Noam Chomsky, einer der bekanntesten Wissenschaftler unserer Zeit, veröffentlichte, gemeinsam mit Edward S. Hermann, 1988 das Buch zur politischen Ökonomie der Massenmedien »Manufactoring Consent«, darin geht es um die Produktion einer einheitlichen Meinung in der Gesellschaft. »Einheitlich« meint systemkonform, angepasst an die Nato-Linie.
Aktuell hat der Westend-Verlag den medienwissenschaftlichen Klassiker mit einem ausführlichen Vorwort der Medienwissenschaftler Prof. Uwe Krüger, Holger Pötzsch und Florian Zollmann herausgegeben. Der Experte Michael Schiffmann besorgte die Übersetzung dieses nach wie vor hoch wichtigen Werkes ins Deutsche.
- Chomsky und E. S. Hermann setzen die existenziellen Herausforderungen der Gegenwart, die ökonomische Ungleichheit, die sozialen Spannungen in den Gesellschaften und die Einflussnahme von Medienkonzernen in Beziehung zur Bewusstseins- und Meinungsbildung in der Gesellschaft, und sie analysieren dabei Strukturen der Einflussnahme durch Medienkonzerne und ihre Finanziers auf die veröffentlichte Meinung.
Der Ansatz der beiden Medienanalytiker geht im Unterschied zu einer auf Personen ausgerichteten Verschwörungstheorie von strukturellen Gegebenheiten aus – und untersuchen Prozesse, die in den Medienwissenschaften »Public Relation« (PR), »Strategische Kommunikation« (also intentionale Filterung von Informationen) und »marktstrukturell vermittelte« Einengung der Berichterstattung genannt werden. Strategische Kommunikation unterscheidet sich von herkömmlicher menschlicher Kommunikation dadurch, dass ein Akteur die Empfänger von Botschaften in eine verborgen gehaltene Richtung manipulieren will, sodass sie denken und tun, was der Akteur will, ohne dass sie die Manipulation bemerken. Diese Vorgehensweise entspricht PR-Kampagnen der Werbe-Industrie, die mit psychologischen Operationen auf Konsumenten wirken.
Das Propaganda-Modell, auf den sich das Buch bezieht, charakterisieren die Autoren mit fünf Punkten, die die Methode und Stoßrichtung verdeutlichen:
Grundlegend für das Wirken von Medien im Kapitalismus sind die Eigentumsverhältnisse in der Gesellschaft und damit auch in der Branche: Die Rendite-Orientierung ist Basis-Interesse privat aufgestellter Konzerne auch im Bereich der Medien.
Viele Medienunternehmen sind weitgehend auf Werbeeinnahmen angewiesen.
Medien, die die öffentliche Meinungsbildung stark prägen, bevorzugen offizielle Quellen der Institutionen im Staat, die allerdings die Sicht der Inhaber von Macht wiedergeben und entsprechend Informationen im eigenen Interesse aufbereiten,
Positionen, die die vorherrschenden Narrative in Frage stellen oder gar in Zweifel ziehen, werden oft diskreditiert; das nennen die beiden »flak« als Instrument zur Disziplinierung.
Antikommunismus, Antisozialismus und die Ablehnung kapitalkritischer Analysen stützen die dominante Ideologie des ordnungspolitischen Rahmens, der nicht hinterfragt wird.
Objektivität und Neutralität kommen formal zur Geltung, Kritik und Kontrolle der Inhaber von Reichtum und Macht kommen zwar vor – oft als skandalisierte Beispiele besonders gieriger Einzelfälle –, allerdings hat es die Darstellung von Gegnern der Macht als gefährliche Radikale bzw. weltfremde Ideologen leichter, gut platziert zu werden.
Strukturelle Ungerechtigkeiten werden oft mit einer Personalisierung von Gier um ihren systemkritischen Kontext entkernt. Im Vorwort zum Buch heißt es: »Diskutiert werde vorrangig nicht über die große Strategie, sondern über taktische Details.« Die Formale Unparteilichkeit wird sichtbar, wenn zwar unterschiedliche Positionen in die Berichterstattung einfließen, diese aber im Rahmen eines eingeengten Spektrums bleiben, das Systemkritik ausblendet. Ähnliches geschieht auch in der Berichterstattung über Krieg und Militär, in der meinungsführende Medien mit doppelten Standards und Halbinformationen arbeiten, wenn sie etwa seltener und relativierend über Aktivitäten der »Gewalt (…), die von den USA ausgehen«, berichten, während über »Gewalt, die von offiziellen Feindstaaten ausgeht«, »umfangreich und an prominenter Stelle berichtet« wird.
Die Emotionalisierung steigern Berichte dadurch, dass das Schicksal von Opfern von Feindstaaten umfangreicher schildern und mit »vielen menschlichen Attributen« versehen. Für Gewaltexzesse eigener Kräfte werden bevorzugt »niederrangige Akteure« persönlich verantwortlich gemacht, während »Gewalt, die von Feindstaaten ausgehe, auf Befehl von allerhöchster Stelle zurückgehe«, wie Chomsky schon 2003, also in der Zeit des Irakkrieges, schrieb.
Für diese Manipulation machen die »Konsensfabrik«-Autoren die Journalisten nicht individuell verantwortlich, sondern sie sehen sie unter einem systemischen Druck, der in vielen Fällen zu einer »funktionellen Selbstbeschränkung« führt, die der Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz entspringt.
»Eine weitere relevante Forschungsrichtung stellt der Agenda-Cutting-Ansatz dar: Dieser interessiert sich dafür, warum relevante und kontroverse Themen (…) marginalisiert werden.« Neben medialen Routinen attestieren die Autoren hier das Wirken von »ideologischen Zwängen«.
Sie berichten darüber, dass das Propaganda-Modell von etablierten Kreisen als Ansatz der »marxistisch-radikalen« Theorieansätze diskreditiert wird. Dies geht einher mit der Dämonisierung von Gegnern des Westens im Allgemeinen und der Nato im Besonderen; dafür ziehen die Autoren die Propaganda zur Legitimierung des unprovozierten und nicht UNO-mandatierten, verlogen legitimierten Angriffskrieg der USA und ihrer »Koalition der Willigen« gegen den Irak heran. Die Lüge des US-Präsidenten G. W. Bush sowie der Tod hunderttausender Kinder wird ebenso in den Hintergrund der Berichterstattung gedrängt, wie der völkerrechtswidrige Charakter dieses Krieges.
Die Autoren stellen an den neuen sozialen Medien eine ähnliche Struktur der Propaganda fest, wie sie die bei Printmedien lange schon diagnostizieren. Sie verweisen auf den Machtzuwachs der High-Tech-Medienkonzerne und deren intransparente Einflussnahme, schon etwa bei einer filternden Programmierung von Algorithmen, die bereits in Suchmaschinen eine unauffällige, aber von Eigentümerseite erwünschte Schlagseite generieren können. Ähnliches gilt für das Setting in Filmen und Spielen. Die Basisfrage der Medienanalyse ist demzufolge nach wie vor: Wem gehören Medien?
Noam Chomsky wird am 7.12. dieses Jahres 95 Jahre alt. Er hat sich bis in dieses Alter eine dialektische Analyse komplexer Entwicklungen und Zusammenhänge bewahrt, die in der Gesellschafts- und Sprachwissenschaft für viele Menschen ein Vorbild ist. Sein Faktenreichtum und seine Klarheit auch in der Bewertung und in den Schlussfolgerungen machen es immer wieder lohnend, sich mit seinem Werk zu beschäftigen.