Vor vielen Jahren, als Fußballmeldungen nur selten von Schlägereien, Nazi-Rufen und Bestechungen berichteten, kannte man dort den Mittelstürmer. Eine herausragende Fußballposition, von der aus man Tore erzielen konnte. Mittelstürmer waren populär, beliebt und spielten im Wortsinne in der Fußballtaktik eine große Rolle. Mittelmäßig hingegen war eher ein Nörgelwort, während besorgte Väter ihren Söhnen als Rat mitgaben, sich beim »Barras«, ebenfalls ein Vergangenheitswort, immer hübsch in der Mitte zu halten. Nicht auffallen.
Wir sehen: Die Mitte schwankt. Mal hatte und hat sie einen positiven, mal einen negativen Ruf. Mal ist der Mittelbürger ein Klein-, mal ein Großbürger. Ein Bürger aber bleibt er, der mitten im Volke lebt.
Heutzutage nämlich ist die Mitte der Gesellschaft eine politische Vokabel. Die sich früher als rechts, konservativ und bürgerlich bezeichnende CDU hat jetzt die Mitte für sich gepachtet. Gemeinsam mit der FDP, die direkt nach dem Krieg Werte des Dritten Reiches zu bewahren gedachte – es war nicht alles schlecht beim Adolf –, will die CDU folglich das Zentrum der Parteienwelt sein. In Thüringen bekam dieses Zentrum, also CDU und FDP gemeinsam, bei der jüngsten Landtagswahl 26 Prozent der Wählerstimmen. Das ist zwar mehr als ein Viertel, aber eine ganze Menge weniger als die von der selbsternannten Gesellschaftsmitte als linksradikal bezeichnete LINKE errungen hatte. Denn eigentlich sind alle Bürger, nur die LINKEn sind Kommunisten.
Aber auch in anderen Bundesländern, im Bundestag sowieso, haben die den Mittelstand neuerdings gepachteten Zentralparteien kaum eine Chance auf eine Regierungsmehrheit.
Um vielleicht doch eine schnittige Mitte zu bekommen, hat die CDU inzwischen die SPD und die Grünen als Parteien der Volksmitte entdeckt. Alle vier Parteien zusammen springen dann – manchmal – flugs über die 50-Prozent-Marke. Dabei galt die SPD früher als »Arbeiterpartei«, von der sich CDU-Bürger abgrenzten. Mir war schon immer unklar, weshalb in der SPD und gar deren Führungsgruppe »Arbeiter« dominieren sollten und nicht ganz normale Bürger. In der DDR hatte man immerhin den Terminus »Parteiarbeiter« erfunden, damit war es jederzeit möglich, die SED zur Arbeiterpartei zu erklären.
Die Grünen galten bis zum Auftauchen der AfD aus der Menge alter, neuer und ganz nagelneuer deutscher Nazi-Kämpen als terroristische Verbotspartei mit kommunistischen Anwandlungen, die mit Turnschuhen die Demokratie unterwandern wollten. Inzwischen darf und muss man sie ebenfalls zur Mitte der Gesellschaft zählen, wenn man regieren will. »Schließt Euch an!« könnte die CDU einen alten Schlachtruf kopieren.
Hauptsache die LINKE, heutzutage auch keine Arbeiterpartei, bleibt draußen. Schließlich hat die einen perfiden Ostgeruch, ein unklares Verhältnis zur NATO (obwohl sie eigentlich ein klares haben müsste) und behauptet zudem, Russen seien europäische Menschen. Mit der AfD hingegen, die ja doch, wenn man etwas christliche Milde walten lässt, vielleicht bürgerlich-konservative Wurzeln hat, also kompatibel zur Union aller Bürger sein müsste, könnte man eine starke und breite und bürgerlich-konservative Mitte bilden. Wenn die AfD nur nicht immer öffentlich so mit den Flügeln wackeln würde! Denken kann man ja in deren Denkfabriken, denn die Gedanken sind frei auf allen Plattformen kommender Mächte. Aber muss man in den Parlamenten immer gleich Brandner-Reden halten?
Kurz: Die Mitte der Gesellschaft reicht von stramm rechts bis zur linken Mitte, wenn man das Wort »links« aus der linken Mitte streichen würde. Nehmen wir mal Berufsbezeichnungen, die in unserer Gesellschaft Zukunftschancen haben: Altenpfleger, Bankkauffrau, Betonbauer, Biologielaborantin, Fachinformatikerin, Fluglotse, Industriekaufmann, Maurer, Mechatronikerin, Polizeivollzugsbeamtin, Physiklaborant, Technische Systemplanerin, Verwaltungsfachangestellte … Alles Leute, die man zu Mitläufern, vielleicht auch Mittelläufern machen könnte. Und wenn sie dann von zackigen, männlichen Mittelstürmern angeführt würden – wir denken an Friedrich Merz, Olaf Scholz, Christian Lindner, Winfried Kretschmann und Tino Chrupalla – das ist ein Maler und Lackierer, passt also in die oben angeführten Berufsbezeichnungen mit Zukunftschancen genau zwischen Industriekaufmann und Maurer – wenn all diese unsere Mittelstürmer gemeinsam aufliefen, könnten wir eine neue Losung kreieren: Kraft durch Mitte! Die Mittel-Sturmabteilung schießt uns zum Sieg!