führt, vor allem die Pro­ble­me des eige­nen Milieus zu thematisieren.

Wort­fin­dungs­stö­run­gen tau­chen heu­te nicht erst im fort­ge­schrit­te­nen Alter auf. Auf­merk­sa­men Medi­en­kon­su­men­ten, zumal sol­chen, die auch auf nicht­deut­sche Quel­len zurück­grei­fen kön­nen, fällt bei bestimm­ten The­men ein ver­ein­heit­lich­ter Sprach­ge­brauch in deut­schen Medi­en auf. Dafür bedarf es kei­ner Direk­ti­ve eines Pro­pa­gan­da­mi­ni­ste­ri­ums, die Sche­re ist im Kopf. Man schreibt beharr­lich Kli­ma­wan­del, weil eine Kli­ma­ka­ta­stro­phe dem Leser nicht zumut­bar ist, und der kun­di­ge Leser ahnt, dass hier wie­der mal jenes »Framing« (Eli­sa­beth Weh­ling sei Dank) wirk­mäch­tig wur­de, das die erwünsch­ten Asso­zia­ti­ons­ket­ten vibrie­ren lässt. Für die Ermor­dung geg­ne­ri­scher Füh­rungs­kräf­te oder son­sti­ger unlieb­sa­mer Per­so­nen ver­wen­det man selbst­ver­ständ­lich den neu­tral klin­gen­den Begriff »Tötung«, sofern die­se von Freun­den und Ver­bün­de­ten began­gen wur­de. Im Fall Khash­og­gi konn­te aller­dings beim besten Wil­len nicht mehr von Tötung gespro­chen wer­den, schon allein des­halb, weil die­ser Auf­trags­mord mit einer gera­de­zu mit­tel­al­ter­li­chen Grau­sam­keit began­gen wur­de. Tote gibt es auch schon seit gerau­mer Zeit in Afgha­ni­stan. Und da wir ja schließ­lich alle Men­schen sind, wird genau die­ser Begriff ver­wen­det, um den Medi­en­kon­su­men­ten nicht mit Dif­fe­ren­zie­run­gen wie aus­län­di­sche Sol­da­ten, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, Tali­ban, Bau­ern, Frau­en oder Kin­der zu über­for­dern. Bei »einem Tref­fen des US-Macht­ha­bers Donald Trump mit dem nord­ko­rea­ni­schen Prä­si­den­ten Kim Jong Un in Sin­ga­pur …« wür­de man sich schon ver­wun­dert die Augen rei­ben, denn das wäre ganz offen­sicht­lich ein völ­lig fal­sches Framing, und der Autor stän­de ab sofort unter dem Ver­dacht des Antiamerikanismus.

Ach Ame­ri­ka! Seit Donald Trump dort die Rol­le des US-Prä­si­den­ten spielt, ist wegen stän­dig dro­hen­der Sank­tio­nen devo­tes Ver­hal­ten und bedin­gungs­lo­se Soli­da­ri­tät auch bei Jour­na­li­sten erstes Gebot. Die 2016 aktua­li­sier­ten »Essen­ti­als« des Sprin­ger-Ver­la­ges (Axel Sprin­ger SE) schei­nen inzwi­schen still­schwei­gend von vie­len deut­schen Redak­tio­nen über­nom­men wor­den zu sein. In Punkt drei heißt es dort: »Wir zei­gen unse­re Soli­da­ri­tät in der frei­heit­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft mit den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka.« Das garan­tie­ren inzwi­schen zahl­rei­che Jour­na­li­sten, die als Mit­glied in diver­sen atlan­ti­schen Clubs die west­li­chen Wer­te des gro­ßen Bru­ders propagieren.

Beim Deutsch­land­funk ragt neben ande­ren etwas schüch­ter­ne­ren Mode­ra­to­ren das poly­glot­te Sprach­ge­nie Chri­stoph Hei­ne­mann her­vor. Er ver­sucht schon am frü­hen Mor­gen sei­nen halb­wa­chen Hörern vor­zu­füh­ren, wie man durch geschick­te Fra­gen die Spreu vom Wei­zen tren­nen kann. Wäh­rend er mit geneh­men Inter­view­part­nern (meist Christ­de­mo­kra­ten und Wirt­schafts­leu­te) ange­regt plau­dert, gerät ein Gespräch mit Lin­ken und ande­ren Unper­so­nen zum knall­har­ten Ver­hör mit Sug­ge­stiv­fra­gen, die auch gern so lan­ge wie­der­holt wer­den, bis der ande­re auf­gibt oder die Nach­rich­ten nahen. Der Mann wird es weit bringen.

