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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Kirche und der Krieg

Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Schäub­le hat die Anre­gung der Lin­ken ver­wor­fen, den bevor­ste­hen­den Jah­res­tag im Bun­des­tag als Gedenk­tag aus­zu­rich­ten, und auch die in die­sen Coro­na-Tagen sonst so geschwät­zi­gen Poli­ti­ker und Medi­en möch­ten sich wohl eben­falls am Anlass die­ses Jah­res­ta­ges vor­bei­schlei­chen: Es han­delt sich dabei um das, was vor 80 Jah­ren, am 22. Juni 1941, geschah: Der deut­sche Über­fall auf die Sowjet­uni­on – ohne Kriegs­er­klä­rung und bei bestehen­dem Nicht­an­griffs­pakt. Mit mehr als drei Mil­lio­nen Sol­da­ten und 3600 Pan­zern begann der längst geplan­te Raub- und Ver­nich­tungs­krieg, ein Jahr­tau­send­ver­bre­chen, an des­sen Ende 27 Mil­lio­nen tote Sowjet­bür­ger zu bekla­gen waren. In der Bro­schü­re »›Bar­ba­ros­sa‹ Raub­krieg in Osten« (Hg. Ver­lag 8.Mai GmbH, 2020) wer­den in zahl­rei­chen Bei­trä­gen die Ver­bre­chen an den Men­schen der Sowjet­uni­on sowie die deut­schen Kriegs­pla­nun­gen und -hand­lun­gen ein­drucks­voll dar­ge­stellt. Die Autorin­nen und Autoren for­dern: »Der Jah­res­tag soll­te jedes Jahr im Bun­des­tag began­gen wer­den« und in Schu­len und ande­ren Bil­dungs­ein­rich­tun­gen eben­so, damit die Rufe nach einer neu­en »Poli­tik der Stär­ke« gegen­über dem heu­ti­gen Russ­land nicht noch ein­mal die Völ­ker dort ins Ver­der­ben stürzen.

Im Fol­gen­den sol­len Tex­te vor­ge­stellt wer­den, die erheb­lich dazu bei­tru­gen, dass die Ver­bre­chen der Wehr­macht über­wie­gend mit »gutem Gewis­sen« began­gen wur­den. Es sind Schlüs­sel­tex­te aus der evan­ge­li­schen Kir­che, einer Insti­tu­ti­on, deren Mit­glie­der wesent­lich zum Auf­stieg des Nazi-Bewe­gung bei­getra­gen haben; bei­den, der evan­ge­li­schen Kir­che und den NS-Anhän­gern, war näm­lich der Kampf gegen Bol­sche­wis­mus, Sozia­lis­mus, Libe­ra­lis­mus, Demo­kra­tie und Juden­tum ein gemein­sa­mes Anliegen.

Um die­sen gemein­sa­men Kampf zum Erfolg zu füh­ren, wur­de 1939, ein Tag vor dem deut­schen Über­fall auf Polen, ein drei­köp­fi­ger »Geist­li­cher Ver­trau­ens­rat« gebil­det, der die »Ver­pflich­tun­gen der Evan­ge­li­schen Kir­che gegen Füh­rer, Volk und Staat« gewähr­lei­sten soll­te, und das hieß: den bevor­ste­hen­den Krieg und alle Kriegs­hand­lun­gen dar­in zu recht­fer­ti­gen. Spre­cher die­ses Gre­mi­ums wur­de der Lan­des­bi­schof der größ­ten deut­schen Lan­des­kir­che, August Marah­rens. Er hat­te sei­ne Bewäh­rungs­pro­ben für die­ses Amt zuvor glän­zend bestan­den: Schon im April 1933 schwärm­te er als Mit­glied eines »Drei-Män­ner-Kol­le­gi­ums«, das für sämt­li­che evan­ge­li­schen Kir­chen in Deutsch­land sprach, in einer »Kund­ge­bung«: »Zu die­ser Wen­de der Geschich­te spre­chen wir ein dank­ba­res Ja. Gott hat sie uns geschenkt. Ihm sei die Ehre.« Im April 1938 for­der­te er die über 1000 Pfar­rer sei­ner han­no­ver­schen Lan­des­kir­che auf, einen »Treu­eid« auf Hit­ler abzu­le­gen, der ihrem »Ordi­na­ti­ons­ver­spre­chen« wider­sprach. Den­noch ver­wei­ger­ten nur zehn Pfar­rer den Treu­eid, wor­in eine 99prozentige Zunei­gung der Pfar­rer (und wohl auch der Gemein­de­glie­der) zu Hit­ler in Nie­der­sach­sen zum Aus­druck kam. Im Mai 1939 unter­stütz­te Marah­rens in »fünf Grund­sät­zen« den Kampf der »natio­nal­so­zia­li­sti­schen Welt­an­schau­ung« gegen die »jüdi­sche Ras­se« und macht ihn »für den christ­li­chen Deut­schen ver­bind­lich«, wodurch die Pasto­ren sei­ner Kir­che »ihre pfarr­amt­li­che Arbeit nach die­sen ›Grund­sät­zen‹ aus­zu­rich­ten« hat­ten. Ver­ord­ne­ter Juden­hass, wie Luther ihn schon gepre­digt hatte.

