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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Mär vom bestohlenen Sieger

Bekannt­lich steckt, wer andern Men­schen Schlech­tes traut, oft selbst in einer schlech­ten Haut. Seit Donald Trump erfah­ren hat­te, dass Demo­kra­ten bei Wah­len ihre Stim­me häu­fi­ger per Brief abge­ben als Repu­bli­ka­ner, ließ der Prä­si­dent kei­ne Gele­gen­heit unge­nutzt, die soge­nann­ten Brief­wahl­stim­men in Ver­ruf zu bringen.

Bei einem Auf­tritt in New­ton im US-Bun­des­staat Penn­syl­va­nia weni­ge Tage vor der Wahl zeich­ne­te Trump ein düste­res Sze­na­rio. Mög­li­cher­wei­se wür­den sei­ne Anhän­ger meh­re­re Wochen auf ein Ergeb­nis war­ten müs­sen. Dann, kaum dass die ersten Resul­ta­te vor­la­gen, behaup­te­te er aller­dings: »Wir lie­gen klar in Füh­rung, aber sie ver­su­chen, die Wah­len zu steh­len.« Er wer­de die Aus­zäh­lung der Stim­men durch den Supre­me Court stop­pen las­sen. Das sei, so die Süd­deut­sche Zei­tung, inso­fern eine unge­heu­er­li­che For­de­rung gewe­sen, als zu dem Zeit­punkt Mil­lio­nen Stim­men noch nicht ein­mal erfasst waren, so als wür­de eine Fuß­ball­mann­schaft for­dern, das Spiel in der 70. Minu­te abzu­pfei­fen, weil sie gera­de 2 : 1 in Füh­rung gegan­gen sei.

Die Rich­ter des Ober­sten Gerichts­ho­fes wuss­ten nach Ansicht des ame­ri­ka­ni­schen Histo­ri­kers Timo­thy Sny­der, dass sie für eine auto­ri­tä­re Über­nah­me durch Trump benutzt wer­den sol­len. Auch die kurz vor der Wahl auf Betrei­ben von Trump benann­te kon­ser­va­ti­ve Rich­te­rin Amy Coney Bar­rett habe gewusst, dass sie »für einen Coup d’Etat«, also für einen Staats­streich, nomi­niert wor­den sei. Unge­ach­tet des schockie­ren­den Ver­hal­tens der Leit­fi­gur des frei­en Westens hat­te in Deutsch­land kein ein­zi­ger Regie­rungs­ver­tre­ter den Mut, die Miss­ach­tung demo­kra­ti­scher Grund­re­geln durch den Ber­ser­ker im Wei­ßen Haus zu kri­ti­sie­ren. Das getrau­en sie sich nur gegen­über dem weiß­rus­si­schen Prä­si­den­ten Lukaschenko.

Immer­hin geriet der stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de der Uni­ons­frak­ti­on im Bun­des­tag, Johann Wade­puhl, ins Grü­beln dar­über, dass der kon­fron­ta­ti­ve Poli­tik­stil von Trump nicht einen Wäh­ler wirk­lich abge­schreckt habe. Dar­in lie­ge eine »alar­mie­ren­de Bot­schaft«. In die­ser Ver­fas­sung könn­ten die USA einer Füh­rungs­auf­ga­be im Westen nicht nach­kom­men. Wird sich dar­an unter Joe Biden etwas ändern? Von heu­te auf mor­gen wohl kaum. Dass einer wie er über­haupt reüs­sie­ren konn­te, grenzt an ein Wun­der. Die sozi­al Abge­häng­ten haben von ihm nichts zu erwar­ten. An die Ursa­chen der zuneh­men­den Kluft zwi­schen Arm und Reich wird er sich eben­so wenig her­an­wa­gen wie sei­ne Vor­gän­ger, die wie er alle­samt Fleisch vom Flei­sche der herr­schen­den Klas­se waren.

Dass Trump Ruhe geben wird, ist kaum zu erwar­ten. Es sei denn, es mehr­ten sich bei den Repu­bli­ka­nern die Stim­men, die auf einen Mann oder eine Frau hoff­ten, denen nicht nach­ge­sagt wer­de, sie könn­ten kei­ne Minu­te reden, ohne zu lügen, die weder Wer­te noch Idea­le hät­ten, die nie ein Buch läsen und mit Musik nichts anzu­fan­gen wüss­ten. Bemer­kens­wer­ter Wei­se hat sich bis auf sei­ne eige­ne Fami­lie nie­mand aus der Füh­rungs­rie­ge der Repu­bli­ka­ner an Trumps Sei­te gestellt, als er auf eben­so unglaub­li­che wie lächer­li­che Wei­se ver­such­te, das Mär­chen vom betro­ge­nen Sie­ger in die Welt zu setzen.

Zu glau­ben, Deutsch­land müs­se das Vaku­um fül­len, das durch den Anse­hens­ver­lust der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka unter Füh­rung von Donald Trump ent­stan­den ist, wäre fatal. Das wür­de die Axt an die Wur­zeln der Euro­päi­schen Uni­on legen.