Das war und ist Louise Aston (1814-1871). In der Ausstellung »Aus dem Rahmen gefallen. Starke Frauen im Jerichower Land« konnte man ihr jüngst begegnen. Das Ausstellungsprojekt des Fördervereins Genthiner Stadtgeschichte war von Anfang Februar bis Anfang April dieses Jahres im Magdeburger Literaturhaus zu erleben. Da sah man Brigitte Reimann, die »Leidenschaftliche«; Elisabeth von Ardenne, die »Untreue« (sie war das Vorbild für Fontanes Effi Briest); daneben eine »Scheintote«, eine »Wohltätige«, eine »Kommunistin«.
Louise Aston war hier die »Emanze«. Gegen diesen Titel hätte sie wohl nichts einzuwenden gehabt. Oder wäre ihr »Schriftstellerin« doch lieber gewesen? Oder gar »Freischärlerin«? Würde sie verstehen, dass diesem Begriff heute etwas leicht Verdächtiges anhaftet?
Glücklicherweise erscheint sie in der Ausstellung zwar als extravagante, provokante, weil emanzipierte Frau, als Hosen tragender und öffentlich Zigarren rauchender Bürgerschreck in Berlin und zuvor schon in Burg, wo ihr englischer, deutlich älterer Mann – von dem sie sich später, auch das ein Skandal, scheiden ließ – eine Fabrik für Dampfmaschinenbau betrieb, aber auch als Romanautorin und Lyrikerin.
Nun ist Louise Astons Vita in der Tat ein Roman, und sie reflektierte ihr Leben in der Literatur. Sehr deutlich in der Gedichtsammlung »Freischärler-Reminiscenzen« 1849 (sie wurde vordatiert auf 1850), ihrer letzten Veröffentlichung zu Lebzeiten.
Den Geschmack der bürgerlichen Frauenbewegung jener Jahre – die man heute dem Biedermeier zurechnet – traf sie damit nicht. Die Frauenrechtlerin Louise Otto (1819-1895) warf in einer »Bücherschau« der Autorin vor, sie erwecke den Eindruck des »Gemachten«, wo »Gefühlsinnigkeit« am Platze wäre, einige von ihr gebrauchte Wörter berührten »unangenehm«. Am meisten erregt sich die Rezensentin über eine Zeile im Gedicht »Den Frauen«, wo Louise Aston schreibt: »Der Freie sündigt, weil er sünd’gen muß!« Das sei nicht »unmoralisch«, wie die Schreiberein vielleicht gehofft habe, sondern »unphilosophisch und unsinnig«, wobei sie Luther und Feuerbach als Kronzeugen aufruft. Louise Aston sei mitnichten eine »Freie«, sondern gehöre zu den »Unfreien«.
Die Argumentation Louise Ottos, dass der Freie nicht sündigen muss, weil Sünde eben Unfreiheit ist, dass das Verlassen dieses Standpunktes aber Freiheit und Recht sei, ist einleuchtend. Leider überträgt Louise Otto ihren negativen Befund auf alle Texte der Sammlung und erhebt sich zur Putzbeauftragten der Demokraten, von denen sie alle »unreinen Elemente« fernhalten möchte. Das meint man zu kennen: Ein Gedanke, eine Äußerung, die dem Mainstream des gerade zu denken Möglichen widerspricht, ein vergessenes Gendersternchen, ein Wort, das »man« im aktuellen Diskurs nicht oder nicht mehr gebrauchen sollte – und schon wird die demokratische Grundhaltung abgesprochen.
Dabei haben die »Freischärler-Reminiscenzen« einiges von dem zu bieten, was Luther auszeichnet und was der Demokratie immer gut bekommt: die Furchtlosigkeit, ja, die Courage des Wortes. Kaum zu glauben, dass Louise Otto das entgangen ist, aber Louise Aston hatte »gesündigt«. Denn sie hatte das »unpoetische« Wort »Pferchsystem«, welches man den Nationen schmiede, gebraucht. Dabei war und ist es doch ungemein treffend.
Natürlich ist aus dem Zusammenhang Genommenes immer ein wenig problematisch, aber würde es uns nicht auch guttun, einmal zu rufen oder auf das Transparent zu schreiben:
»So lange Macht das Losungswort
In dem politischen Capitel,
So lange nicht die Hand verdorrt,
Die frech auslangt nach Kron’ und Titel.«
Oder:
»Drum denn hinaus in’s Freie! in’s Weite!
Nichts nenn’ ich mein, drum gehört mir das All;
Jubelnd begrüßen mich, die Befreite,
Wandernde Stürme mit Donnerschall.«
Doch der Ton der Gedichte bleibt in der Sammlung nicht so aggressiv und kämpferisch. Elegisches mischt sich darunter, da wird das matte Herunterbrennen der jungen Freiheitskerzen bereits im Oktober 1848 beklagt, der Rausch der März-Freiheit ist schnell verflogen:
»Denn wer um Freiheit muthig rang,
Noch kann er sich zum Fest nicht laden;
Ein Kämpfer steht er, ernst und bang
An den Gedanken-Barrikaden.«
Am Ende der Sammlung schwindet die politische Schärfe, dafür setzt Louise Aston eine »wilde Rose« in Szene und einen zu ihr kletternden wagemutigen Waidmann, den dann »des Abgrunds finstere Tiefe empfängt (…) mit kaltem Kuß«.
Doch gewiss darf auch eine Freischärlerin von Liebe träumen.
Seltsam ist das »Lied einer schlesischen Weberin«, worin das Schicksal einer vom Fabrikanten verführten Frau geschildert wird, deren Vater gestorben ist, den Liebsten hat der Förster als Wilderer totgeschossen. Es ist der Autorin bitterernst mit dem, was und wie sie schreibt. Vor einigen Jahren präsentierte ich das Gedicht Abiturienten, im Zusammenhang mit Gerhart Hauptmanns Weber-Stück und Heinrich Heines berühmtem Weber-Gedicht. Die jungen Leute konnten nicht ernst bleiben, als sie lasen:
»Wohl weiß ich, wie die Deinen
In Noth und Kummer sind;
Drum willst Du bei mir ruhen
Der Nächte drei und vier;
Sieh’ dieses blanke Goldstück!
Sogleich gehört es dir!«
Sie wurden ernst, als wir eine kurzgefasste Biografie Louise Astons betrachteten, als sie sahen, dass man einst wegen »unsittlicher Lebensweise« oder der Verneinung von organisierter Religiosität polizeilich überwacht und sogar aus dem Wohnort ausgewiesen werden konnte. Zum Glück geriet unser Gespräch darüber nicht auf das Gleis: Das war eben damals so. Sondern wir konnten uns darauf verständigen, dass jede Zeit ihre Louise Aston braucht.