Die Höhe­punk­te in sei­nem bischöf­li­chen Leben waren dann die Ver­laut­ba­run­gen in der Zeit des Krie­ges für die gesam­te evan­ge­li­sche Kir­che, dar­un­ter ins­be­son­de­re das »Tele­gramm an den Füh­rer« vom 30. Juni 1941« (hier in gekürz­ter Form):

»Die Deut­sche Evan­ge­li­sche Kir­che (…) ist mit allen ihren Gebe­ten bei Ihnen und bei unse­ren unver­gleich­li­chen Sol­da­ten, die nun mit so gewal­ti­gen Schlä­gen dar­an gehen, den Pest­herd zu besei­ti­gen, damit in ganz Euro­pa unter Ihrer Füh­rung eine neue Ord­nung erste­he und aller inne­ren Zer­set­zung, aller Beschmut­zung des Hei­lig­sten, aller Schän­dung der Gewis­sens­frei­heit ein Ende gemacht werde.«

Die­se Pest­bot­schaft des Bischofs Marah­rens war das neue Evan­ge­li­um der Deut­schen Evan­ge­li­schen Kir­che. An der »Front« ver­kün­dig­ten es wohl die mei­sten der cir­ca 580 evan­ge­li­schen »Feld­geist­li­chen«. Und so konn­ten deut­sche Sol­da­ten mit »gutem Gewis­sen« ver­nich­ten und ermor­den: Kom­mis­sa­re, Par­ti­sa­nen, Kriegs­ge­fan­ge­ne, Frau­en und Kin­der, Juden und ande­re Völ­ker, Schwa­che und Behin­der­te, 27 Mil­lio­nen Menschen.

Gemäß die­ses neu­en Evan­ge­li­ums der Deut­schen Evan­ge­li­schen Kir­che wur­de nun auch in der Hei­mat ganz ähn­lich gepre­digt. Dazu erschie­nen in den »Pasto­ral­blät­tern« Muster­pre­dig­ten, etwa »zum Kampf gegen die rus­si­schen Bol­sche­wi­sten, die­se Unter­men­schen«. Eine sol­che stammt zum Bei­spiel von einem Semi­nar­di­rek­tor in Wol­fen­büt­tel und wur­de wahr­schein­lich auf Tau­sen­den Kan­zeln nach­ge­pre­digt. Mit Hin­weis auf deut­sche Pro­pa­gan­da­bil­der heißt es dar­in: »Habt ihr die Gesich­ter der gefan­ge­nen Rus­sen gese­hen? Stump, leer, ver­wahr­lost und ver­kom­men! So sehen Men­schen eines Vol­kes aus, dem man mit Vor­satz und Bedacht die See­le aus dem Lei­be geraubt hat. Was da übrig bleibt, ist nicht mehr ein Men­schen­ant­litz (…); anstel­le des mensch­li­chen Gesich­tes, durch das das Eben­bild Got­tes hin­durch­leuch­tet, ist die Frat­ze des Bösen getre­ten, die Mas­ke des Teu­fels.« Mit dem Pre­digt­wort aus Rich­ter­buch 5 Vers 31 wird dazu auf­ge­ru­fen: »Sie sol­len umkom­men, Herr, alle dei­ne Fein­de.« In jenen Tagen, als die Pre­digt in Wol­fen­büt­tel ver­fasst wur­de, wur­den 21 000 sowje­ti­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne ins nahe Ber­gen-Bel­sen gebracht, wo sie in Erd­höh­len unter­kom­men muss­ten. Bis Früh­jahr 1942 waren 14 000 Gefan­ge­ne an Hun­ger und Käl­te gestor­ben, ermordet.

Schließ­lich und nicht zu ver­ges­sen: Recht­zei­tig zum Über­fall auf die Sowjet­uni­on erschien in Mas­sen­auf­la­ge eine Schrift mit dem Titel »Der Krieg als gei­sti­ge Lei­stung«. Dar­in erhält der Krieg eine höhe­re Wei­he, weil er als »Werk Got­tes« einen »schöp­fe­ri­schen« Cha­rak­ter habe, eine »neue geschicht­li­che Ord­nung schafft« und für den Sol­da­ten eine »Bewäh­rung sei­nes Glau­bens« bedeu­tet. Des­halb müs­se »es nicht nur auf den Kop­pel­schlös­sern der Sol­da­ten, son­dern in Herz und Gewis­sen ste­hen: Mit Gott! Nur im Namen Got­tes kann man die­ses Opfer legitimieren.«

