Gibt es in Deutschland eine Zensur? – Natürlich nicht, schon deshalb, weil sie laut Grundgesetz nicht stattfindet. Sie wäre aber auch völlig unnötig, denn Arbeitsplätze (oder soll man lieber Jobs sagen?) im Medienbereich werden massiv abgebaut, und das Gros der Journalisten kann von den Einkünften eines Tom Buhrow oder Heribert Prantl nicht einmal träumen. Systemkonformes Hochschreiben ist daher ein langer, aber am Ende meist durch Erfolg gekrönter Weg in die lukrativen Chefposten der Redaktionen. Nicht selten liegt auf dieser Karriereleiter ein gut bezahltes Praktikum in den USA mit anschließender Mitgliedschaft in einem der zahlreichen atlantischen Thinktanks, jener weltweit agierenden modernen Burschenschaften, in denen sogar Frauen zugelassen sind. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Nach einer Untersuchung an der TU Darmstadt ist gerade im Journalistenberuf die soziale Auslese besonders ausgeprägt. Über zwei Drittel der an deutschen Journalistenschulen Studierenden kommen aus der Ober- und Mittelschicht, aus dem Arbeitermilieu kommt kein einziger. Da ist Christian Baron, Redakteur beim Freitag und Sohn eines ungelernten Arbeiters, eine exotische Ausnahme. Es ist daher kaum verwunderlich, dass das Ausblenden weiter Bereiche der realen Welt in den Medien dazu führt, vor allem die Probleme des eigenen Milieus zu thematisieren.
Wortfindungsstörungen tauchen heute nicht erst im fortgeschrittenen Alter auf. Aufmerksamen Medienkonsumenten, zumal solchen, die auch auf nichtdeutsche Quellen zurückgreifen können, fällt bei bestimmten Themen ein vereinheitlichter Sprachgebrauch in deutschen Medien auf. Dafür bedarf es keiner Direktive eines Propagandaministeriums, die Schere ist im Kopf. Man schreibt beharrlich Klimawandel, weil eine Klimakatastrophe dem Leser nicht zumutbar ist, und der kundige Leser ahnt, dass hier wieder mal jenes »Framing« (Elisabeth Wehling sei Dank) wirkmächtig wurde, das die erwünschten Assoziationsketten vibrieren lässt. Für die Ermordung gegnerischer Führungskräfte oder sonstiger unliebsamer Personen verwendet man selbstverständlich den neutral klingenden Begriff »Tötung«, sofern diese von Freunden und Verbündeten begangen wurde. Im Fall Khashoggi konnte allerdings beim besten Willen nicht mehr von Tötung gesprochen werden, schon allein deshalb, weil dieser Auftragsmord mit einer geradezu mittelalterlichen Grausamkeit begangen wurde. Tote gibt es auch schon seit geraumer Zeit in Afghanistan. Und da wir ja schließlich alle Menschen sind, wird genau dieser Begriff verwendet, um den Medienkonsumenten nicht mit Differenzierungen wie ausländische Soldaten, Nichtregierungsorganisationen, Taliban, Bauern, Frauen oder Kinder zu überfordern. Bei »einem Treffen des US-Machthabers Donald Trump mit dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong Un in Singapur …« würde man sich schon verwundert die Augen reiben, denn das wäre ganz offensichtlich ein völlig falsches Framing, und der Autor stände ab sofort unter dem Verdacht des Antiamerikanismus.
Ach Amerika! Seit Donald Trump dort die Rolle des US-Präsidenten spielt, ist wegen ständig drohender Sanktionen devotes Verhalten und bedingungslose Solidarität auch bei Journalisten erstes Gebot. Die 2016 aktualisierten »Essentials« des Springer-Verlages (Axel Springer SE) scheinen inzwischen stillschweigend von vielen deutschen Redaktionen übernommen worden zu sein. In Punkt drei heißt es dort: »Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.« Das garantieren inzwischen zahlreiche Journalisten, die als Mitglied in diversen atlantischen Clubs die westlichen Werte des großen Bruders propagieren.
