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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Kampagne gegen die Friedensbewegung

Mit dem Oster­fest rück­ten die Oster­mär­sche für den Frie­den immer mas­si­ver in den öffent­li­chen Dis­kurs, in die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Befür­wor­tern der Nato-Waf­fen­hil­fe für die Ukrai­ne und den Kräf­ten, die immer noch im Pazi­fis­mus die Chan­ce sehen, dass die Mensch­heit die­ses Jahr­hun­dert überlebt.

Die letzt­jäh­ri­ge in den Medi­en ver­brei­te­te Hal­tung wird dar­an deut­lich, was der Spie­gel kurz vor den Oster­mär­schen 2022 schrieb: »Für Frie­den zu demon­strie­ren, das mag auf den ersten Blick kon­sens­fä­hig erschei­nen. Über die soge­nann­ten Oster­mär­sche der Frie­dens­be­we­gung (…) ist jedoch eine schar­fe Debat­te ent­brannt. Hin­ter­grund ist der rus­si­sche Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne.« Das Mot­to »Frie­den schaf­fen ohne Waf­fen« sei ange­sichts der Lage unpas­send, so die Kritik.

Die Neue Zür­cher Zei­tung (NZZ) begann mit ihrer Kri­tik an der Frie­dens­be­we­gung unmit­tel­bar mit dem Beginn der rus­si­schen Inva­si­on in die Ukrai­ne: »Die fau­len Tricks der Putin-Ver­ste­her und Möch­te­gern­pa­zi­fi­sten: Nach dem infa­men Angriffs­krieg Russ­lands gegen die Ukrai­ne haben es west­li­che Putin-Ver­ste­her nicht mehr so leicht. Und doch hal­ten sie sich argu­men­ta­tiv über Was­ser.« Die For­mu­lie­rung vom infa­men Angriffs­krieg unter­stellt die Allein­ver­ant­wor­tung für das Kriegs­ge­sche­hen auf der Sei­te Russ­lands. Impli­zit sind damit brei­te Tei­le der Frie­dens­be­we­gung, die der Nato und ihrer Lob­by eine Mit­ver­ant­wor­tung an der Eska­la­ti­on der Gewalt geben, zumin­dest naiv und schon dadurch gefähr­lich. Die Zei­tung ver­glich die Frie­dens­ak­ti­vi­sten mit Vor­schul­kin­dern, also mit Kri­ti­kern, die man nicht ernst neh­men muss,

Es fiel dem Autor die­ser Her­ab­wür­di­gung nicht auf, dass die Posi­ti­on der Allein­ver­ant­wor­tung Russ­lands für die Ent­wick­lung hin zum Krieg von renom­mier­ten Per­sön­lich­kei­ten nicht geteilt wird. Argu­men­te wie die des ein­sti­gen Bun­des­mi­ni­sters und Ham­bur­ger Ober­bür­ger­mei­sters Klaus von Dohn­anyi (SPD) und des UNO-Exper­ten und taz-Jour­na­li­sten Andre­as Zumach über den Anteil der Ost­erwei­te­rung der Nato samt ihres mili­tä­ri­schen sowie nuklea­ren Droh­po­ten­ti­als fin­den gemein­hin kaum Wider­hall in den mei­nungs­füh­ren­den Medi­en. Die­se Tat­sa­che kor­re­spon­diert mit Beob­ach­tun­gen des welt­be­rühm­ten kri­ti­schen Wis­sen­schaft­lers Noam Chom­sky und des­sen Ein­schät­zung: Im You­tube-Bei­trag »Nuclear Dan­gers in Ukrai­ne« führt er ab cir­ca Minu­te 17:30 aus: »Wir kön­nen viel über uns ler­nen und dar­über, wie wir unse­re Hoff­nung aus­hal­ten dar­auf, dass Men­schen­le­ben in der Ukrai­ne nicht aus­ge­löscht wer­den.« Und er bedau­ert: »Die­ser Krieg hät­te nicht statt­fin­den dür­fen, aber er fin­det statt.« Er schluss­fol­gert: »Ver­hand­lun­gen sind die ein­zi­ge ver­ant­wort­li­che Alter­na­ti­ve zu Tod, Flucht und Zer­stö­rung« (Über­setz. vom gespro­che­nen Vor­trag: B.T.).