Über den Nie­der­gang des Spie­gel, einst selbst­er­nann­tes »Sturm­ge­schütz der Demo­kra­tie«, wur­de schon oft geklagt (s. auch Ossietzky 1/​2020). Er begann 1993 noch zu Leb­zei­ten von Rudolf Aug­stein, als Hubert Bur­da das Kon­kur­renz­blatt Focus lan­cier­te. Ende der 90er Jah­re hat­te das Bur­da-Maga­zin mehr Leser als der Spie­gel. Der sah sich mit einem bedroh­li­chen Anzei­gen­schwund kon­fron­tiert und setz­te daher auf eine markt­freund­li­che­re neo­li­be­ra­le Linie. Heu­te zehrt er zwar noch von den ver­gan­ge­nen Mythen, singt aber längst mit im kon­for­mi­sti­schen Medi­en­chor. Eini­ge pro­gres­si­ve Federn dür­fen noch Mei­nungs­viel­falt vor­täu­schen, domi­nie­rend ist aber der bekann­te Main­stream sowie Pan­ora­ma­bei­trä­ge, wel­che man frü­her der Regen­bo­gen­pres­se zuordnete.

Nicht viel bes­ser sieht es bei der Süd­deut­schen Zei­tung aus. Dem renom­mier­ten »Leit­me­di­um« ist sei­ne kri­ti­sche Hal­tung in wei­ten Tei­len abhan­den gekom­men, vor allem im wirt­schafts- und außen­po­li­ti­schen Teil. Zumin­dest von Ste­fan Kor­ne­li­us (Res­sort­chef Außen­po­li­tik) weiß man, dass er Prä­si­di­ums­mit­glied der Deut­schen Atlan­ti­schen Gesell­schaft war und bei der Deut­schen Gesell­schaft für Aus­wär­ti­ge Poli­tik (DGAP) mitmacht.

Ein beson­ders trau­ri­ges Kapi­tel ist die Tages­zei­tung (taz), für deren Grün­dung ich 1978 sehr viel Zeit, Arbeit und Herz­blut inve­stiert habe. Das Pro­jekt »lin­ke Tages­zei­tung« hat­te damals vie­le begei­stert, etli­che ver­schlis­sen. Das Zieh­kind von Chri­sti­an Strö­be­le war lan­ge Zeit Deutsch­lands bekann­te­ste Jour­na­li­sten­schu­le, spä­ter wur­de die taz das inof­fi­zi­el­le Sprach­rohr der Grü­nen, heu­te ist sie dem rech­ten Flü­gel die­ser Par­tei zuzu­ord­nen. Ähn­lich wie beim Spie­gel pflegt man das Strick­mu­ster »zwei rechts, zwei links« und stellt Rubri­ken für Autoren zur Ver­fü­gung, die mit links nichts am Hut haben und den Main­stream der Atlan­ti­ker bedie­nen. Mit taz-Lesern ist es wie mit SPD-Wäh­lern: Man hängt dar­an, weil man in jun­gen Jah­ren mal links war.

Publi­ka­tio­nen, wel­che sich zumin­dest kri­tisch zur herr­schen­den Denk­art ver­hal­ten, wer­den immer sel­te­ner. Erwähnt sei­en hier die Nürn­ber­ger Nach­rich­ten, in denen noch eine durch­aus kri­ti­sche Bericht­erstat­tung zu fin­den ist.

Die mei­sten Medi­en sind jedoch dem Main­stream ver­pflich­tet, was ihre Glaub­wür­dig­keit ten­den­zi­ell her­ab­setzt. Umso mehr betont man dort – trotz stän­di­ger Spar­maß­nah­men vor allem bei der Recher­che – die hohe Qua­li­tät der eige­nen Publi­ka­tio­nen. Gefahr droht schon seit lan­gem aus dem Netz. Das kosten­lo­se Kon­su­mie­ren von Infor­ma­tio­nen in Echt­zeit hat­ten die eta­blier­ten Medi­en frei­lich selbst mit gro­ßem finan­zi­el­lem Auf­wand initi­iert. Nun ver­sucht man, mit Bezahl­schran­ken und Lock­an­ge­bo­ten die­se Pan­do­rabüch­se wie­der zu schlie­ßen. Doch im Inter­net ist inzwi­schen eine kri­ti­sche Kon­kur­renz ent­stan­den, die alter­na­ti­ve Infor­ma­ti­ons­platt­for­men anbietet.

Der ver­zwei­fel­te Abwehr­kampf der eta­blier­ten Leit­me­di­en gegen ihren Bedeu­tungs­ver­lust lässt sich an der hef­ti­ger wer­den­den Pole­mik gegen die lob­by­frei­en Online-Publi­ka­tio­nen able­sen. Bis­he­ri­ger Höhe­punkt war Mit­te Sep­tem­ber ein anony­mes Streif­licht auf der ersten Sei­te der Süd­deut­schen Zei­tung, wel­ches sich in pole­mi­scher Wei­se über die Nach­denk­sei­ten und deren Her­aus­ge­ber Albrecht Mül­ler lustig machte.