Beim Deutschlandfunk ragt neben anderen etwas schüchterneren Moderatoren das polyglotte Sprachgenie Christoph Heinemann hervor. Er versucht schon am frühen Morgen seinen halbwachen Hörern vorzuführen, wie man durch geschickte Fragen die Spreu vom Weizen trennen kann. Während er mit genehmen Interviewpartnern (meist Christdemokraten und Wirtschaftsleute) angeregt plaudert, gerät ein Gespräch mit Linken und anderen Unpersonen zum knallharten Verhör mit Suggestivfragen, die auch gern so lange wiederholt werden, bis der andere aufgibt oder die Nachrichten nahen. Der Mann wird es weit bringen.
Über den Niedergang des Spiegel, einst selbsternanntes »Sturmgeschütz der Demokratie«, wurde schon oft geklagt (s. auch Ossietzky 1/2020). Er begann 1993 noch zu Lebzeiten von Rudolf Augstein, als Hubert Burda das Konkurrenzblatt Focus lancierte. Ende der 90er Jahre hatte das Burda-Magazin mehr Leser als der Spiegel. Der sah sich mit einem bedrohlichen Anzeigenschwund konfrontiert und setzte daher auf eine marktfreundlichere neoliberale Linie. Heute zehrt er zwar noch von den vergangenen Mythen, singt aber längst mit im konformistischen Medienchor. Einige progressive Federn dürfen noch Meinungsvielfalt vortäuschen, dominierend ist aber der bekannte Mainstream sowie Panoramabeiträge, welche man früher der Regenbogenpresse zuordnete.
Nicht viel besser sieht es bei der Süddeutschen Zeitung aus. Dem renommierten »Leitmedium« ist seine kritische Haltung in weiten Teilen abhanden gekommen, vor allem im wirtschafts- und außenpolitischen Teil. Zumindest von Stefan Kornelius (Ressortchef Außenpolitik) weiß man, dass er Präsidiumsmitglied der Deutschen Atlantischen Gesellschaft war und bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) mitmacht.
Ein besonders trauriges Kapitel ist die Tageszeitung (taz), für deren Gründung ich 1978 sehr viel Zeit, Arbeit und Herzblut investiert habe. Das Projekt »linke Tageszeitung« hatte damals viele begeistert, etliche verschlissen. Das Ziehkind von Christian Ströbele war lange Zeit Deutschlands bekannteste Journalistenschule, später wurde die taz das inoffizielle Sprachrohr der Grünen, heute ist sie dem rechten Flügel dieser Partei zuzuordnen. Ähnlich wie beim Spiegel pflegt man das Strickmuster »zwei rechts, zwei links« und stellt Rubriken für Autoren zur Verfügung, die mit links nichts am Hut haben und den Mainstream der Atlantiker bedienen. Mit taz-Lesern ist es wie mit SPD-Wählern: Man hängt daran, weil man in jungen Jahren mal links war.
Publikationen, welche sich zumindest kritisch zur herrschenden Denkart verhalten, werden immer seltener. Erwähnt seien hier die Nürnberger Nachrichten, in denen noch eine durchaus kritische Berichterstattung zu finden ist.
Die meisten Medien sind jedoch dem Mainstream verpflichtet, was ihre Glaubwürdigkeit tendenziell herabsetzt. Umso mehr betont man dort – trotz ständiger Sparmaßnahmen vor allem bei der Recherche – die hohe Qualität der eigenen Publikationen. Gefahr droht schon seit langem aus dem Netz. Das kostenlose Konsumieren von Informationen in Echtzeit hatten die etablierten Medien freilich selbst mit großem finanziellem Aufwand initiiert. Nun versucht man, mit Bezahlschranken und Lockangeboten diese Pandorabüchse wieder zu schließen. Doch im Internet ist inzwischen eine kritische Konkurrenz entstanden, die alternative Informationsplattformen anbietet.
Der verzweifelte Abwehrkampf der etablierten Leitmedien gegen ihren Bedeutungsverlust lässt sich an der heftiger werdenden Polemik gegen die lobbyfreien Online-Publikationen ablesen. Bisheriger Höhepunkt war Mitte September ein anonymes Streiflicht auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung, welches sich in polemischer Weise über die Nachdenkseiten und deren Herausgeber Albrecht Müller lustig machte.