Wer derzeit die Perspektiven der Linken in Deutschland diskutiert, erlebt Enttäuschung, Wut und Resignation. Oft richten die sich gegen Sahra Wagenknecht, die als Spalterin und Egomanin wahrgenommen wird, im Zweifelsfall auch als »rechtsoffen«, wie es im medialen Slang heißt. Im Gegenzug wird der Partei »Die Linke« (PdL) vorgeworfen, die falschen Leute zu organisieren und sich nach Regierungsbeteiligung zu sehnen. Und schon ist es passiert: Die Sache der Linken wird mit ihrer medialen Inszenierung verwechselt. Und das hat Folgen: Linke Diskussionen kreisen nicht um Armut und Klassenlage, Arbeitsmarkt und Arbeitskämpfe, nicht einmal jetzt, zurzeit großer Streiks, sondern um Frustrationen und Fraktionsauflösung.
Die Partei »Die Linke« versprach, durch die Vereinigung von SPD-Linken und PDS linke Ambitionen zu bündeln und weiterzuentwickeln. Zahlreiche Projekte und Ideen fanden dort ihren Platz, die Mitgliederzahlen wuchsen. Das machte Hoffnung und schien Perspektiven zu bieten, nur wenige Stimmen wiesen auf weiter bestehende Defizite hin (z. B. Ossietzky). Der Wahlerfolg 2009 im Gefolge der Krise von 2008 schien eine erfolgreiche Zukunft zu versprechen, aber die Wahlen 2013 waren schon der Zenit: »Rot-Rot-Grün« wäre möglich gewesen, war aber in der Regie der Eliten nicht vorgesehen. Das wurde beschwiegen, und schon ging vielen in der PdL die Zukunft verloren, ohne dass sie es merkten.
Sahra Wagenknecht stellte immer wieder die soziale Frage, dafür wurde und wird sie als (un-)heimliche Nationalistin attackiert. Ihr Bündnis »Aufstehen«, hatte jede Menge Zulauf. Ihr BSW, die neue Partei mit dem unsäglichen Namen, könnte man als saarländische Version französischer Politikgestaltung sehen. Wichtiger ist, es als eine Art »antimonopolistisches Bündnis« mit typisch sozialdemokratischen Ideen zu verstehen. Darin sind die Linken nur ein Teil des Ganzen.
Gemeinsam ist beiden linkspolitischen Ansätzen, dass sie vom offiziellen Politikbetrieb leben und sich den Regeln der »Konzernmedien« (Arno Klönne) unterwerfen müssen. Das bedingt einen Autonomieverlust, den viele links interessierte und organisierte Menschen gar nicht mehr wahrnehmen. Themen, Argumente, Umfragen, deren Zuschnitt, Platzierung und Vermarktung werden nicht von denen bestimmt, denen daran liegt, sondern von den medialen und politischen Eliten. Demgegenüber ist es wichtig, sich mit Hilfe eines Blicks in die Geschichte linker Parteien, der Gewerkschafts- und Arbeiter/innen-Bewegungen klar zu werden, worum es geht und was anders sein könnte.
Politische Bewegungen in der Klasse der Arbeiterinnen und Arbeiter entstanden dort, wo der Druck der sozialen Verhältnisse auf Strukturen der Selbsthilfe und Selbstbehauptung, aber auch auf Unterstützungsangebote traditioneller Organisationen (Kirchen, Parteien, Vereine) traf, sodass es den Betroffenen weniger riskant, vielleicht sogar lohnenswert erschien, aktiv zu werden und aufzubegehren. Daraus entstanden Erfahrungsräume der Resistenz, die sich nach und nach betrieblich und lokal, verbandlich und gewerkschaftlich, publizistisch und politisch organisierten.
Die Linke war nicht von vornherein die Interessenvertreterin der arbeitenden Klasse, sie wurde es erst nach und nach, in vielen Konflikten und Kämpfen. Das ist heute anders: Umstrukturierte Klassenlagen, Migration und veränderte politische Rahmenbedingungen haben die traditionellen Bindungen seit Langem gelockert oder gelöst. Die heutigen linkspolitischen Ansätze sind zwar noch im Besitz der Parolen und Zeichen der alten Arbeiterparteien, aber sie verstehen nicht, vor welchen Aufgaben sie stehen. Daher verlegen sich beide eher auf ritualisierte Werbung mit traditionellen Parolen für die, die ansprechbar scheinen, ob links-grüne Milieus an Unis und Schulen oder antimonopolistische Milieus im Bürgertum. Aber diese Orientierungen zielen nicht auf die Klasse, die es von links her zu organisieren gilt.
In Zeiten der »Zeitenwende«, in der die politischen Rahmenbedingungen neu definiert werden, wäre es wichtig, sich auf die eigentlichen Aufgaben zu besinnen. Die liegen in den alltäglichen Problemen der arbeitenden Menschen, die mit Niedriglöhnen in prekären und armutsgefährdeten Lebenslagen zurechtkommen müssen, deren Kinder in den Schulen unter Druck gesetzt werden und deren Gesundheit durch das Gesundheitssystem gefährdet wird. Diese Menschen müssen angesprochen, umworben, begeistert, organisiert werden, um links neue politische Kraft zu entwickeln.
Solchen Leuten begegnet man aber nur selten in den »linksradikalen, urbanen und queer-feministischen Bubbles«, von denen ein Aufruf zum Eintritt in die PdL spricht. Mit diesem Aufruf wird dafür geworben, in »die Linke« einzutreten und dafür zu kämpfen, dass sie über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Damit verbinden sich (wieder) Hoffnungen, die unweigerlich enttäuscht werden: »Was, wenn die Linke beim gemeinschaftlichen Versuch, ihr über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen, quasi aus Versehen zu einer ernst zu nehmenden, sozialistischen Massenpartei mit realem Nutzwert für die Menschen mutieren würde?«
Demgegenüber ist festzuhalten: Eine sozialistische Massenpartei wird nur mit der Organisierung der Klasse in den aktuellen Kämpfen entstehen. Leider fällt dem Aufruf dazu kaum etwas ein: Unter der Überschrift Für eine Partei der Arbeiter:innen werden Quoten und Facharbeiterlöhne für die Bundestagsmandate gefordert. Dabei müsste es Linken darum gehen, sich nicht länger mit sich selbst zu beschäftigen, sondern den Blick auf die Arbeiterinnen und Arbeiter zu richten, die abgehängt sind, die Armutsjobs verrichten und mit den vielfältigsten Diskriminierungen und Schikanen leben müssen. Das hieße, Schluss zu machen mit der linken Nabelschau und endlich Unterstützung zu organisieren, z. B. für den derzeitigen, harten Tarifkampf der Verkäuferinnen im nächsten Supermarkt.