Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Krise des BSW

Die poli­ti­sche Land­schaft in Thü­rin­gen erlebt eine dra­ma­ti­sche Zuspit­zung: Das Bünd­nis Sahra Wagen­knecht (BSW) steht vor einer Zer­reiß­pro­be, die weit über die Gren­zen des Bun­des­lan­des hin­aus­reicht. Was als Hoff­nungs­trä­ger für sozia­le Gerech­tig­keit, Frie­dens­po­li­tik und den Kampf gegen gesell­schaft­li­che Pola­ri­sie­rung begann, droht nun an inner­par­tei­li­chen Kon­flik­ten und auto­ri­tä­ren Struk­tu­ren zu schei­tern. Es stellt sich die Fra­ge: Ist das BSW die Kraft, die es zu sein vor­gibt, oder ledig­lich ein wei­te­rer ent­täu­schen­der Akteur in der poli­ti­schen Arena?

Die inner­par­tei­li­che Demo­kra­tie des BSW steht mas­siv in der Kri­tik. In Thü­rin­gen zählt die Par­tei auf­grund ihrer strik­ten Auf­nah­me­pra­xis nicht ein­mal 100 Mit­glie­der. Oli­ver Lembcke von der Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum beschreibt das Bünd­nis als eine Par­tei mit »klar auto­ri­tä­ren Struk­tu­ren«, in der die »ein­zi­ge Struk­tur, die die­se Par­tei kennt, von oben nach unten« ver­läuft (MDR Thü­rin­gen, 31. Okto­ber 2024). Dass das BSW gezielt Mit­glie­der aus­schließt, die nicht der zen­tra­li­stisch orga­ni­sier­ten Linie fol­gen, wird zuneh­mend als demo­kra­ti­sches Defi­zit betrachtet.

Laut Lembcke ist das BSW eine Kader­par­tei, in der ein »hef­ti­ges Scree­ning« statt­fin­det. Die Par­tei prü­fe Mit­glieds­an­trä­ge streng, und nur »wer es über­haupt schafft, Mit­glied zu wer­den, der muss sich gewis­ser­ma­ßen ein­rei­hen«. Das Ergeb­nis ist ein eli­tä­rer Kreis, der wie ein Geheim­bund anmu­tet, aber kaum Raum für ech­te Mei­nungs­viel­falt lässt. Die restrik­ti­ve Struk­tur könn­te lang­fri­stig das Gegen­teil des erklär­ten Zie­les bewir­ken: Anstatt einer offe­nen, gerech­ten Bewe­gung droht das BSW zu einem abge­schot­te­ten Club zu wer­den, in dem unlieb­sa­me Stim­men unter­drückt werden.

Ein beson­ders deut­li­cher Riss in den Grund­sät­zen des BSW zeig­te sich in den Son­die­rungs­ge­sprä­chen in Thü­rin­gen. Dort haben sich BSW, CDU und SPD auf ein Papier geei­nigt, das den eige­nen Wer­ten wider­spricht. In einem Gast­bei­trag für T-Online kri­ti­sier­ten die Par­la­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­re­rin Jes­si­ca Tat­ti und der Schatz­mei­ster Ralph Sui­kat das Son­die­rungs­er­geb­nis scharf und warn­ten davor, das BSW zu einer »Par­tei zu machen, von der es nicht noch eine braucht«. Sie beto­nen, dass Wäh­ler »ehr­li­che Poli­tik« erwar­ten, anstatt blu­mi­ger Wort­hül­sen (T-Online, 29. Okto­ber 2024).

Den­noch scheint sich der Ver­hand­lungs­pro­zess in Thü­rin­gen zu sta­bi­li­sie­ren. Laut einem Bericht der Thü­rin­ger All­ge­mei­nen (7.11.2024) hal­ten CDU, BSW und SPD trotz der jüng­sten poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen auf Bun­des­ebe­ne an ihrem Plan fest, inner­halb von zwei Wochen einen Koali­ti­ons­ver­trag zu prä­sen­tie­ren. Kat­ja Wolf, die Thü­rin­ger Lan­des­vor­sit­zen­de des BSW, wies die Befürch­tung zurück, ihre Par­tei könn­te zum Unsi­cher­heits­fak­tor wer­den, und beton­te den Ehr­geiz, die Kern­in­hal­te des BSW im Koali­ti­ons­pa­pier festzuschreiben.

Das Son­die­rungs­pa­pier steht im Wider­spruch zu den zen­tra­len For­de­run­gen der Par­tei, beson­ders in der Außen­po­li­tik. Eine kla­re Posi­ti­on gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne und gegen die Sta­tio­nie­rung von US-Rake­ten auf deut­schem Boden gehör­ten zu den Kern­ver­spre­chen des BSW. Doch das Papier bleibt in die­sen Fra­gen vage. Tat­ti und Sui­kat fra­gen: »Wo sind unse­re zen­tra­len For­de­run­gen geblie­ben?« und kri­ti­sie­ren, dass »unse­re Wäh­ler mehr ver­dient haben als zwei Sei­ten vol­ler blu­mi­ger Worthülsen«.