Die­se Posi­ti­on ent­spricht der von Jef­frey Sachs, Johan­nes Vad und Erich Var­wick, Harald Wel­zer und Richard David Precht, die aller mas­si­ven Mei­nungs­ma­che gegen die Frie­dens­be­we­gung weni­ge Wochen nach den Oster­mär­schen 2022 zum Trotz eine rasche Been­di­gung der Kampf­hand­lun­gen und Diplo­ma­tie statt Gewalt for­der­ten. »Wir tei­len den Wunsch nach Gerech­tig­keit. Ver­hand­lun­gen sind indes ein not­wen­di­ges Mit­tel, um Leid vor Ort und Kriegs­fol­gen auf der gan­zen Welt zu verhindern.«

Wolf Bier­mann warf dar­auf­hin Harald Wel­zer und Richard David Precht und ihren Unter­stüt­zern vor, sie sei­en »Second­hand-Kriegs­ver­bre­cher«. Ähn­lich dele­gi­ti­mie­ren­de Wor­te fand Her­fried Mün­k­ler vor weni­gen Wochen gegen­über Ali­ce Schwar­zer und Sahra Wagen­knecht und den annä­hernd 800 000 Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zern des Frie­dens­ma­ni­fest, das die bei­den im Febru­ar ver­öf­fent­lich­ten, es sei ein »ver­lo­ge­nes, kennt­nis­lo­ses« und »gewis­sen­lo­ses Mani­fest« der »Kom­pli­zen­schaft mit dem Aggres­sor Putin«.

Unter den Unter­stüt­ze­rin­nen des Frie­dens­ma­ni­fests von Ali­ce Schwar­zer und Sahra Wagen­knecht war die kürz­lich ver­stor­be­ne Ant­je Voll­mer, einst als bünd­nis­grü­ne Füh­rungs­per­sön­lich­keit Vize­prä­si­den­tin des Bun­des­ta­ges. Ant­je Voll­mers Testa­ment ist ihr letz­ter Text zum The­ma, den die Ber­li­ner Zei­tung ver­öf­fent­lich­te; Zitat: »In unse­ren Medi­en ver­kör­pert die Ukrai­ne das Ide­al und Vor­bild einer frei­heits­lie­ben­den west­li­chen Demo­kra­tie heroi­schen Zuschnitts. … Wer sich macht­po­li­tisch behaup­tet, wer sei­ne Exi­stenz mit blu­ti­gen Opfern und Waf­fen ver­tei­digt, gilt als Boll­werk für die euro­päi­schen Idea­le der Frei­heit, koste es, was es wol­le. Wer aber den Weg des Kon­sen­ses, der Koope­ra­ti­on, der Ver­stän­di­gung und der Ver­söh­nung sucht, gilt als schwach und des­we­gen als irrele­vant, ja als ver­ach­tens­wert. (…) Wer die Welt ret­ten woll­te, muss­te ein festes Bünd­nis zwi­schen Frie­dens- und Umwelt­be­we­gung anstre­ben, das war eine kla­re histo­ri­sche Not­wen­dig­keit, die wir leb­ten. (…) Heu­te aber gilt: Wer die Welt wirk­lich ret­ten will, die­sen kost­ba­ren ein­zig­ar­ti­gen wun­der­ba­ren Pla­ne­ten, der muss den Hass und den Krieg gründ­lich ver­ler­nen. Wir haben nur die­se eine Zukunftsoption.«

