Dieses Kunstwerk über eine Sprache würde ich gern in mehr Sprachen loben, als mir zur Verfügung stehen. Der Autor Jakob Hessing wählt zum Einstieg in das anspruchsvolle Projekt über den jiddischen Witz eine Mischung von Autobiographie und Sachinformation. Hier ein Exempel für das erste Thema:
Es ist eine anrührende kurze Geschichte, sie wurde Hessing von der aufmerksamen Verwandtschaft kolportiert: »Als kleines Kind überquerte ich mit meinen Eltern einmal einen Fahrdamm, da soll ich mich auf den Asphalt gesetzt und gesagt haben: ›Kenni, hoken Kojach.‹« Das klingt so lautmalerisch, es muss jiddisch sein! Hessing folgert: »In meinen frühen Jahren in Polen und vor der Übersiedlung nach Berlin sprach ich offensichtlich Jiddisch.« Jakob ist in Harmonie mit Vater und Mutter, anders als Franz Kafka, der mit seinem Erzeuger auf keinem guten Fuße stand, gleichwohl engagiert sich der Sohn fürs Jiddische, hält um 1912 herum mehrere Reden, psychologisch so gelungen wie die Zuhörerschar auf hohem Niveau erheiternd. Kafka Senior, gleich ihm viele Bürger Prags nannten diese Artikulationsweise verächtlich »Jargon«, man hätte sich geschämt, sie zu benutzen. Verteidiger gibt es durchaus – der Schriftsteller Manès Sperber nutzte den beschimpften Jargon bis ins Erwachsenenalter, dann lernte er Deutsch, später Französisch vom Feinsten, kein Mirakel, wenn man sich in Paris ansiedelt.
Genannt werden im Buch drei Klassiker jiddischer Literatur: Scholem Alejchem, Mendele Moícher Sfórim, Jizchok Leib Perez. Einer breiteren Öffentlichkeit wird wohl der zuerst erwähnte Scholem Alejchem bekannt sein, auf dessen Roman beruht das international erfolgreiche Stück über Tewje, den Milchmann. Von den drei genannten Klassikern teilt Hessing viel Ernsthaftes und Ergötzliches mit, alles zusammen bietet einen Fundus, aus dem von Krimi, Komödie, Katastrophenszenario bis zum Kasperletheater sich Bühnen und Film bedienen könnten. Allein die so wahnwitzigen wie makabren Ehegeschichten bilden einen unerschöpflichen Vorrat.
Ein Kapitel für sich sind in der Realität und hier im Buch die Sammlungen jüdischer – nicht jiddischer – Witze von Salcia Landmann. Hessing lobt sehr nobel deren Sprachkenntnisse sowie ihren Fleiß, Landmann-Bücher verkauften sich wie geschnitten Brot, ein Wiedergutmachungsreflex bei uns Deutschen für all die Verbrechen, denen die Juden im »Dritten Reich« ausgeliefert waren? Da wäre ein besseres Gewissen jedoch zu billig erkauft.
Nun hatten Gerhard Zwerenz und ich lange Jahre hindurch einen bewährten jüdischen Freund, der konnte beim Lesen der Landmann-Bestseller eine gewisse Übelkeit nur mühsam unterdrücken. Aus dem unübertrefflichen »Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem anderen Jahr« von Robert Neumann (Verlag Kurt Desch, München 1968) erlaube ich mir ein paar Zeilen zu zitieren. Mir scheint, Hessing ist großzügig genug, das nicht als Affront gegen sein großartiges Werk aufzufassen. Neumann: »Vater, wozu braucht ein Goy ein Kopf? Denken tut er nicht – Tefillim legt er nicht – also nur zum Grüßen? (Der Witz zeigt, über den defensiven Antigojismus hinaus, den Hochmut, den unsereiner braucht, um zu überleben. Alternative: Die Verzweiflung.« – Impulse, die Hessing vielleicht nicht ganz fremd sein mögen
Jakob Hessing: »Der jiddische Witz. Eine vergnügliche Geschichte«, C.H.Beck, 172 Seiten, 12,95 €