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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Meister aus Deutschland

Was irri­tiert? Der Unter­ti­tel der Aus­stel­lung: »Die jun­gen Jah­re der Alten Mei­ster« (bis 5.1.2020). Wohl­ge­merkt: Hier geht es um deut­sche Mei­ster, Maler. Der Kura­tor der spek­ta­ku­lä­ren Schau in den Ham­bur­ger Deich­tor­hal­len, Götz Adria­ni, ver­steht dar­un­ter heu­te nicht Albrecht Dürer, Hans Hol­bein oder Adam Els­hei­mer, die im 16. und 17. Jahr­hun­dert inter­na­tio­nal bekann­te deut­sche Künst­ler waren, weil sie im Aus­land arbei­te­ten und Maß­stä­be setz­ten. Danach gab es für Adria­ni kei­ne deut­schen Mei­ster mehr. Aber jetzt: das »Kunst­mi­ra­kel deut­scher Her­kunft«, die Vie­rer­grup­pe Base­litz – Rich­ter – Pol­ke – Kie­fer. Ihre oft über­gro­ßen Bil­der kom­men in den geräu­mi­gen Deich­tor­hal­len bes­ser zur Gel­tung als in der Staats­ga­le­rie Stutt­gart, wo die Aus­stel­lung vor­her gezeigt wur­de. Dazu wer­den hier in Ham­burg »nicht nur der Tag des Mau­er­falls« am 9. Novem­ber gefei­ert, son­dern auch drei­ßig Jah­re des Ver­an­stal­tungs­or­tes – mit frei­em Ein­tritt »für Besucher*innen, die im Grün­dungs­jahr der Deich­tor­hal­len 1989 gebo­ren sind«.

Im Begleit­buch (Götz Adria­ni: »Base­litz, Rich­ter, Pol­ke, Kie­fer. Die jun­gen Jah­re der Alten Mei­ster«, Sand­stein Ver­lag, 342 Sei­ten, 48 €) fragt sich der Kura­tor Adria­ni gleich auf Sei­te 13: »Wie konn­te die Kunst, anstel­le des von Paul Celan beschwo­re­nen Todes, zu einem ›Mei­ster aus Deutsch­land‹ wer­den?« Er fragt auch drei der Künst­ler (Sig­mar Pol­ke starb schon 2010), woher es kom­me, das »Inter­es­se an dem Güte­zei­chen ›Made in Ger­ma­ny‹«, das gepaart sei mit einer »enor­men Nach­fra­ge«, die »unver­min­dert anhält«. Aus dem Tod, der tri­um­phiert, ist die Kunst gewor­den, die Deutsch­land wie­der rein­wäscht, aus dem »Schat­ten­da­sein« aufs »inter­na­tio­na­le Par­kett« holt. Bis an die »Spit­ze des glo­ba­len Ran­kings« sei­en nun die »Künst­ler-Kory­phä­en« auf­ge­stie­gen. Sie, die ihre Kind­heit und Jugend in Kriegs- und Nach­kriegs­zeit erlebten.

Drei von ihnen in der DDR, aus­ge­lie­fert der »dritt­klas­si­gen Ideo­lo­gie einer kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­tur«. Ihnen blieb nur die Flucht in das Wun­der­land BRD. Als sie dann »gemein­sam in den Start­lö­chern stan­den und die Fun­da­men­te für jenes Kunst­wun­der leg­ten«, das dem bekann­ten »Fräu­lein­wun­der der Besat­zungs­sol­da­ten, dem Fuß­ball­wun­der von Bern und dem Wirt­schafts­wun­der« fol­gen soll­te, hat­ten sie schon halb gewon­nen. Die jun­gen Jah­re, das ist die Anfangs­zeit im Westen, sind die 1960er Jah­re. Den vor­herr­schen­den Stil, die Abstrak­ti­on, lehn­ten sie ab. Sie woll­ten neue Wege fin­den. Da kam ihnen, zumin­dest Pol­ke und Rich­ter, die Pop-Art der USA gera­de recht: ein­fa­che Prak­ti­ken, aus­tausch­bar. Jeder Indi­vi­dua­lis­mus soll­te ver­schwin­den, das Tri­via­le die Lein­wand beherr­schen. Das im Westen Vor­herr­schen­de: die all­ge­gen­wär­ti­ge Werbung.

Sig­mar Pol­ke (1941 gebo­ren) wid­me­te sich der Auf­ga­be in iro­nisch-wit­zi­ger Form. Würst­chen als Sujet oder Fla­min­gos als Raum­schmuck. Viel Wunsch­bil­der: Pal­men am Meer. Als Bild­grund dien­ten oft Muster­ta­pe­ten. Wohl­fei­ler Exo­tis­mus fürs Ver­ti­ko, in der Nach­kriegs­zeit modern. Pol­ke lieb­te die Punk­te sei­ner Raster­bil­der. Das unspek­ta­ku­lä­re, aber bekann­te­ste Bild Pol­kes: »Höhe­re Wesen befah­len: rech­te obe­re Ecke schwarz malen!« von 1969. An Kasi­mir Male­witschs »Schwar­zes Qua­drat« von 1915 – viel­leicht auch an Hit­lers typi­sche Haar­tol­le, rechts oben – woll­te er damit erinnern.

