Um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen: Ich bin als Nachfahre jüdischer Eltern, ohne Wenn und Aber, für das völkerrechtlich garantierte Existenzrecht der jüdischen Israelis, wie ich für das völkerrechtlich garantierte Existenzrecht der Palästinenser bin. Ob die zukünftige Lösung des Konflikts jedoch noch in einer Zweistaatenlösung besteht, bezweifle ich, angesichts des unendlich blutigen und hasserfüllten Dauerkonflikts und eines inzwischen völlig zerstückelten und zerstörten Territoriums der Palästinenser, ihrer zerstrittenen politischen Führer und auch der Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten. Schon der einstige UN-Teilungsplan von 1948 erwies sich als Illusion, noch dazu er nicht durch ein robustes Mandat von UN-Truppen implementiert wurde, was angesichts der gerade gegründeten Vereinten Nationen wohl auch kaum möglich war.
Was ich allenfalls noch für eine realistische Zukunftsoption halte, wäre eine föderale Lösung, wie sie in vielen anderen Staaten der Welt existiert, wo es eine gemeinsame Staatsbürgerschaft aller ethnischen Gruppen gibt, aber zugleich relativ autonome Verfassungsrechte für die jeweiligen Minderheiten. Dazu müsste allerdings die Illusion begraben werden, dass Israel ein »jüdischer Staat« ist, sondern realistischer weise ein multiethnischer Staat von jüdischen und palästinensischen Israelis!
Um dieser Wirklichkeit international und auch im Nahen Osten Rechnung zu tragen, müsste sich die bittere Einsicht durchsetzen, dass die Ursachen dieses tragischen und bisher unlösbaren blutigen Konflikts nicht nur auf einer zionistischen, sondern auch auf einer völkerrechtswidrigen Illusion der UN beruhte: Die Besiedlung des dortigen Territoriums durch die jüdischen Einwanderer war verbunden mit einer Kolonialisierung der dort lebenden arabischen Bevölkerung, ähnlich etwa der kolonialistischen Einwanderung der Europäer nach Süd- und Nordamerika, die mit einer blutigen Vertreibung, Vernichtung und Gettoisierung der dort lebenden, indigenen Bevölkerung verbunden war! Die Palästinenser waren und sind die »Indianer« Israels!
Der Zionismus war nicht zuletzt inspiriert durch den deutschen Nationalismus des 19. Jahrhunderts – so verständlich seine eigentliche Entstehung auch sein mag, aufgrund der leidvollen jüdischen Geschichte in der Diaspora und insbesondere des Völkermordes an den Juden durch Nazi-Deutschland, – dennoch ideologisch, politisch und praktisch ein bürgerlich-nationalistisches Projekt, sowie es schon die blutige Kolonialisierung aller Kontinente war. Um für seine Idee zu werben, schrieb Theodor Herzl: »Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.«
Und in einer Rede von 1938 sagte der künftige Präsident Israels David Ben Gorion: »Verschließen wir nicht die Augen vor der Wahrheit: Politisch gesehen sind wir die Aggressoren und sie verteidigen sich. Dieses Land ist ihres, weil sie darin wohnen, während wir herkommen, um uns darin niederzulassen Und von ihrem Gesichtspunkt aus, haben wir vor, sie aus ihrem eigenen Land zu vertreiben« (zitiert nach Moshe Zimmermann, Moshe Zuckermann: Denk ich an Deutschland – Ein Dialog in Israel, Westend Verlag 2023).
Der Konflikt ist auch deshalb so tragisch, weil die neuen jüdischen Kolonialherren in Israel zuvor in der Diaspora selbst wie »Indianer« diskriminiert, gettoisiert, vertrieben und auch vernichtet wurden. Dieses Trauma glaubten sie nicht anders bewältigen zu können, als nun ihrerseits Gewalt mit Gewalt zu beantworten.
Was tun? Das frage ich mich, als Jude, wie sicherlich Millionen anderer Menschen und Politiker auf der ganzen Welt, denen das Leben von Juden und Palästinensern am Herzen liegen. Sicher scheint mir: Eine gewaltsame, militärische Lösung, wie sie seit einem Jahrhundert von den militanten, jüdischen und arabisch-palästinensischen Führern favorisiert wird, führt zu immer mehr jüdischen und palästinensischen Opfern, zu immer mehr Zerstörungen, zu immer mehr Vergeudung militärischer Ressourcen, zu immer mehr Hass, auch international, anstatt zum Frieden, zum friedlichen Zusammenleben, zum wechselseitigen Vorteil von Juden und Palästinensern und den arabischen Nachbarländern. Diese aggressive Konfrontationspolitik schlägt auch gerade auch auf die eigene, jüdische Bevölkerung zurück, die man schützen und deren Lebensinteressen man durchsetzen vorgibt. Und diese destruktive Gewaltpolitik trifft auch auf andere Kriegsherde zu, etwa in der Ukraine, in denen Ukrainer und Russen tausendfach verbluten.
Zeigt nicht, die Geschichte Nordamerikas und auch die Geschichte Europas, dass politische Lösungen und die friedliche Zusammenarbeit der Nationen, der Geschlechter, der Generationen sowie der soziale Ausgleich zwischen den Klassen und Schichten und der respektvolle Umgang mit Minderheiten letztlich viel lohnender für alle Seiten sind, um Menschenrechte zu bewahren und durchzusetzen, als unendlich leidvolle Kriege und kostspielige »Kriegsertüchtigungen«, die doch das Gegenteil davon bewirken?!
Lasst endlich ab, von diesen nationalistischen Irrwegen und Gewaltorgien der Weltgeschichte, auch angesichts der immer bedrohlicher werdenden, kriegerischen und Umwelt-vernichtenden Flächenbrände! Es ist eine Millisekunde vor Zwölf!!!