Ant­je Voll­mers Weg­ge­fähr­tin Petra Kel­ly beklag­te 1983, dass die Regie­run­gen der Welt offi­zi­ell jede Minu­te 2,3 Mil­lio­nen Dol­lar für die Ver­nich­tungs­ma­schi­ne­rie der Mili­tärs aus­ge­ben (Um Hoff­nung kämp­fen, Göt­tin­gen 1983, S. 15). Aktu­ell hat sich die­ser Wert, wenn man die 2113 Jah­res­mil­li­ar­den Welt­rü­stungs­aus­ga­ben auf die Minu­te umrech­net, nahe­zu ver­dop­pelt. Wenn die Staa­ten die­se Ent­wick­lung nicht umkeh­ren, droht der Mensch­heit die fina­le Katastrophe.

Das Hochrüstungs-»100 Mil­li­ar­den Son­der­ver­mö­gen« zusätz­lich zu den im Haus­halt sowie­so aus­ge­wie­se­nen weit über 50 Mrd. Euro für den Mili­tär­sek­tor folgt der sprach­li­chen Mani­pu­la­ti­on der Öffent­lich­keit. Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz ver­tei­dig­te sie mit einem von ihm so bezeich­ne­ten Erfor­der­nis, gegen Russ­land vor­zu­ge­hen, wäh­rend die USA, als Part­ner, mit ihren Krie­gen welt­weit ganz anders behan­delt wer­den. Sol­che Dop­pel­zün­gig­keit offen­bart sich unter ande­rem dar­in, dass die Bun­des­re­gie­rung nur weni­ge Wochen zuvor ganz anders mit dem Irak-Krieg umging, wie die Ber­li­ner Zei­tung am 18.12.2022 mel­de­te: »Bun­des­re­gie­rung will nicht sagen, ob Irak-Krieg ein Angriffs­krieg war.« Eine par­la­men­ta­ri­sche Anfra­ge zeigt: Die Lüge von den Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen lebt in den Akten weiter.

Das zusätz­li­che Auf­rü­stungs­pa­ket, das die Bun­des­re­gie­rung mit dem Ukrai­ne-Krieg recht­fer­tigt, umfasst mit zunächst fast 10 Mrd. $ die Anschaf­fung von F 35-US-Tarn­kap­pen­bom­bern von Lock­heed Mar­tin, die zusätz­lich zu den Euro­figh­tern der Bun­des­wehr dafür »gebraucht« wer­den, um die nuklea­ren Arse­na­le der USA in Deutsch­land für Atom­schlä­ge ein­zu­set­zen, also für den fina­len Krieg der Menschheitsgeschichte.

Die Kam­pa­gne gegen die Frie­dens­be­we­gung führt dazu, dass es in sozi­al-alter­na­ti­ven, bünd­nis­grü­nen und sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Spek­tren Kri­tik an der Frie­dens­be­we­gung gibt, sie sei 1. rechts­of­fen, 2. pro Putin und 3. antiamerikanisch.

Rechts ist Natio­na­lis­mus, Ras­sis­mus, Law and Order-Macht­den­ken und Mili­ta­ris­mus. Das ist das Gegen­teil der frie­dens­po­li­ti­schen Visi­on. Dies wird in der Mei­nungs­ma­che ver­dreht, sodass die For­de­rung nach Diplo­ma­tie statt Eska­la­ti­on als aus der Zeit gefal­len oder gar amo­ra­lisch hin­ge­stellt wird. Doch die Frie­dens­be­we­gung steht auch 2023 aktiv in der Öffent­lich­keit, sie ist ein Bünd­nis aus Initia­ti­ven und Orga­ni­sa­tio­nen wie den Inter­na­tio­na­len Ärz­ten zur Ver­hü­tung des Atom­kriegs IPPNW, den Natur­freun­den, kirch­li­chen Bewe­gun­gen und frie­dens­öko­lo­gi­schen Kräf­ten, die der Mani­pu­la­ti­on nicht anheim­ge­fal­len sind. Das haben die Oster­mär­sche erneut gezeigt – und machen des­halb Hoff­nung auf eine über­le­bens­fä­hi­ge Gesellschaft.