Ger­hard Rich­ter (gebo­ren 1932) ging einen ande­ren Weg. Fotos aus Illu­strier­ten oder aus pri­va­ten Alben, die er im Gemäl­de neu ent­ste­hen ließ und – wie aus der Erin­ne­rung – ver­wisch­te. Kampf­flug­zeu­ge der Alli­ier­ten, die Schwein­furt bom­bar­dier­ten. Schö­ne Luft­bil­der (aus der Quick von 1963).Was die Bom­ben anrich­te­ten, sieht man nicht. Und auch sonst kei­ne Hin­ter­grün­de. Die Maler ver­ste­hen sich als »unpo­li­tisch«. Ger­hard Rich­ter mal­te Fami­li­en­bil­der: »Onkel Rudi« (1965) in Wehr­machts­uni­form, ver­wischt. Und sei­ne »Tan­te Mari­an­ne« (1965). Sie – so heißt es – war an Schi­zo­phre­nie erkrankt und fiel der Eutha­na­sie der Nazis »zum Opfer«. Dann das Bild, ganz harm­los »Fami­lie am Meer« (1964) genannt, dar­auf der Schwie­ger­va­ter Rich­ters, ein SS-Arzt, der Zwangs­ste­ri­li­sie­run­gen ver­an­lass­te und am Eutha­na­sie-Pro­gramm teil­nahm, im ver­trau­ten Kreis. Die drei Bil­der sind nicht in der Aus­stel­lung zu sehen, obwohl sie in den jun­gen Jah­ren entstanden.

Wie kam es zum Erfolg? Die Tätig­keit von Samm­lern spiel­te eine ent­schei­den­de Rol­le, anfangs die der deut­schen Indu­stri­el­len Karl Strö­her aus Darm­stadt und Peter Lud­wig aus Aachen. Sie waren »in über 50 Jah­ren die uner­läss­li­chen Mit­in­itia­to­ren eines von West­deutsch­land aus­ge­hen­den Kunst­booms«. Bald begann der »Sie­ges­zug« der jun­gen »Alten Mei­ster« durch die wich­tig­sten US-ame­ri­ka­ni­schen Muse­en, die »Mei­len­stei­ne auf dem Weg zur inter­na­tio­na­len Repu­ta­ti­on bedeu­te­ten«. Anselm Kie­fer mach­te den Anfang. USA-wei­te Tour­neen brach­ten den Durch­bruch für die vier Künst­ler. Sie lit­ten – als Nach­ge­bo­re­ne – unter der Ver­gan­gen­heit. Auch unter dem Schwei­gen, das sie umgab? Ein Bild von Rich­ter, das nichts zeigt als »Zwei Grau neben­ein­an­der« (1966). Er hält es für eine wich­ti­ge Far­be, »die idea­le Far­be für Mei­nungs­lo­sig­keit, Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rung, Schwei­gen, Hoffnungslosigkeit«.

Georg Base­litz, 1938 in Deutsch­base­litz in Sach­sen gebo­ren als Hans-Georg Kern. Sein Vater, ein Leh­rer, war NSDAP-Mit­glied, in der DDR im Gefäng­nis, spä­ter Berufs­ver­bot – das war gesamt­deutsch, nur: aus unter­schied­li­chen Grün­den. Base­litz, der erst nach Ost-, dann nach West­ber­lin geht, malt schrei­en­de Häss­lich­keit, Ver­stüm­mel­te, Auf­ge­dun­se­ne, alles, was abstößt. Alles das, was den Bür­ger auf­regt: Penis­se. Er will pro­vo­zie­ren. Und so wer­den auch zwei Gemäl­de 1963 aus einer Ber­li­ner Gale­rie beschlag­nahmt wegen ihres »por­no­gra­fi­schen« und »obszö­nen Cha­rak­ters«. Hier hat der Kura­tor recht, wenn er fest­stellt, dass »phal­li­sche Mon­stro­si­tä­ten weit geeig­ne­ter« schie­nen, »die Medi­en und die Gerich­te auf den Plan zu rufen, als jene omi­nö­sen Abkömm­lin­ge der Nazi­dik­ta­tur«. Die Nazis waren »wie­der gefragt« und konn­ten »nach ihrer Pro­for­ma-Ent­na­zi­fi­zie­rung meist unge­scho­ren in ihre Ämter zurück­keh­ren«. Das eine kon­fis­zier­te Gemäl­de »Gro­ße Nacht im Eimer« (1962/​63) – in Ham­burg. Auch die Umkehr-Moti­ve: »Der Wald auf dem Kopf« (1969), das erste Bild die­ser Rei­he. Natur. Aber was denkt sich Base­litz, wenn er in Rudi Dutsch­ke die »Reinkar­na­ti­on von Goeb­bels« sah – der kam doch auch aus der DDR, aber er hat­te »völ­lig gegen­tei­li­ge Erleb­nis­se unter der sozia­li­sti­schen Dik­ta­tur«. Von Adria­ni befragt über den CIA, der 1958 eine Dop­pel-Aus­stel­lung in Ber­lin finan­zier­te – »Ame­ri­can Pain­ting und Jack­son Pol­lock« – als Wer­be­maß­nah­me im Kampf gegen das kom­mu­ni­sti­sche Lager, erkennt Base­litz: »Der CIA ist eine staat­lich tief mora­li­sche Insti­tu­ti­on in den USA. Wenn der Staat stimmt, stimmt natür­lich auch der Geheimdienst.«