Die­se Aus­sa­gen gefie­len den NS-Pro­pa­gan­di­sten so gut, dass der Ver­fas­ser »amt­lich geför­dert wer­den« soll­te. Der Göt­tin­ger Neu­te­sta­ment­ler Gerd Lüde­mann schreibt 2004 dazu: »Der spä­te­re Lan­des­bi­schof der evan­ge­lisch-luthe­ri­schen Kir­che Han­no­vers setzt die akti­ve Teil­nah­me am ver­bre­che­ri­schen Krieg Nazi-Deutsch­lands mit der Nach­fol­ge Jesu gleich«. Sein Name: Hanns Lil­je, der spä­ter, 1947, auf Vor­schlag Marah­rens des­sen Nach­fol­ger im Bischofs­amt wur­de und in den 1950er Jah­ren gemein­sam mit Otto Dibe­l­i­us die Remi­li­ta­ri­sie­rung West­deutsch­lands betrieb, um gemäß den Vor­stel­lun­gen des Bun­des­kanz­lers Ade­nau­er der Sowjet­uni­on wie­der mit einer »Poli­tik der Stär­ke« ent­ge­gen­tre­ten zu können.

Und Bischof Marah­rens – was wur­de aus dem? Nach der Kon­troll­rats­di­rek­ti­ve Nr. 18 vom 12.10.1946 mit »Ver­wei­sung« auf das Kon­troll­rats­ge­setz Nr. 10 vom 20.12.1945 hät­te die­ser deut­sche Spit­zen­theo­lo­ge zwin­gend einen Pro­zess vor einem Kriegs­ver­bre­cher­tri­bu­nal erhal­ten müs­sen. In Art. III/​II heißt es dort zu »Belasteten/​Aktivisten«, wie auf ihn hin for­mu­liert: »Akti­vist ist (…), wer durch Wort oder Tat, ins­be­son­de­re öffent­lich durch Reden und Schrif­ten (…) oder durch Ein­set­zen sei­ner Macht­stel­lung im poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen oder kul­tu­rel­len Leben wesent­lich zur Begrün­dung, Stär­kung und Erhal­tung der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Gewalt­herr­schaft bei­getra­gen hat.« »Völ­li­ger oder teil­wei­ser Ver­lust der bür­ger­li­chen Ehren­rech­te« wären die min­de­sten Straf­zu­mes­sun­gen für ihn gewe­sen. Doch dazu kam es nicht, denn die für Han­no­ver zustän­di­ge bri­ti­sche Besat­zungs­macht hat­te die »Ent­na­zi­fi­zie­rung« der Kir­chen aus­ge­setzt und ihnen – wie »einer ande­ren Insti­tu­ti­on – eine »Selbst­rei­ni­gung« über­tra­gen und in den Vor­ge­sprä­chen zu die­ser Selbst­rei­ni­gung aus­ge­rech­net den hoch­be­la­ste­ten Marah­rens als Ver­hand­lungs­part­ner akzep­tiert. Und so kam es, dass die­ser bei sei­nem aus Alters­grün­den erfolg­ten Rück­tritt 1947 von der neu­ge­wähl­ten han­no­ver­schen Lan­des­syn­ode mit einer ein­stim­mig ange­nom­me­nen Ent­schlie­ßung ver­ab­schie­det wur­de, in der ihm »im Blick auf sei­ne Amts­füh­rung als Gan­zes (…) vol­les Ver­trau­en und blei­ben­de (sic!) Dank­bar­keit (sic!) aus­ge­spro­chen« wur­de. Ver­tu­schung und Ver­fäl­schung als kirch­li­che Vergangenheitsbewältigung.

In einer Ein­ga­be an die Syn­ode for­der­te ich im Jah­re 2000, jene ver­werf­li­che Ent­schlie­ßung zurück­zu­neh­men und dar­auf hin­zu­wir­ken, dass über­all dort, wo die­sem Unwür­di­gen, Marah­rens, immer noch Ehre erwie­sen wird, die­se end­lich zu til­gen, wie z. B. sei­nen Namen von der Marah­rens-Heim­volks­hoch­schu­le Loc­cum zu neh­men. Die­ses Anlie­gen wur­de abge­wie­sen; Begrün­dung: »Die Rück­nah­me eines Beschlus­ses einer frü­he­ren Syn­ode ist nach Auf­fas­sung des Aus­schus­ses grund­sätz­lich nicht möglich.«

Wer heu­te im Inter­net die Geschich­te jener Heim­volks­hoch­schu­le erforscht, erfährt, dass sie 1953 ihren Namen erhielt. Eine Til­gung des­sel­ben wird nicht ver­mel­det. Es bleibt also dabei: Hier in Loc­cum und eben­so in Han­no­ver, wo eine Stra­ße immer noch sei­nen Namen führt, wird ein Mann in Ehren gehal­ten, der als Mit­tä­ter an dem deut­schen Jahr­tau­send­ver­bre­chen Anteil hat­te. Im Bewusst­sein der Gemein­de­mit­glie­der ist das auch nach 80 Jah­ren immer noch nicht angekommen.