1888 berichtete ein an der Universität Prag tätiger Botaniker über das ungewöhnliche Verhalten der Schmelze einer von ihm im Laboratorium hergestellten Substanz. Das war gewissermaßen die Geburtsstunde der sogenannten Flüssigkristalle. Fortan bildeten diese eigenartigen Schmelzen einen interessanten, wenn auch etwas randständigen akademischen Forschungsgegenstand, und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waren nutzbringende Anwendungen nicht absehbar. Auch deshalb fanden die damit befassten Wissenschaftler wenig Unterstützung und Anerkennung, was sie aber glücklicherweise nicht in ihrem Eifer bremste. Erst ab 1970 gelangen dann entscheidende Durchbrüche zur Herstellung von Flüssigkristall-Bildschirmen. Und heutzutage wird mit solchen Fernsehgeräten weltweit ein Umsatz von 100 Milliarden Euro erzielt.
Wer ein E-Auto fährt, wird vielleicht überrascht sein, dass die Batterie in seinem Gefährt das Resultat einer fast 200-jährigen Forschungs- und Entwicklungsgeschichte ist. 1833 berichtete der Engländer Michael Faraday über den Stromtransport in festen Stoffen. Zwischen diesen frühen Beobachtungen bis zu den »Superionics« und den jetzt hochaktuellen Feststoffbatterien lieferte eine von vielen Generationen verfolgte Grundlagenforschung die entscheidenden Voraussetzungen für revolutionäre Anwendungen.
Es konnte nachgewiesen werden, dass Antibiotika als Bestandteile verschimmelter Nahrungsreste schon vor 2500 Jahren zur Behandlung von Krankheiten verwendet wurden. Genauere Beobachtungen von Louis Pasteur (1877) und die Identifizierung des Penicillins durch Alexander Fleming (1929) sind die entscheidenden Wegmarken der neueren Antibiotika-Entwicklungsgeschichte. Allerdings haben pathogene Bakterien inzwischen schnelle Abwehrmechanismen entwickelt, die dem Penicillin und leider auch den meisten der neuen synthetischen Antibiotika die Wirksamkeit nehmen. Die Suche nach neuen, adaptiven Medikamenten mit längerer Wirkungsdauer ist deshalb eine enorme Herausforderung.
Für derartige Geschichten, bei denen geduldige und langwierige Grundlagenforschung zu bedeutenden und spektakulären Fortschritten führte, gibt es eine Fülle weiterer, Beispiele. Praktisch alle diese Entwicklungen waren sich aber in wenigstens einer Hinsicht sehr ähnlich: Man begegnete ihnen am Anfang meist mit verschwindender Aufmerksamkeit, wenn nicht gar mit Argwohn und Ablehnung. Berühmte Lehrstücke dafür sind die ideologischen Barrieren, die mit obrigkeitlicher Unterstützung gegen die Entwicklung der Quantenphysik in Nazideutschland oder gegen die Genetik in der Sowjetunion errichtet wurden.
Grundlagenforschung, wie sie kürzlich der Harvard-Chemiker George M. Whitesides charakterisierte, ist neugiergetriebene Forschung zur Schaffung von Wissen, das erst am Ende idealerweise zu Problemlösungen führen kann. Damit lässt sich freilich kein schnelles Geld verdienen und manchmal erst post mortal Ruhm ernten. Folglich waren die Forscher, wenn sie nicht schon auf halbem Wege resignierten, stets auf die besondere Güte von öffentlichen Schatullenverwaltern und privaten Wohltätern angewiesen. Dazu bedurfte es immer starker Persönlichkeiten und hoher Überzeugungskunst.
Wie steht es heutzutage mit der Grundlagenforschung in den deutschen Hochschulen? Darauf haben kürzlich die Präsidenten der Universität Mainz und der Freien Universität Berlin eine klare Antwort gegeben, gerichtet vor allem an die neue Bundesregierung: Es fehle, verglichen mit den enormen Ausgabensteigerungen in China und in den USA, »weiterhin an einem vergleichbaren Einsatz für universitäre Forschung in Deutschland«. Und sie weisen darauf hin, dass Grundlagenforschung immer stärker in den Fokus geostrategischer Rivalitäten rückt.
In Deutschland wird, wie auch in anderen führenden Ländern, Grundlagenforschung überwiegend an den Hochschulen betrieben. Es ist daher aufschlussreich, die für die Allgemeine Forschungsförderung aufgebrachten Mittel (ca. 1,6 Milliarden Euro für 2020) den Förder- oder Subventionsansätzen für andere Bereiche gegenüberzustellen. Der Luftverkehr wurde im Jahr 2016 mit 11,8 Milliarden Euro subventioniert (Befreiung des Kerosins von der Energiesteuer und der internationalen Flüge von der Mehrwertsteuer). Und die Pendlerpauschale sowie das Diesel- und Dienstwagenprivileg schlagen jährlich mit ca. 30 Milliarden Euro zu Buche. Noch Fragen?
Der Grundlagenforschung geht es so wie der Klimapolitik: Die Unterlassungen von heute werden die Lasten der nächsten Generation sein.