In Anselm Kie­fer, der 1945 gebo­ren wur­de, sieht Base­litz einen »jun­gen Künst­ler« – sie­ben Jah­re Alters­un­ter­schied –, den wür­de er nicht zur »Alt­mei­ster­ge­ne­ra­ti­on« rech­nen. Auch Kie­fers Vater war Leh­rer. Kie­fer, der als Erster in den USA Erfolg hat­te, wird in Deutsch­land von vie­len abge­lehnt. Aus Miss­ver­ständ­nis oder doch, weil deut­sche Kunst­kri­ti­ker befan­gen sind, wenn es um das The­ma Faschis­mus geht? Er sagt, für ihn sei Geschich­te immer auch sei­ne Wirk­lich­keit. Sei­ne Akti­on der »Beset­zun­gen« – er steht an Orten, die damals von den Deut­schen besetzt wur­den, in der Wehr­machts­uni­form des Vaters. Und: Er hebt den Arm zum Hit­ler­gruß. Es sei ihm nicht um »Pro­vo­ka­ti­on« gegan­gen, son­dern um »Selbst­er­fah­rung«, sagt er. Er woll­te am eige­nen Leib erfah­ren, was das war und wie ich mich ver­hal­ten hät­te. »Die­ses Pro­jekt reich­te er als Examens­ar­beit an der Hoch­schu­le ein. Ent­set­zen. Nur sein Leh­rer Peter Dre­her und der Maler Rai­ner Küchen­mei­ster ver­ste­hen und unter­stüt­zen ihn. Küchen­mei­ster war im KZ, sein Vater Mit­glied der Roten Kapel­le. Er wur­de ermor­det. Aus­ge­rech­net Kie­fers Arbei­ten wer­den als Sym­pa­thie für faschi­sti­sches Gedan­ken­gut gese­hen und boy­kot­tiert. Kie­fers »Heroi­sche Sinn­bil­der« zei­gen ihn im grü­nen Sol­da­ten­man­tel vor Denk­mä­lern und Land­schaf­ten, die er der Nazi-Zeit­schrift Die Kunst im Drit­ten Reich ent­nahm. Sei­ne »Künst­ler­bü­cher« bil­den oft die Grund­la­ge für die gro­ßen Gemäl­de, die sich inten­siv mit den deut­schen Mythen, mit der Ver­klä­rung des Ger­ma­nen­tums, dem schwär­me­ri­schen Patrio­tis­mus aus­ein­an­der­set­zen. »Die Her­manns-Schlacht« (1977), ein Stoff, des­sen sich deut­sche Dich­ter wie Kleist, Klop­stock und Grab­be annah­men. Armi­ni­us, Her­mann, der Etrus­ker, der Held der Deut­schen – Kie­fer setzt ihn in Bezie­hung zu Lite­ra­ten, Phi­lo­so­phen, Musi­kern, Mili­tärs und Waf­fen­pro­du­zen­ten wie Krupp. Auch Eich­mann ist auf dem Bild »Wege« (1977/​80). Kie­fer arbei­tet nicht nur mit Far­be, auch Mate­ria­li­en wie Holz, Stroh, Koh­le und Blei geben den Gemäl­den etwas Leben­di­ges. Wie aber ist es zu ver­ste­hen, wenn der Kura­tor zu Kie­fer abschlie­ßend fest­stellt: »Unbe­strit­ten hast Du mit die Vor­aus­set­zun­gen dafür geschaf­fen, dass die Kunst und nicht mehr der von Paul Celan beschwo­re­ne Tod zu einem ›Mei­ster aus Deutsch­land‹ wer­den konnte.«

Am 20. Novem­ber fin­det in der Aus­stel­lung eine Son­der­ver­an­stal­tung in Koope­ra­ti­on mit der Uni­ver­si­tät Ham­burg statt: »Wie poli­tisch waren die Alten Meister?«