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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die langen Märsche

1888 berich­te­te ein an der Uni­ver­si­tät Prag täti­ger Bota­ni­ker über das unge­wöhn­li­che Ver­hal­ten der Schmel­ze einer von ihm im Labo­ra­to­ri­um her­ge­stell­ten Sub­stanz. Das war gewis­ser­ma­ßen die Geburts­stun­de der soge­nann­ten Flüs­sig­kri­stal­le. Fort­an bil­de­ten die­se eigen­ar­ti­gen Schmel­zen einen inter­es­san­ten, wenn auch etwas rand­stän­di­gen aka­de­mi­schen For­schungs­ge­gen­stand, und bis in die Mit­te des 20. Jahr­hun­derts waren nutz­brin­gen­de Anwen­dun­gen nicht abseh­bar. Auch des­halb fan­den die damit befass­ten Wis­sen­schaft­ler wenig Unter­stüt­zung und Aner­ken­nung, was sie aber glück­li­cher­wei­se nicht in ihrem Eifer brem­ste. Erst ab 1970 gelan­gen dann ent­schei­den­de Durch­brü­che zur Her­stel­lung von Flüs­sig­kri­stall-Bild­schir­men. Und heut­zu­ta­ge wird mit sol­chen Fern­seh­ge­rä­ten welt­weit ein Umsatz von 100 Mil­li­ar­den Euro erzielt.

Wer ein E-Auto fährt, wird viel­leicht über­rascht sein, dass die Bat­te­rie in sei­nem Gefährt das Resul­tat einer fast 200-jäh­ri­gen For­schungs- und Ent­wick­lungs­ge­schich­te ist. 1833 berich­te­te der Eng­län­der Micha­el Fara­day über den Strom­trans­port in festen Stof­fen. Zwi­schen die­sen frü­hen Beob­ach­tun­gen bis zu den »Supe­rio­nics« und den jetzt hoch­ak­tu­el­len Fest­stoff­bat­te­rien lie­fer­te eine von vie­len Gene­ra­tio­nen ver­folg­te Grund­la­gen­for­schung die ent­schei­den­den Vor­aus­set­zun­gen für revo­lu­tio­nä­re Anwendungen.

Es konn­te nach­ge­wie­sen wer­den, dass Anti­bio­ti­ka als Bestand­tei­le ver­schim­mel­ter Nah­rungs­re­ste schon vor 2500 Jah­ren zur Behand­lung von Krank­hei­ten ver­wen­det wur­den. Genaue­re Beob­ach­tun­gen von Lou­is Pasteur (1877) und die Iden­ti­fi­zie­rung des Peni­cil­lins durch Alex­an­der Fle­ming (1929) sind die ent­schei­den­den Weg­mar­ken der neue­ren Anti­bio­ti­ka-Ent­wick­lungs­ge­schich­te. Aller­dings haben patho­ge­ne Bak­te­ri­en inzwi­schen schnel­le Abwehr­me­cha­nis­men ent­wickelt, die dem Peni­cil­lin und lei­der auch den mei­sten der neu­en syn­the­ti­schen Anti­bio­ti­ka die Wirk­sam­keit neh­men. Die Suche nach neu­en, adap­ti­ven Medi­ka­men­ten mit län­ge­rer Wir­kungs­dau­er ist des­halb eine enor­me Herausforderung.

Für der­ar­ti­ge Geschich­ten, bei denen gedul­di­ge und lang­wie­ri­ge Grund­la­gen­for­schung zu bedeu­ten­den und spek­ta­ku­lä­ren Fort­schrit­ten führ­te, gibt es eine Fül­le wei­te­rer, Bei­spie­le. Prak­tisch alle die­se Ent­wick­lun­gen waren sich aber in wenig­stens einer Hin­sicht sehr ähn­lich: Man begeg­ne­te ihnen am Anfang meist mit ver­schwin­den­der Auf­merk­sam­keit, wenn nicht gar mit Arg­wohn und Ableh­nung. Berühm­te Lehr­stücke dafür sind die ideo­lo­gi­schen Bar­rie­ren, die mit obrig­keit­li­cher Unter­stüt­zung gegen die Ent­wick­lung der Quan­ten­phy­sik in Nazi­deutsch­land oder gegen die Gene­tik in der Sowjet­uni­on errich­tet wurden.

Grund­la­gen­for­schung, wie sie kürz­lich der Har­vard-Che­mi­ker Geor­ge M. White­si­des cha­rak­te­ri­sier­te, ist neu­gier­ge­trie­be­ne For­schung zur Schaf­fung von Wis­sen, das erst am Ende idea­ler­wei­se zu Pro­blem­lö­sun­gen füh­ren kann. Damit lässt sich frei­lich kein schnel­les Geld ver­die­nen und manch­mal erst post mor­tal Ruhm ern­ten. Folg­lich waren die For­scher, wenn sie nicht schon auf hal­bem Wege resi­gnier­ten, stets auf die beson­de­re Güte von öffent­li­chen Scha­tul­len­ver­wal­tern und pri­va­ten Wohl­tä­tern ange­wie­sen. Dazu bedurf­te es immer star­ker Per­sön­lich­kei­ten und hoher Überzeugungskunst.

Wie steht es heut­zu­ta­ge mit der Grund­la­gen­for­schung in den deut­schen Hoch­schu­len? Dar­auf haben kürz­lich die Prä­si­den­ten der Uni­ver­si­tät Mainz und der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin eine kla­re Ant­wort gege­ben, gerich­tet vor allem an die neue Bun­des­re­gie­rung: Es feh­le, ver­gli­chen mit den enor­men Aus­ga­ben­stei­ge­run­gen in Chi­na und in den USA, »wei­ter­hin an einem ver­gleich­ba­ren Ein­satz für uni­ver­si­tä­re For­schung in Deutsch­land«. Und sie wei­sen dar­auf hin, dass Grund­la­gen­for­schung immer stär­ker in den Fokus geo­stra­te­gi­scher Riva­li­tä­ten rückt.

In Deutsch­land wird, wie auch in ande­ren füh­ren­den Län­dern, Grund­la­gen­for­schung über­wie­gend an den Hoch­schu­len betrie­ben. Es ist daher auf­schluss­reich, die für die All­ge­mei­ne For­schungs­för­de­rung auf­ge­brach­ten Mit­tel (ca. 1,6 Mil­li­ar­den Euro für 2020) den För­der- oder Sub­ven­ti­ons­an­sät­zen für ande­re Berei­che gegen­über­zu­stel­len. Der Luft­ver­kehr wur­de im Jahr 2016 mit 11,8 Mil­li­ar­den Euro sub­ven­tio­niert (Befrei­ung des Kero­sins von der Ener­gie­steu­er und der inter­na­tio­na­len Flü­ge von der Mehr­wert­steu­er). Und die Pend­ler­pau­scha­le sowie das Die­sel- und Dienst­wa­gen­pri­vi­leg schla­gen jähr­lich mit ca. 30 Mil­li­ar­den Euro zu Buche. Noch Fragen?

Der Grund­la­gen­for­schung geht es so wie der Kli­ma­po­li­tik: Die Unter­las­sun­gen von heu­te wer­den die Lasten der näch­sten Gene­ra­ti­on sein.