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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Konsensfabrik

Noam Chom­sky, einer der bekann­te­sten Wis­sen­schaft­ler unse­rer Zeit, ver­öf­fent­lich­te, gemein­sam mit Edward S. Her­mann, 1988 das Buch zur poli­ti­schen Öko­no­mie der Mas­sen­me­di­en »Manu­fac­to­ring Con­sent«, dar­in geht es um die Pro­duk­ti­on einer ein­heit­li­chen Mei­nung in der Gesell­schaft. »Ein­heit­lich« meint system­kon­form, ange­passt an die Nato-Linie.

Aktu­ell hat der West­end-Ver­lag den medi­en­wis­sen­schaft­li­chen Klas­si­ker mit einem aus­führ­li­chen Vor­wort der Medi­en­wis­sen­schaft­ler Prof. Uwe Krü­ger, Hol­ger Pötzsch und Flo­ri­an Zoll­mann her­aus­ge­ge­ben. Der Exper­te Micha­el Schiff­mann besorg­te die Über­set­zung die­ses nach wie vor hoch wich­ti­gen Wer­kes ins Deutsche.

  1. Chom­sky und E. S. Her­mann set­zen die exi­sten­zi­el­len Her­aus­for­de­run­gen der Gegen­wart, die öko­no­mi­sche Ungleich­heit, die sozia­len Span­nun­gen in den Gesell­schaf­ten und die Ein­fluss­nah­me von Medi­en­kon­zer­nen in Bezie­hung zur Bewusst­seins- und Mei­nungs­bil­dung in der Gesell­schaft, und sie ana­ly­sie­ren dabei Struk­tu­ren der Ein­fluss­nah­me durch Medi­en­kon­zer­ne und ihre Finan­ziers auf die ver­öf­fent­lich­te Meinung.

Der Ansatz der bei­den Medi­en­ana­ly­ti­ker geht im Unter­schied zu einer auf Per­so­nen aus­ge­rich­te­ten Ver­schwö­rungs­theo­rie von struk­tu­rel­len Gege­ben­hei­ten aus – und unter­su­chen Pro­zes­se, die in den Medi­en­wis­sen­schaf­ten »Public Rela­ti­on« (PR), »Stra­te­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on« (also inten­tio­na­le Fil­te­rung von Infor­ma­tio­nen) und »markt­struk­tu­rell ver­mit­tel­te« Ein­engung der Bericht­erstat­tung genannt wer­den. Stra­te­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on unter­schei­det sich von her­kömm­li­cher mensch­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on dadurch, dass ein Akteur die Emp­fän­ger von Bot­schaf­ten in eine ver­bor­gen gehal­te­ne Rich­tung mani­pu­lie­ren will, sodass sie den­ken und tun, was der Akteur will, ohne dass sie die Mani­pu­la­ti­on bemer­ken. Die­se Vor­ge­hens­wei­se ent­spricht PR-Kam­pa­gnen der Wer­be-Indu­strie, die mit psy­cho­lo­gi­schen Ope­ra­tio­nen auf Kon­su­men­ten wirken.

Das Pro­pa­gan­da-Modell, auf den sich das Buch bezieht, cha­rak­te­ri­sie­ren die Autoren mit fünf Punk­ten, die die Metho­de und Stoß­rich­tung verdeutlichen:

Grund­le­gend für das Wir­ken von Medi­en im Kapi­ta­lis­mus sind die Eigen­tums­ver­hält­nis­se in der Gesell­schaft und damit auch in der Bran­che: Die Ren­di­te-Ori­en­tie­rung ist Basis-Inter­es­se pri­vat auf­ge­stell­ter Kon­zer­ne auch im Bereich der Medien.

Vie­le Medi­en­un­ter­neh­men sind weit­ge­hend auf Wer­be­ein­nah­men angewiesen.

Medi­en, die die öffent­li­che Mei­nungs­bil­dung stark prä­gen, bevor­zu­gen offi­zi­el­le Quel­len der Insti­tu­tio­nen im Staat, die aller­dings die Sicht der Inha­ber von Macht wie­der­ge­ben und ent­spre­chend Infor­ma­tio­nen im eige­nen Inter­es­se aufbereiten,

Posi­tio­nen, die die vor­herr­schen­den Nar­ra­ti­ve in Fra­ge stel­len oder gar in Zwei­fel zie­hen, wer­den oft dis­kre­di­tiert; das nen­nen die bei­den »flak« als Instru­ment zur Disziplinierung.

Anti­kom­mu­nis­mus, Anti­so­zia­lis­mus und die Ableh­nung kapi­tal­kri­ti­scher Ana­ly­sen stüt­zen die domi­nan­te Ideo­lo­gie des ord­nungs­po­li­ti­schen Rah­mens, der nicht hin­ter­fragt wird.

Objek­ti­vi­tät und Neu­tra­li­tät kom­men for­mal zur Gel­tung, Kri­tik und Kon­trol­le der Inha­ber von Reich­tum und Macht kom­men zwar vor – oft als skan­da­li­sier­te Bei­spie­le beson­ders gie­ri­ger Ein­zel­fäl­le –, aller­dings hat es die Dar­stel­lung von Geg­nern der Macht als gefähr­li­che Radi­ka­le bzw. welt­frem­de Ideo­lo­gen leich­ter, gut plat­ziert zu werden.