Die Par­tei, die im Wahl­kampf ver­spro­chen hat­te, in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung nur mit kla­ren Frie­dens­po­si­tio­nen ein­zu­tre­ten, scheint nun unter dem Druck der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ihre Idea­le auf­zu­wei­chen. Der Bun­des­vor­stand des BSW brach­te sei­ne Miss­bil­li­gung gegen­über der Thü­rin­ger Füh­rung in einem Beschluss deut­lich zum Aus­druck: »Soll­ten sich CDU und SPD nicht bereit zei­gen, sich bei den für das BSW wich­ti­gen Fra­gen zu bewe­gen, soll­ten wir dar­auf ver­zich­ten, in eine gemein­sa­me Regie­rung ein­zu­tre­ten« (Süd­deut­sche Zei­tung, 31. Okto­ber 2024). Ein Rück­zug in die Oppo­si­ti­on erscheint aus die­ser Sicht als ein­zi­ge glaub­wür­di­ge Opti­on, um den Prin­zi­pi­en treu zu bleiben.

Aller­dings signa­li­sie­ren sowohl Kat­ja Wolf als auch der SPD-Lan­des­chef Georg Mai­er Opti­mis­mus. Laut Thü­rin­ger All­ge­mei­nen lau­fen die Ver­hand­lun­gen im Zeit­plan, und es wird erwar­tet, dass bis Dezem­ber ein neu­er Mini­ster­prä­si­dent gewählt wird.

Sahra Wagen­knecht, die cha­ris­ma­ti­sche Füh­rungs­fi­gur des BSW, spielt eine zen­tra­le Rol­le in den Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Ihr direk­ter Ein­fluss auf die Thü­rin­ger Lan­des­po­li­tik wird zuneh­mend kri­tisch bewer­tet. Die Top-down-Struk­tur, die im BSW als »Ein-Per­so­nen-Par­tei« inter­pre­tiert wird, stellt eine Bela­stung dar. Wagen­knechts direk­te Ein­mi­schung in die Thü­rin­ger Poli­tik, ohne Rück­spra­che mit der Lan­des­füh­rung, wirkt wie eine auto­ri­tä­re Macht­de­mon­stra­ti­on. Für Kat­ja Wolf, die Thü­rin­ger Lan­des­chefin, besteht die Gefahr, dass sie, wenn sie sich nicht von Wagen­knecht eman­zi­piert, das Ver­trau­en der Wäh­ler ver­liert. Lembcke dazu: »Wenn es Wolf nicht gelingt, sich von Wagen­knecht abzu­set­zen und sie nur aus­füh­ren­des Organ ist, ver­liert sie bei der Wählerschaft.«

Die inter­nen Kon­flik­te des BSW beein­flus­sen nicht nur die Par­tei selbst, son­dern auch die poli­ti­sche Land­schaft in Deutsch­land. Ange­sichts der zer­mür­ben­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen und der Kom­pro­mis­se, die das BSW im Stre­ben nach Macht ein­zu­ge­hen bereit ist, ver­lie­ren Wäh­ler zuneh­mend das Ver­trau­en in die poli­ti­sche Inte­gri­tät der Par­tei. Jes­si­ca Tat­ti und Ralph Sui­kat ver­ur­tei­len das Thü­rin­ger Vor­ge­hen scharf: »Unglaub­wür­di­ge Par­tei­en, von denen die Men­schen nichts mehr erwar­ten, gibt es in unse­rem Land genug. Die Wut dar­über hat nicht zuletzt die AfD stark gemacht.«

Die Bür­ger haben eine fei­ne Anten­ne für den Wider­spruch zwi­schen idea­li­sti­schen Ankün­di­gun­gen und real­po­li­ti­schen Zuge­ständ­nis­sen. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Ben­ja­min Höh­ne warnt, dass Wagen­knecht durch ihr Wahl­kampf­ver­spre­chen, für den Frie­den ein­zu­tre­ten, eine »Bring­schuld« geschaf­fen habe, an der sie letzt­lich gemes­sen wer­de. Wür­de sie dies nun auf­ge­ben, ris­kie­re sie eine mas­si­ve Ent­täu­schung bei ihrer Wäh­ler­schaft (Zeit Online, 31. Okto­ber 2024).

In Anbe­tracht die­ser schwer­wie­gen­den Kri­tik­punk­te braucht das BSW drin­gend eine Rück­be­sin­nung auf sei­ne Kern­wer­te. Tat­ti und Sui­kat haben dies klar for­mu­liert: »Wenn die Glaub­wür­dig­keit auf dem Spiel steht, ist es bes­ser, aus der Oppo­si­ti­on her­aus gegen die fal­sche Poli­tik ein­zu­ste­hen, die ande­re Par­tei­en machen.« Die­se Aus­sa­ge unter­streicht den Drang nach Inte­gri­tät und den Kampf gegen Oppor­tu­nis­mus, der das BSW einst auszeichnete.

Die aktu­el­len Vor­gän­ge im BSW und ins­be­son­de­re die Ereig­nis­se in Thü­rin­gen offen­ba­ren eine grund­le­gen­de Kri­se in der deut­schen Par­tei­en­land­schaft. Sahra Wagen­knechts kla­re Frie­dens­po­si­ti­on war eine zen­tra­le Säu­le des Wahl­kamp­fes und droht in Thü­rin­gen nun der Macht­po­li­tik geop­fert zu wer­den. Wenn das BSW sei­ne Prin­zi­pi­en opfert, ver­liert es sei­ne Exi­stenz­be­rech­ti­gung als ech­te poli­ti­sche Alternative.

Die Zukunft des BSW hängt davon ab, ob es bereit ist, einen Kurs­wech­sel vor­zu­neh­men, die Idea­le der Basis zu respek­tie­ren und sei­nen Füh­rungs­stil zu dezen­tra­li­sie­ren. Nur so könn­te das Bünd­nis wie­der Ver­trau­en auf­bau­en und eine ernst­haf­te gesell­schaft­li­che Kraft wer­den, die über Thü­rin­gen hin­aus in der poli­ti­schen Land­schaft wirkt.