Struk­tu­rel­le Unge­rech­tig­kei­ten wer­den oft mit einer Per­so­na­li­sie­rung von Gier um ihren system­kri­ti­schen Kon­text ent­kernt. Im Vor­wort zum Buch heißt es: »Dis­ku­tiert wer­de vor­ran­gig nicht über die gro­ße Stra­te­gie, son­dern über tak­ti­sche Details.« Die For­ma­le Unpar­tei­lich­keit wird sicht­bar, wenn zwar unter­schied­li­che Posi­tio­nen in die Bericht­erstat­tung ein­flie­ßen, die­se aber im Rah­men eines ein­ge­eng­ten Spek­trums blei­ben, das System­kri­tik aus­blen­det. Ähn­li­ches geschieht auch in der Bericht­erstat­tung über Krieg und Mili­tär, in der mei­nungs­füh­ren­de Medi­en mit dop­pel­ten Stan­dards und Halbin­for­ma­tio­nen arbei­ten, wenn sie etwa sel­te­ner und rela­ti­vie­rend über Akti­vi­tä­ten der »Gewalt (…), die von den USA aus­ge­hen«, berich­ten, wäh­rend über »Gewalt, die von offi­zi­el­len Feind­staa­ten aus­geht«, »umfang­reich und an pro­mi­nen­ter Stel­le berich­tet« wird.

Die Emo­tio­na­li­sie­rung stei­gern Berich­te dadurch, dass das Schick­sal von Opfern von Feind­staa­ten umfang­rei­cher schil­dern und mit »vie­len mensch­li­chen Attri­bu­ten« ver­se­hen. Für Gewalt­ex­zes­se eige­ner Kräf­te wer­den bevor­zugt »nie­der­ran­gi­ge Akteu­re« per­sön­lich ver­ant­wort­lich gemacht, wäh­rend »Gewalt, die von Feind­staa­ten aus­ge­he, auf Befehl von aller­höch­ster Stel­le zurück­ge­he«, wie Chom­sky schon 2003, also in der Zeit des Irak­krie­ges, schrieb.

Für die­se Mani­pu­la­ti­on machen die »Konsensfabrik«-Autoren die Jour­na­li­sten nicht indi­vi­du­ell ver­ant­wort­lich, son­dern sie sehen sie unter einem syste­mi­schen Druck, der in vie­len Fäl­len zu einer »funk­tio­nel­len Selbst­be­schrän­kung« führt, die der Hoff­nung auf einen siche­ren Arbeits­platz entspringt.

»Eine wei­te­re rele­van­te For­schungs­rich­tung stellt der Agen­da-Cut­ting-Ansatz dar: Die­ser inter­es­siert sich dafür, war­um rele­van­te und kon­tro­ver­se The­men (…) mar­gi­na­li­siert wer­den.« Neben media­len Rou­ti­nen atte­stie­ren die Autoren hier das Wir­ken von »ideo­lo­gi­schen Zwängen«.

Sie berich­ten dar­über, dass das Pro­pa­gan­da-Modell von eta­blier­ten Krei­sen als Ansatz der »mar­xi­stisch-radi­ka­len« Theo­rie­an­sät­ze dis­kre­di­tiert wird. Dies geht ein­her mit der Dämo­ni­sie­rung von Geg­nern des Westens im All­ge­mei­nen und der Nato im Beson­de­ren; dafür zie­hen die Autoren die Pro­pa­gan­da zur Legi­ti­mie­rung des unpro­vo­zier­ten und nicht UNO-man­da­tier­ten, ver­lo­gen legi­ti­mier­ten Angriffs­krieg der USA und ihrer »Koali­ti­on der Wil­li­gen« gegen den Irak her­an. Die Lüge des US-Prä­si­den­ten G. W. Bush sowie der Tod hun­dert­tau­sen­der Kin­der wird eben­so in den Hin­ter­grund der Bericht­erstat­tung gedrängt, wie der völ­ker­rechts­wid­ri­ge Cha­rak­ter die­ses Krieges.

Die Autoren stel­len an den neu­en sozia­len Medi­en eine ähn­li­che Struk­tur der Pro­pa­gan­da fest, wie sie die bei Print­me­di­en lan­ge schon dia­gno­sti­zie­ren. Sie ver­wei­sen auf den Macht­zu­wachs der High-Tech-Medi­en­kon­zer­ne und deren intrans­pa­ren­te Ein­fluss­nah­me, schon etwa bei einer fil­tern­den Pro­gram­mie­rung von Algo­rith­men, die bereits in Such­ma­schi­nen eine unauf­fäl­li­ge, aber von Eigen­tü­mer­sei­te erwünsch­te Schlag­sei­te gene­rie­ren kön­nen. Ähn­li­ches gilt für das Set­ting in Fil­men und Spie­len. Die Basis­fra­ge der Medi­en­ana­ly­se ist dem­zu­fol­ge nach wie vor: Wem gehö­ren Medien?

Noam Chom­sky wird am 7.12. die­ses Jah­res 95 Jah­re alt. Er hat sich bis in die­ses Alter eine dia­lek­ti­sche Ana­ly­se kom­ple­xer Ent­wick­lun­gen und Zusam­men­hän­ge bewahrt, die in der Gesell­schafts- und Sprach­wis­sen­schaft für vie­le Men­schen ein Vor­bild ist. Sein Fak­ten­reich­tum und sei­ne Klar­heit auch in der Bewer­tung und in den Schluss­fol­ge­run­gen machen es immer wie­der loh­nend, sich mit sei­nem Werk zu beschäftigen.